Genug der Worte!

Wortwitz und Wortgefechte im Alltag einer Schreiberin

Am Anfang war das Wort – und seither sind noch ein paar dazugekommen. Sie liegen auf der Zunge oder werden im Mund umgedreht; sie werden uns einzeln aus der Nase gezogen, wenn sie im Hals stecken bleiben; sie öffnen den Sesam und schützen den Internetzugang. Das rechte Wort zur rechten Zeit erspart den Zimmermann, wie der Volksmund weiss – und der kennt sich aus mit Redewendungen, die unbeholfen herumstehen wie Teenager auf einer Party. Ein gutes Bonmot mundet besser als ein süsses Bonbon; es wird auf die Goldwaage gelegt oder von unsichtbarer Hand als Menetekel an die Wand geschrieben (in leuchtender Farbe kann es als Slogan der Crosspromotion dienen: düstere Warnung und Deko-Idee in einem). Das Wort ist schärfer als jedes zweischneidige Schwert (steht im Kleingedruckten bei Hebräer 4,12). Wörter sind Waffen (siehe Harry Potter) – aber, wie jeder aus eigener Erfahrung weiss, nicht so frei wie die Gedanken. Und doch sind sie nur Schall und Rauch.


Worte sind inflationär in ihrer Fülle. Wir haben so viel davon, dass wir den Russen «Butterbrot» abgeben können, den Angelsachsen «angst» und den Franzosen «le heimweh.» Allein dieses Zeitpunkt-Magazin hat mehr Wörter, als Sie je brauchen werden, um wortgewandt durchs Leben zu kommen. Und doch gibt es einige Wörter, die fehlen. Wenn man nicht mehr hungrig ist, ist man satt – doch wie heisst die Entsprechung beim Durst? «Rettet dem Dativ» hat als grammatikalpolitische Aufforderung jegliche Brisanz eingebüsst, und der Werbung gelingt es, durch schamlose Verbalkosmetik aus jedem Eimer ein «traditionell multifunktionales, beidhändig zu bedienendes Transport- und Aufbewahrungs-Kombigefäss in klassisch-minimalistischem Design» zu machen.


Verben stehen aktuell weit oben in der Wort
hierarchie – den Hauptwörtern in der Pole-Position dicht auf den Fersen. Adjektive dagegen haben müssen ihr klägliches Dasein in der Halbwelt von Werbung und Groschenromanen fristen. Dass manche Wortgruppen stilistisch völlig diskriminiert werden, musste ich neulich selbst erfahren, als ich meinen Lektor in einem Vorwort-Lokal traf. Da der wortgewaltige Mann mich eingeladen hatte, um ein ernstes Wort mit mir zu reden, befand ich mich nicht gerade in freudiger Erwortung. Er ging auch gleich in medias wort: «Du musst verantwortlicher bei der Wortwahl sein. Dein Gebrauch an Adjektiven ist ohnehin bedenklich – aber diese Menge an Adverbien, das geht zu wort!»


Ich schwieg beleidigt und löffelte nervös meine Buchstabensuppe. Das Radio sang monoton: «Bitte gib mir nur ein Wort!», während der Kellner versehentlich ein zweisprachiges Menü fallen liess. Im Aquarium die einzigen Wesen, die nicht viel Worte machten. Dann fragte ich etwas barsch: «Soll ich mich vielleicht vorsorglich gegen Adverbien impfen lassen?»


«Gib dir etwas Mühe, dann wort das schon», antwortete er. «Kommt Zeit kommt Wort, wie es so schön heisst.»


«Worte sind geladene Pistolen, sagt Sartre», sagte ich.


«Worte sind Taschen, in die bald dies, bald
jenes, bald mehreres auf einmal hineingesteckt worden ist. Sagt Nietzsche», sagte er.


«Der Irrtum wiederholt sich immerfort in der Tat, deswegen muss man das Wahre unermüdlich in Worten wiederholen», parierte ich mit Goethe.


«Doch nur, wo Worte selten, haben sie Gewicht», versetzte er mir einen Shakespeare-Hieb.


Da mir die WordsApp auf dem Smartphone nicht weiterhalf, ging ich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Ich hatte noch einen Termin in der Vogelworte der kleinen Wortschaft. Die Adverbien würde ich (schmerzlich) vermissen.


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Martina Pahr hat Anglistik und Germanistik studiert, als TV-Produzentin, Redakteurin und Reiseleiterin gearbeitet und 2012 ihren ersten Roman «Der Seifenblasenverkäufer» veröffentlicht. Zurzeit ist sie in München als Textarbeiterin selbständig und findet, dass generell zu wenig witzig geschrieben wird.

Mehr von ihr unter: www.martinapahr.de
25. Februar 2015
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