Handystrahlung: Beim Bund fühlt sich niemand zuständig

Viele Handys halten die gesetzlichen Grenz­werte für Strahlung nicht ein. Die Behörden unternehmen nichts dagegen. Interne Dokumente zeigen, wie der Schweizer Bund die Kontrolle der Strahlenwerte auf die lange Bank schiebt, schreibt Jonas Arnold
Veröffentlicht: 14. May 2024 - Zuletzt Aktualisiert: 14. May 2024

Die französische Strahlenbehörde prüft regelmäßig die Strahlung, die von Smartphones ausgeht. Deren Hersteller geben die Strahlenwerte zwar auf der Verpackung an. Unabhängige Messresultate der Behörde zeigten aber, dass darauf kein Verlass ist: Seit 2017 hielt von 594 kontrollierten Geräten fast jedes zehnte die Grenz­werte für Strahlung nicht ein. Auch ein «Saldo»-Test zeigte, dass viele Handys stärker strahlen als deklariert («Saldo» 5/2018).

Auf der Liste der Handys, die zu stark strahlen, landete letztes Jahr auch das iPhone 12 von Apple. Beim Tragen in der Hand strahlte es mit 5,74 Watt pro Kilo Körpergewicht. Laut den gesetzlichen Vorschriften sind aber nur 4 Watt pro Kilo (K-Tipp 16/2023) erlaubt. Folge: Das iPhone 12 durfte in Frankreich nicht mehr verkauft werden, bis Apple die Strahlenwerte mit einer neuen Software senkte. In der Schweiz gibt es keine Behörde, welche die Einhaltung der Strahlengrenzwerte überprüft. Darum setzte der Bund vor vier Jahren eine Arbeitsgruppe ein. Der K-Tipp verlangte gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz die Unterlagen dazu.

Die Dokumente zeigen: Die Frage, wer die Handystrahlung kontrollieren soll, besprachen ab Juli 2020 vier Bundesämter. Der damalige Bundesrat Alain Berset entsandte Vertreter des Bundesamtes für Gesundheit. Aus dem Departement der damaligen Vorsteherin Simonetta Sommaruga kamen Vertreter der Bundes­ämter für Kommunikation und für Energie sowie des Starkstrominspektorats.

Im Januar 2021 merkte die Arbeitsgruppe an: «Im Moment ist niemand zuständig für die Marktüberwachung.» Die Bundesämter ließen sich das von Bundesjuristen bestätigen und verfassten einen ersten Entwurf eines Aussprachepapiers. Im November 2021 hielt die Arbeitsgruppe fest: «Aufgrund der fehlenden Marktüberwachung könnten Produkte auf dem Markt bereitgestellt werden, die zu stark strahlen und die Gesundheit der Benutzer gefährden.» Dieser Entwurf machte auch klar, dass keines der Bundesämter selber die Kontrolle übernehmen wollte: «Es ist schwierig, eine gemeinsame Position zu finden.»

Bundesrat will keine Kontrollbehörde

Im Juli 2022 notierte das Bundesamt für Gesundheit: «Die bestehenden Differenzen können auf Amtsebene nicht gelöst werden.» Damit ging das Dossier an Bundesrat Alain Berset. Wegen der Pandemie dauerte es nochmals mehr als ein Jahr, bis Berset dem Gesamtbundesrat einen Vorschlag machte. Er nannte dabei die französischen Behörden als Vorbild, verwies auf die Strahlenbelastung durch Handys und erwähnte die Bundesverfassung. Diese verpflichte den Bundesrat, ein «Marktüberwachungs­system» einzusetzen. Er müsse zumindest mit Stichproben prüfen, dass die Grenz­werte eingehalten werden. Dies koste pro Jahr zwischen 955'000 und 1,31 Millionen Franken.

Trotzdem empfahl Berset dem Bundesrat im November 2023, nichts zu unternehmen. Nach Rücksprache mit Umweltminister Albert Rösti habe er festgestellt, dass für Kontrollen das Geld fehle. Die Finanzverwaltung merkte laut Unterlagen kurz vor der Bundesratssitzung an, das Argument «fehlende Ressourcen» überzeuge nicht: «Der Bundesrat könnte diese Gelder priorisieren.» Dennoch beschloss er, dass weiterhin keine Behörde die Strahlung kontrolliert. Die Zürcher Nationalrätin Marionna Schlatter (Grüne) fordert in einem Vorstoß, dass der Bund eine Kontrollbehörde bestimmt. Der Bundesrat hat diese Forderung bereits abgelehnt.