Als Touristen sind wir Teil einer Kraft, die (meist) das Gute will und stets das Böse schafft.

Illustration: ron&joe

Vergangenen Sommer in Barcelona: Ein Bus voller Touristen wird von Vermummten angegriffen. Den Insassen passiert nichts, aber die Reifen werden aufgestochen, die Scheiben mit Parolen besprüht: «Der Tourismus tötet die Stadtviertel». Auch auf Ballermann-Mallorca – einem beliebten Ziel jener, deren Vorstellungen des idealen Urlaubs sich in Sonne, Saufen und Sex erschöpfen – reagiert man ziemlich ungehalten auf diesen «Abschaum» an Touristen, wie ihn sogar der Bürgermeister von Palma unumwunden nennt. Auf Plakaten, mit denen man vor dem Tourismusministerium protestiert, steht zu lesen: «Tourists = Terrorists». Keiner der Einwohner der Insel hat Lust auf die explodierenden Immobilienpreise, die Gentrifizierung, die Randale und die Obszönitäten, die die Flut dieser speziellen Touris mit sich bringt.

Das laotische Vang Vieng war noch vor wenigen Jahren ein sicherer Tip für Exzesse junger Individualreisender. 120 000 party people fielen jährlich in dem zuvor beschaulichen Städtchen mit rund 25 000 Einwohnern ein, um Alkohol buchstäblich kübelweise zu konsumieren, Drogen auszutesten und abgefahrene activities zu unternehmen wie das tubing, bei dem man sich völlig zugedröhnt in alten LKW-Reifen den Mekong hinuntertreiben liess. Unfälle mit Platzwunden und Knochenbrüchen, Drogen- und Alkoholvergiftungen waren an der Tagesordnung.
Als 2011 rund 30 davon tödliche Folgen hatten, entschloss sich die Provinz, auf die Devisen-Dollars zu verzichten und dem Treiben ein Ende zu bereiten. Nicht nur, um das Feiervolk vor sich selbst zu schützen, sondern auch, um die Folgen ihrer Besuche wie Diebstähle, brachliegende Felder und westliche Beeinflussung der örtlichen Jugend einzudämmen. Heute nimmt man in Kauf, dass wesentlich weniger Reisende vorbeikommen. Mehr noch: Man begrüsst es.

Wie Heuschrecken fallen wir in idyllische Paradiese ein, wo wir die Ressourcen plündern und uns ganz allgemein suboptimal verhalten, weil Urlaub ja immer eine Ausnahmesituation darstellt.

Je billiger die Flüge, desto kleiner die Welt. Die Globalisierung, die sich auch in unserem Reiseverhalten ausdrückt, ist längst kein zweischneidiges Schwert mehr, das Fluch wie auch Segen bedeutet. Sie ist eine scharfe Sense in Reisegrösse, mit der jener apokalyptische Reiter, der in Economy unterwegs ist, durch die Reisenden, Veranstalter und Dienstleister vor Ort pflügt. Wir Touristen haben ihn gerufen – mit unserem Anspruchsdenken, unseren als Erwartungshaltungen verbrämten Vorurteilen, unserem Neokolonialismus, unserer Ignoranz und Arroganz. Wie Heuschrecken fallen wir in idyllische Paradiese ein und nutzen die traditionelle Gastfreundschaft aus, plündern die Ressourcen und verhalten uns ganz allgemein suboptimal, weil Urlaub ja immer eine Ausnahmesituation darstellt, in der die Regeln des gesellschaftlichen Miteinanders nicht gelten.
Berauscht davon, dass unser Geld hier mehr Kaufwert hat als daheim, fordern wir immer mehr und bekommen auch immer mehr – bis wir irgendwann glauben, dass alles auf dieser Welt käuflich ist: Service und Sex, Kinder und Organe, Ehre und Tradition der Einheimischen. Irgendwann lassen wir dann enttäuscht davon ab, weil das Feld leergefressen ist, das authentische Ambiente verwässert, das Essen zu westlich und weil ohnehin zu viele andere Touristen unterwegs sind – und ziehen weiter, suchen das nächste Feld.

Halt, rufst du jetzt empört, so ist es doch nicht, so bin ich doch nicht! Touristen, das sind immer die anderen. Das sind die, die pauschal buchen oder in Rudeln reisen, die in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Dinge sehen wollen oder nur deswegen wegfahren, um die Daheimgebliebenen mit Fotos auf Facebook neidisch zu machen. Ich dagegen – sagst du, sage ich! – bin eine Reisende, ein Gast, und suche das Authentische, Ursprüngliche.
Natürlich brauche ich auch eine gute Infrastruktur, stabilen Internetzugang und Automaten zum Geldziehen, gute Betten und gelegentlich ein Stück Pizza, wenn ich das lokale Essen nicht vertrage – von einem Mindestmass an Hygiene ganz abgesehen. Ich benütze das Handtuch im guesthouse mindestens drei Tage lang, bevor ich es wechseln lasse, bin neugierig auf die örtlichen Sitten, in die ich gerne involviert werde, wenn sie nicht allzu eigentümlich sind, und will in einem kurzen Gespräch mit den wenigen Floskeln, die mein Gegenüber gerade so auf Englisch radebrechen kann, ein inniges Verhältnis zur Bevölkerung aufbauen.
Im Gegenzug dafür will ich um meiner Selbst geliebt werden – und nicht nur deshalb, weil ich bereitwillig (und unwissend) immer viel zu viel bezahle oder sattes Trinkgeld gebe, weil es mir doch so viel besser geht als den Zimmermädchen und Kellnern. Wo ich gehe, stehe und Souvenirs kaufe, trete ich ein für das Verständnis der Völker, für Toleranz und die Begegnung fremder Kulturen.
Na sicher doch. Und diese Erde, die wir so eifrig bereisen (eine Milliarde internationaler Reisen pro Jahr – Tendenz steigend!), ist eine Scheibe.

Als Touristen sind wir Teil einer Kraft, die (meist) das Gute will und stets das Böse schafft. Wenn wir nicht erkennen und akzeptieren, dass wir Teil des Problems sind – so schmerzlich es auch ist, so wenig wir es auch beabsichtigen –, dann werden wir keine Lösung finden. Und die tut Not, denn die Welt ächzt und stöhnt unter unserem Ansturm, ganz gleich, ob wir in Bettenburgen all inclusive nächtigen oder mit dem Rucksack unterwegs sind. In der Quantenphysik verändert der Beobachter das, was er beobachtet, durch sein Beobachten. Beim Reisen verändern wir das, was wir berühren, durch unseren Besuch – und nicht zum Besseren. Nur auf den ersten Blick bringen wir Arbeitsplätze, bessere Ausbildungsangebote und Chancen auf soziale Mobilität. Gleichzeitig tragen wir Sozialneid und Kriminalität, Prostitution und Ausbeutung, Fremdbestimmung und in Folge sogar Fremdenhass in das gesellschaftliche Gefüge unserer Gastgeber, zerstören ihre ureigene Lebensweise und machen sie zu Abhängigen unserer weltenkonsumierenden Gunst. Von den verheerenden ökologischen Folgen und der nicht mehr zu stemmenden Überlastung der Urlaubsorte mal ganz zu schweigen.

Ich selbst, im Glashaus sitzend, kritisiere, ohne eine Lösung zu kennen. Die kann nicht darin bestehen, dass wir alle Zu Hause bleiben oder halbherzig in Form von CO2-Kompensationen und Ökohotel-Buchungen für unser schlechtes Gewissen bezahlen. Also reise ich weiter. Über bestehende touristische Strukturen vor Ort freue ich mich, weil ich dann nicht etwas Neues durch meine Nachfrage erschaffe, sondern etwas Vorhandenes nutze. Ich versuche, zu akzeptieren, was ist, ohne es mit meiner Vorstellung davon, wie es zu sein hat, zu verbiegen, und lege auswärts wesentlich bessere Manieren an den Tag als daheim. Ich hetze nicht – weder mich noch andere, denn der Zeitfaktor macht aus einem Touristen einen Reisenden; und Solidarität und Verständnis machen aus einem Reisenden einen Gast. Die Menschen anderswo wollen auch nur ihren Lebensunterhalt verdienen, und Kritik daran steht uns Aussenstehenden nicht zu.

Berauscht davon, dass unser Geld hier mehr Kaufwert hat, fordern wir immer mehr – bis wir irgendwann glauben, dass alles
auf dieser Welt käuflich ist.

Wenn ich als Touristin ein notwendiges Übel bin, das die Einheimischen in Kauf nehmen, um zu überleben – dann will ich das kleinstmögliche Übel sein. Obwohl ich als Reiseleiterin vor vielen Jahren weltweit Dinge gesehen habe, die mich mit den eingangs erwähnten Spaniern sympathisieren lassen, widerspreche ich diesen: Touristen sind keine Terroristen, auch wenn nicht nur der Gleichklang der Wörter, sondern oft genug aggressives Auftreten diese Assoziation nahelegen.
Ihre Taten, unsere Taten,  sind weder ideologisch motiviert noch haben sie die Intention, zu schaden – selbst wenn sie letztendlich diese Auswirkungen haben. Touristen wollen sich amüsieren und schlagen dabei über die Stränge; sie verletzen Grenzen, indem sie mehr mitnehmen als die berühmten Erinnerungen und mehr hinterlassen als Fussabdrücke. Die Möglichkeit zu reisen ist ein Privileg – das mit Achtsamkeit und Verantwortung wahrgenommen werden sollte. Es muss doch einen Weg geben, sich in dieser Welt zu bewegen und ihren Menschen zu begegnen, ohne damit Schaden anzurichten! Wenn wir alle die Augen und Herzen offen halten, werden wir ihn finden.