Erinnerungen an eine (andere) Zukunft

Vor knapp zwanzig Jahren begannen Nord- und Südkorea eine wirksame Entspannungspolitik – bis sie von den USA willkürlich gestoppt wurde. Der Frieden auf der Halbinsel wird aktiv behindert.

Da schien der Friede greifbar: Südkoreas Kim Dae-Jung und Nordkoreas Kim Jong-Il 2000 beim Gipfeltreffen in Pjöngjang. Bild: Tom Kirk

Das grosse Paradoxon in der jüngeren Geschichte Koreas besteht darin, dass der von 1998 bis 2008 in Seoul verfolgten «Sonnenscheinpolitik» gegenüber dem Norden von der selbsterklärten Schutzmacht USA in die Parade gefahren wurde. Nach 2008 setzten zwei stockkonservative südkoreanische Regierungen auf schroffe Konfrontation. Südkoreas neuer Präsident Moon Jae-In favorisiert nun erneut den Dialog mit dem Norden, zum Entsetzen von US-Hardlinern. Bringt Donald Trumps Politik womöglich beide koreanischen Regierungen gegen sich auf? Wenigstens das wäre schon mal beruhigend und ein Teilerfolg.

«Sonnenscheinpolitik»
Mitte Juni 2000 genoss die nordkoreanische Führung als Gastgeber des ersten innerkoreanischen Gipfels den geschichtsträchtigen Moment eines freundschaftlichen Handschlags der Staatschefs beider Teilstaaten und der Vereinbarung der historischen Nord-Süd-Deklaration. Über Familienzusammenführung und gegenseitige Besuchsprogramme hinaus sah diese eine engere Kooperation in den Bereichen Kultur, Handel und Wirtschaft vor. Zu letzterem zählte vor allem der Aufbau des im äussersten Süden Nordkoreas angesiedelten Gaeseong Industrial Complex (GIC).
Möglich geworden war diese erste Zusammenkunft in Seoul und Pjöngjang nach dem Amtsantritt Kim Dae-Jungs im Februar 1998, der eine «Sonnenscheinpolitik» gegenüber dem Norden verkündete. Wandel durch Handel, Annäherung statt Destabilisierung – lautete die Devise in Seoul. Dabei bezog sich Kim Dae-Jung ausdrücklich auf Willy Brandts frühere «Ostpolitik», wenngleich er die Situation beider Länder nie für vergleichbar hielt. Die Nord-Süd-Verständigung fand weltweit breite Unterstützung. Dafür erhielt der südkoreanische Präsident im Jahr 2000 den Friedensnobelpreis.
Anlässlich des dritten Jahrestages der Unterzeichnung der Gemeinsamen Nord-Süd-Deklaration erklärte Südkoreas Kim Dae-Jung im Sommer 2003 unverblümt, dass sich Nordkoreas Atomwaffen, verfügte die Volksrepublik tatsächlich über solche, im Vergleich zum US-amerikanischen Atomwaffenarsenal nachgerade wie «Spielzeuge» ausnähmen. Mitte Juni 2005 reisten anlässlich des fünften Jahrestages des ersten innerkoreanischen Gipfels über 300 südkoreanische Gäste nach Pjöngjang, um dort mehrere Tage lang gemeinsam und ausgelassen dieses Ereignisses zu gedenken.

Plötzlich auf der «Achse des Bösen»
Was zum Jahreswechsel 2000/01 auf einen behutsamen Entspannungsprozess in Korea hindeutete, geriet bereits kurz nach dem Amtsantritt von George W. Bush aus den Fugen. Der neue Chef im Weissen Haus nannte Nordkorea am 7. März 2001 unvermittelt einen «Bedrohungsfaktor in Ostasien», mit dem Gespräche und Sicherheitsgarantien im Zuge einer kompletten Neubestimmung der US-Asienpolitik ausgesetzt würden. Im selben Atemzug stempelte er die «Sonnenscheinpolitik» als «naiv» ab und erkor Nordkorea Ende Januar 2002 nebst Iran und Irak sogar zur «Achse des Bösen».
Um trotz gezielter Störattacken seitens der USA das Momentum der «Sonnenscheinpolitik» zu wahren, kam es Anfang Oktober 2007 zu einem zweiten Gipfeltreffen in Nordkoreas Hauptstadt. Beide Präsidenten, Kim Jong-Il für den Norden und Roh Moo-Hyun für den Süden, unterzeichneten dort am 4. Oktober eine Erklärung, in der sie zu Frieden, Wohlstand und engerer Wirtschaftskooperation auf der Halbinsel aufriefen. In dieser Erklärung bekräftigen Kim und Roh auch den geplanten Abbau des nordkoreanischen Atomprogramms sowie die Einrichtung einer Friedenszone im Gelben Meer, wo die Grenzlinie zwischen beiden Ländern noch umstritten ist.

Lieber guter Feind als mieser Freund
Nach 15-jährigem «Krieg gegen den Terror(is-mus)» mit verheerenden «kollateralen Landschäden» in Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen und Libyen folgt Nordkoreas Nomenklatur sehr rational dem Kalkül: Wenn wir schon international nicht als Freund geachtet, wollen wir wenigstens als Feind auf Augenhöhe geächtet werden.
Was not tut, sind endlich Direktgespräche zwischen den Antagonisten, anstatt immer grössere Drohkulissen aufzutürmen. Die Crux bei alledem hat Donald P. Gregg, ein alter CIA-Fuchs und US-Botschafter in Seoul (1989-93), vor Jahren mit Blick auf die Nordkorea-«Politiken» seiner Regierungen sec resümiert: «Nordkorea zeugt von der längsten ‹failure of US intelligence›. Washington hat keine konsistente Nordkorea-Politik, sondern nur eine Haltung dem Land gegenüber – nämlich Hass». 

   
Rainer Werning ist u.a. Koautor des Buches Korea: Von der Kolonie zum geteilten Land. Promedia Verlag, 2012.

24. Oktober 2017
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