Die neue US-Strategie nach dem Krieg gegen den Terror

China und Russland sind jetzt offiziell die neuen Feinde. US-Verteidigungsminister James Mattis droht ihnen mit dem «längsten und schlimmsten Tag».

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Seit 2001 ist der Krieg gegen den Terror das Mantra des militärisch-industriellen Komplexes. Er würde Jahrzehnte dauern, sagte der damalige US-Vizepräsident Dick Cheney. Jetzt scheint sich die Doktrin zu ändern. Am vergangenen Freitag stellte der US-Verteidigungsminister James Mattis in einem Vortrag an der John Hopkins University in Maryland die neue nationale Sicherheitsstrategie der USA vor. «Der Wettbewerb zwischen Grossmächten – nicht der Terrorismus – steht im Zentrum der nationalen Sicherheit» sagte er und machte klar, dass es sich dabei um einen historischen Wandel der amerikanischen Strategie handelt.

Zusammen mit Mattis’ Rede veröffentlichte das Pentagon ein elfseitiges Dokument zur nationalen Verteidigungsstrategie, das erste derartige Dokument seit rund zehn Jahren. Mattis und das Papier lassen keinen Zweifel, wer die neue Feinde sind: «wachsende Bedrohung durch revisionistische Mächte, so unterschiedlich wie China und Russland, die versuchen, eine Welt nach ihren autoritären Modellen zu schaffen.»
Die Autoren der Verteidigungsstrategie beschuldigen China, «die USA zu verdrängen und die Hegemonie in der indo-pazifischen Region und globale Vorherrschaft anzustreben». Russland, so der Vorwurf, versuche «Veto-Macht über gouvernementale, ökonomische und diplomatischenEntscheidungen der Staaten an seiner Peripherie zu erreichen, um damit die NATO zu zerbrechen und die sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Strukturen in Europa und im Mittleren Osten zu seinem Vorteil zu verändern.»

«Wenn ihr uns herausfordert, wird es euer längster und schlimmster Tag.»

Mattis warnte Russland und China in deutlichen Worten: «Wenn ihr uns herausfordert, wird es euer längster und schlimmster Tag.» Die Drohung ist ein Verstoss gegen Art. 2 der UNO-Charta, welche die Androhung und Anwendung von Gewalt im Verkehr der Mitgliedstaaten untereinander verbietet.

Moskau und Peking verurteilten beide die neue US-Verteidigungsstrategie (Details). Ein Sprecher der chinesischen Botschaft in Washington brauchte dazu einsichtsvolle Worte jenseits des doplomatischen Jargons: «Wenn jemand ständig eine dunkle Brille trägt, wird er nie eine helle Welt sehen... Frieden und Entwicklung sind die Themen dieser Ära, und auch das gemeinsame Streben der Menschheit. Wenn jedoch einige Leute die Welt mit dem Denken des Kalten Kriegs und des Nullsummenspiels betrachten, dann sind sie dazu verdammt, nur Konflikte und Konfrontation zu sehen.» (Nachrichtenbrief des Schiller-Instituts 4/18).Der russische Aussenminister Sergei Lawrow sagte an einer Pressekonferenz in den Vereinten Nationen: «Es ist bedauerlich, dass die USA versuchen, ihre Führungsrolle durch Konfrontation unter Beweis zu stellen, anstatt in einem normalen Dialog und auf der Basis des Völkerrechts.» Ein Regierungssprecher in Moskau bezeichnete das Papier als «imperialistisch» und hat damit wohl recht.

Das Strategiepapier fordert Kriegsvorbereitungen in drei «Schlüsselregionen», dem indo-pazifischen Raum, im Mittleren Osten, aber auch in Europa. Es gibt indirekt zu, dass der Krieg gegen den Terror den USA nicht das gebracht hat, was sie erhofften: «Heute tauchen wir aus einer Periode der strategischen Verkümmerung auf, bewusst, dass unser militärischer Vorteil erodiert ist.»
Das Ziel des Pentagon ist gemäss der Verteidigungsstrategie die Sicherstellung, dass die USA «die überragende Militärmacht der Welt» bleiben, die in der Lage ist, «das Gleichgewicht der Kräfte zu unserem Vorteil zu erhalten», eine «internationale Ordnung zu schaffen, die unserer Sicherheit und Prosperität am meisten förderlich ist» und die «den Zugang zu den Märkten erhält».

Die USA geben mehr Geld für ihr Militär aus als die acht nächstgrösseren Staaten.

Um diese Ziele zu erreichen, braucht das Pentagon wesentlich mehr Geld. Schon jetzt entfallen mehr als ein Drittel der weltweiten Militärausgaben auf das US-Verteidigungsbudget. Es ist so gross wie das der acht nächstgrösseren Länder. Zudem haben US-Rüstungsfirmen mit einem Anteil von 57,9 Prozent einen absolut marktbeherrschende Stellung.

Der Krieg gegen den Terror schien vom ersten Tag an nur als Vorwand der USA, in fremde Länder einzumarschieren, die Bürgerrechte einzuschränken und die Überwachung zu verschärfen.

So weit die Fakten. Doch wie sind sie zu verstehen? Der Krieg gegen den Terror schien vom ersten Tag an nur als Vorwand der USA, in fremde Länder einzumarschieren, die Bürgerrechte einzuschränken und die Überwachung zu verschärfen. Die Kriegspläne gegen Afghanistan, das erste Opfer des elften Septembers, bestanden schon vor dem historischen Anschlag. Der «Patriot Act», die gesetzgeberische Antwort der USA auf den elften September, lag ebenfalls vor dem Anschlag als Entwurf vor und wurde schon am 26. Oktober 2001 als Antwort auf ihn verabschiedet. Der Krieg gegen den Terror war im Grunde ein Krieg gegen alle Andersdenkenden unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung. Er hat das Gefühl und die Bedingungen, als Mensch auf der Erde zu leben, grundlegend verändert und kann deshalb aus der Sicht seiner Urheber durchaus als Erfolg bezeichnet werden. Militärisch war der Krieg gegen den Terror allerdings ein Misserfolg – wenigstens oberflächlich betrachtet. Der Terrorgruppen sind mehr, die Bedrohungen haben sich verschärft und die Länder, die im Verlauf des Kriegs gegen den Terror ins Chaos gestürzt wurden, sind zahlreicher geworden. Zudem hat sich die Politik weltweit entsolidarisiert und nationalisiert. Falls dies eine erwünschte Kollateralfolge des Krieges gegen den Terror war, ist er durchaus erfolgreich gewesen. Über die Militärstrategie der USA schrieb der US-Stratege George Friedman 2009 in seinem Buch «Die nächsten 100 Jahre»: [Die Militäreinsätze] «werden immer den Anschein erwecken, keines der bestehenden Probleme zu lösen, und sie werden immer mit unzureichenden Streitkräften durchgeführt werden, die nicht im Stande sind, eine Entscheidung herbeizuführen.» In der Tat scheint eine Art fortwährender Krieg ein strategisches Ziel der USA zu sein, das es ihnen erlaubt, ihre imperialistischen Ziele in Form lokaler Konflikte zu verfolgen, Ordnung zu versprechen und Unordnung zu schaffen.

Wenn man davon ausgeht, dass das unausgesprochene Ziel des Kriegs gegen den Terror erreicht wurde, ist es nur logisch, dass jetzt eine neue Strategie erklärt wird. Nach dem unspezifischen Terror als Hauptfeind sind jetzt China und Russland die hauptsächlichen Militärziele. Das gilt natürlich nicht erst seit dem 19. Januar, als Mattis Klartext sprach, sondern seit Jahren. Die USA betreiben ausserhalb ihres Territoriums rund 800 Militärbasen mit einer starken Zunahme der Präsenz rund um Russland und China. Ende 2016 veröffentlichte der mehrfach preisgekrönte Journalist John Pilger seinen Film «The Coming War on China», der friedensbewegte Menschen weltweit aufrüttelte. Jetzt sorgen die USA selbst dafür, dass die Strategie öffentlich wird und den Mainstream erreicht. Entweder sie fühlen sich stark genug oder sie benötigen dringend neue Feindbilder. Damit ist es höchste Zeit, dass sich eine neue Friedensbewegung jenseits von rechts und links bildet. Wenn ein Zwischenfall die Welt erschüttert, ist es dafür zu spät.

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Die nationale Verteidigungsstrategie sät globales Chaos
Die Militarplaner beklagen in der neuen Verteidigungsstrategie die Erosion des amerikanischen Vorsprungs, aber eigentlich bezwecken sie den Erhalt des amerikanischen Empire in einer chaotischen Welt, schreibt  Nicolas J.S. Davies. (in englisch).