Die Berner Heiliggeist-Kirche ist ein Mahnmal für Fluchtopfer

Mehr 35’000 Menschen starben auf der Flucht nach Europa. Freiwillige der «Offenen Kirche Bern» haben ihre Namen auf Wimpel geschrieben und an die Kirche geheftet. Dort bleiben sie bis Ende Juni.

Wimpel mit Namen von Flüchtlingen an der Heiliggeistkirche in Bern
Die Namen von 35 597 Flüchtlingsopfern stehen auf diesen Wimpeln an der Heiliggeistkirche im Zentrum von Bern. (Foto: Andreas Nufer)

Seit heute, Flüchtlingssonntag 2019, wehen rund 30‘000 Stofffahnen an der Fassade der Heiliggeistkirche Bern im Wind. Auf allen diesen Wimpeln stehen Namen von Menschen, die seit 1993 auf dem Weg nach Europa gestorben sind. Auch jene, von denen man den Namen nicht mehr weiss, sind genannt. Zusätzlich stehen ihre Herkunft, ihr Geschlecht, ihr Alter und die Umstände ihres Todes auf den Stoffstreifen.

Mehr als 500 Freiwillige haben seit gestern Samstag 12 Uhr in der Heiliggeistkirche die Stoffstreifen beschriftet und an Schnüre geheftet. Es war eine konzentrierte, stille Atmosphäre in der Kirche. Einheimische, Geflüchtete, Kinder, Jugendliche, Grosseltern, Männer und Frauen schrieben teilweise stundenlang. «Es hat mich gefreut, dass auch viele Passanten den Weg in die Kirche wagten und sich beteiligten», sagt Andreas Nufer, Pfarrer und Projektleiter an der Heiliggeistkirche. «Die Aktion verlief sehr friedlich».

Viele sassen einfach im Kirchenschiff und hörten zu, wie vorne am Altar die Namen und Todesumstände vorgelesen wurden. Immer wieder gab es Tränen, aber auch Umarmungen. Betroffene aus Eritrea, Syrien, Iran, Afghanistan, Tibet, Sudan oder Nigeria erzählten schreibend an den Tischen von ihren Erlebnissen auf der Flucht, aber auch von der Dankbarkeit, jetzt in der Schweiz in Sicherheit zu sein.

«Viele dieser Toten sind Opfer der Festung Europa. Sie sind Opfer einer verfehlten Migrationspolitik.»

Die Heiliggeistkirche hat sich in ein grosses Mahnmal verwandelt. «Viele dieser Toten sind Opfer der Festung Europa. Sie sind Opfer einer verfehlten Migrationspolitik», sagt Andrea Meier von der katholischen Kirche Region Bern und Mitorganisatorin der Aktion. «Wir wollen sie nicht vergessen, denn jede und jeder von ihnen hatte einen Namen, wie du und ich.»
 
Die Aktion war vom Flüchtlingssamstag um 12 Uhr bis am Flüchtlingssonntag um 12 Uhr geplant. In dieser Zeit wurden alle Namen aus der «list of deaths» vorgelesen. 48 Freiwillige lösten sich im Halbstundentakt ab. Immer zur vollen Stunde gab es Musik, Lieder, Gedichte oder Performances von Kunstschaffenden. Der gut besuchte Gottesdienst am Sonntagmorgen war in die Aktion integriert. Am Sonntag um 12 Uhr waren allerdings trotz der vielen Freiwilligen «erst» rund 20‘000 Stoffstreifen beschriftet. Deshalb wurde die Aktion bis um 18 Uhr am Sonntag verlängert. Dann waren rund 30‘000 beschriftete Stoffstreifen rund um die Kirche gehängt. Ab Dienstag, 18. Juni um 11 Uhr läuft das Namenschreiben in der Heiliggeistkirche weiter, bis alle 35‘597 Verstorbenen auf einem Stoffstreifen geschrieben und an der Kirchenfassade befestigt sind.

Die Namen bleiben nun für 14 Tage an der Fassade der Heiliggeistkirche.
 

Weitere Infos: https://www.offene-kirche.ch/angebote-veranstaltungen/fluechtlingstag-2…