Warten auf den Regen

Tagebuch eines Selbstversorgers


Im September 2013 übernahm ich ein wild überwuchertes, zehn Aren grosses Terrain in Le Bousquet d’Orb (Haut Languedoc, Frankreich). Eine Dame stellte es mir für meine Selbstversorger-Experimente gratis zur Verfügung. Mehr als zehn Jahre lag die südlich ausgerichtete, leicht abfallende Parzelle brach. Die gemeine Quecke hatte sie eingenommen, weshalb ich im Herbst auf zwei Dritteln der Fläche Roggen aussäte, um ihr den Kampf anzusagen. Mit dem Vierzahn hatte ich zuvor stundenlang gegen das Süssgras angekämpft. Bereits im Herbst kamen Kefen, Saubohnen, Nüssler, Rukola und Petersilie in den Boden. Ende Januar bei einer mehrtägigen Visite säte ich Spinat, pflanzte Knoblauch – und genoss den ersten Nüsslersalat, garniert mit frischer Petersilie!
Und jetzt, nach meiner neuerlichen, nun definitiven Rückkehr, bin ich vorerst mit dem Schneiden des hohen Grases und Jäten beschäftigt. Mit der Sense befreie ich die diversen Beete und schneide einen Teil des Roggens, der als Gründünger in den Boden eingearbeitet und so den Folgekulturen dienen wird. Zu meinem Erstaunen konnte ich bereits in die erste knackige Kefe beissen und – weniger erstaunlich – junge Spinatblätter verzehren.

Die Teilselbstversorgung ist angelaufen. Noch bin ich aber weit davon entfernt, mich einzig von meinem Nutzgarten versorgen zu können. Weil mein Engagement in den Wintermonaten beschränkt war, muss ich jetzt umso mehr investieren. Denn meine Ambition ist klar: Ich möchte mir eine Teilautoniomie schaffen und über mehrere Monate kein Gemüse einkaufen. Ich will dabei soviel produzieren, dass ich genügend Konserven für den Winter einmachen kann. Den aktuellen Mangel kompensiere ich mit Tauschgeschäften unter befreundeten Gärtnern: in der letzten Saison getrocknete Kräuter oder ein coup de main gegen etwas Gemüse. Das Gros der stärkehaltigen Nahrungsmittel und Milchprodukte kaufe ich ein, darum herum komme ich derzeit nicht. Eier erhalte ich hie und da von Freunden. Früchte sammle ich wild oder auf verlassenen Obsthainen. Fleisch will ich mir erst gar nicht leisten.

Die Kulturen, die ich anbauen werde, passe ich den Voraussetzungen vor Ort an: Viel Wasser zehrendes Gemüse wird einzig in kleinen Mengen ausgesät. Ich sammle zwar das Regenwasser, doch fliessendes Wasser habe ich nicht. Ich sehe das als Herausforderung. Deshalb fokussiere ich mich u.a. auf anspruchslose Leguminosen wie Kichererbsen oder Linsen und mehrjährige Kräuter wie Oregano, Majoran oder Salbei, die Trockenheit mögen. Winterweizen und Roggen baue ich für die Mehlherstellung an; Kürbisse und Kartoffeln erhalten ihr eigenes Beet; Tomaten, Zucchetti, Rüebli und so weiter werden auf zwei Hügelbeeten gemischt angebaut.
Giggerig sei ich, habe ich immer wieder gesagt, als mich Leute nach meinem Gemütszustand fragten, während ich vorübergehend in der Schweiz weilte. Zuletzt wurde ich fast nervös, weil ich wusste, dass in diesem Jahr wegen der milden Temperaturen eine frühere Aussaat möglich gewesen wäre. So half ich, wo ich konnte bei der Lancierung diverser Gemüsegärten von Freunden. Mein in den letzten Jahren selbst produziertes Saatgut konnte ich so schon mehrmals weitergeben. Das freut mich: Denn echte Selbstversorger-Autonomie hat erst, wer das Saatgut nicht teuer erstehen muss!
Die temporäre Absenz im Garten hat mir gezeigt, dass sich die bereits ausgesäten Kulturen auch ohne tägliche Pflege gut zurechtfinden. Jetzt beschäftigt mich, dass für die nächsten zwei Wochen kein grösserer Regen angekündigt ist. Denn für die Direktaussaat der Leguminosen auf mehr als 100m2 benötige ich zwingend mehr als nur einen Nieselregen. Sonst wird mein gewonnenes Regenwasser schon früher weg sein, als mir lieb ist.

Pascal Mülchi (29) ist freier Journalist und passionierter Gärtner. Er ist in der Region Solothurn/Bern aufgewachsen. Seit mehreren Jahren ist er mehrheitlich in Südfrankreich unterwegs und befasst sich mit biologischem Gartenbau und Selbstversorgung. Auf seiner Website pascoum.wordpress.com erfahren Sie mehr!

04. Mai 2014
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