Das Leiden der klimaneutralen Kühe

Kühe müssen Milch liefern. Möglichst viel. Und aus Klimaschutzgründen noch mehr. Die Kolumne aus dem Podcast «Fünf Minuten» von Nicolas Lindt

Kuh
Eigentlich hätten Kühe eine viel höhere Lebensdauer (Foto: N. Lindt)

Wer daran glaubt, dass der Klimawandel massgeblich von den Menschen verschuldet wird, und wer ausserdem daran glaubt, dass der Mensch denselben beeinflussen kann, wird an einem Bauern wie Thomas Jucker seine Freude haben. Aus der Sicht des politischen und wissenschaftlichen Mainstreams ist Jucker ein ganz vorbildlicher Landwirt, denn gemäss einem Bericht im «Zürcher Oberländer» gehört er zu den 230 Milchbauern, die am Projekt «Klimastar Milch» teilnehmen. Das Projekt wird von Konzernen der Milchindustrie – unter anderem von Nestlé und Emmi – getragen und vom Staat mit 16 Millionen Franken gefördert.

Was will das Projekt? Für jeden Liter Milch stösst eine Kuh umgerechnet 900 Gramm CO2-Gase aus. Das bedeutet, dass die rund 520’000 Milchkühe in der Schweiz für 7 Prozent sämtlicher CO2-Emissionen in unserem Land verantwortlich sind. Eine stolze Zahl. Damit tragen die Kühe – aus Mainstreamsicht – allein durch ihre Verdauung eine beträchtliche Schuld an der Klimaerwärmung. Die am Projekt beteiligten Bauern sollen deshalb die Treibhausgase von ihren Kühen innert sechs Jahren um wenigstens 20 Prozent pro Liter Milch reduzieren.

Neue Methoden und Techniken zu erproben, hat den Weisslinger Bauern schon immer gereizt. Er macht mit Begeisterung mit, und er kann sich auf seine 57 «Ladies», wie er die Kühe liebevoll nennt, offensichtlich verlassen. Während eine durchschnittliche Schweizer Milchkuh 7’000 Liter pro Jahr produziert - man beachte das Wort –, geben die Holsteiner Hochleistungskühe von Thomas Jucker 10’000 Liter pro Jahr. Doch für den Klimaschutz ist das zu wenig. Der innovative Bauer macht deshalb eine einfache Rechnung: Gäbe jede einzelne Kuh noch mehr Milch, bräuchte man weniger Kühe. Und weniger Kühe stossen weniger Gase aus. 

Damit die Kuh mehr Milch produziert, braucht sie aber stärkeres Futter. Jucker  ernährt seine Kühe deshalb mit einer ausgeklügelten Mischung aus Gerste,  Triticale - eine Kreuzung von Weizen und Roggen –, Mais, Heu und Gras. Einen Teil des Futtergetreides baut er auf dem eigenen Hof an. «Kurze Wege sind besser fürs Klima», sagt der Bauer. Die staatliche Klimapolitik darf mit ihm sehr zufrieden sein. Wenige Bauern sind so leidenschaftliche Werbeträger wie er. 

Neben den «Ladies» sieht Thomas Jucker auch bei den «Girls» Verbesserungspotential. Kälber geben noch keine Milch, aber auch sie belasten mit ihrer Verdauung bereits auf sträfliche Weise das Klima. Der clevere Landwirt sieht die Lösung - um es etwas drastisch zu sagen – in «Kinderhochzeiten»: Je früher der Stier zu den Kälbern kommt, desto früher werden sie Kühe und desto früher geben sie Milch. «Damit steigt die Menge Milch pro Kuh und Lebenszeit, gleichzeitig sinken die Treibhausgasemissionen pro Liter Milch», rechnet der Bauer vor.

Für seine Experimentierfreudigkeit wird der Weisslinger «Klimastar» angemessen belohnt. Pro Liter seiner klimafreundlichen Milch erhielt Jucker letztes Jahr 4 zusätzliche Rappen, sodass er 18’000 Franken Zusatzeinkommen einstreichen durfte. Vorbildlich wie er ist, investierte er einen Teil des Geldes in die Erprobung eines neuen Futterzusatzes, der ihm ermöglichen wird, noch mehr Leistung aus seinen Vorzeigekühen herauszuholen. Nach fünf bis sechs Jahren nimmt dann ihre Produktivität ab und sie dürfen zum Dank den Transporter besteigen, der sie zum Schlachthaus bringt.

Eigentlich hätten Kühe eine Lebensdauer von 20 bis 25 Jahren. Aber solche Sentimentalitäten sind für Klimaschützer nicht schützenswert. In seinem Fortschrittstaumel hat auch der ehrbare Bauer nur eine Sorge: seinen ökologischen Fussabdruck. Wie es seinen erschöpften, überzüchteten  Hochleistungsladies geht, ist ihm keine Erwähnung wert. Und auch der Berichterstatter denkt nicht daran, nach dem Wohlergehen der Tiere zu fragen. Früher drehte sich in der Milchwirtschaft alles nur um die Milchleistung. Jetzt geht es wieder nur um die Leistung. Dem Klima zuliebe. Das nichts dafür kann, dass die Menschen zur Hysterie neigen.

Schon die Kälber müssen für den «Klimaschutz» leiden. Zwar wird noch immer die Mutterkuhhaltung gepriesen, aber die Teenagerzeit der Kälber muss abgekürzt werden. Weil sie klimaschädigend ist. Die Eingliederung in den Arbeitsprozess muss früher beginnen, damit die ehemaligen Kälber ihre Treibhausgase durch Milchlieferung wiedergutmachen. Und als Ladies, in den folgenden Jahren, müssen sie alles geben. 10’000 Liter jährlich sind nicht genug. Es gebe auch Holstein-Kühe, sagt Thomas Jucker, mit einer Jahresleistung von 13'000 Litern. «Das ist eine Frage der Genetik, aber auch der Fütterung.» 

Und eine Frage der Ausbeutung ist es nicht?

Keine Frage – Bauern stehen unter massivem Druck. Möglichst billig sollen sie produzieren, möglichst naturnah, dem Tierwohl verpflichtet – und neuerdings möglichst «klimaneutral». In Irland hat das Agrarministerium letztes Jahr vorgeschlagen, zur Erreichung der «Klimaneutralität» 10 Prozent aller Mutterkühe zu schlachten. 740’000 irische Kühe sind auf der Todesliste. Wir in der Schweiz machen es schlauer. Mit staatlicher Propaganda und Steuergeldern nötigen wir die Bauern, aus ihren Kühen mehr Leistung herauszupressen. Und weniger Kälber zur Welt zu bringen. Ein Bauer, der da nicht mitmachen will, kann kein «Klimastar» werden und bekommt keinen Bonus. 

Nachdem schon die Menschen mit immer mehr Bonus- und Maluspunkten fürs Klima diszipliniert werden sollen, sind jetzt die Tiere dran. Leben darf die Kuh nur, wenn sie liefert. Noch mehr als bisher. Innert kürzester Zeit ist sie dann ausgelaugt und kommt auf die Schlachtbank. Geopfert auf dem Altar der neuen Religion «Klimaschutz». Damit die Klimaschützer gut schlafen können.

Kommentare

Von der Kraft der Emotionen

von MS
Dieser Artikel hat mich zuerst sehr traurig gestimmt. Ist es wirklich war, was wir Menschen da treiben? Ist das Ver-antwort-bar? Nein ist die klare Antwort. Also habe ich eine persönliche mail an das Bundesamt für Landwirtschaft geschrieben... wenn viele Menschen, an vielen Orten, viele kleine Dinge tun... Danke :)