«Mich interessiert das urhelvetische Mentalitäts-Geröll.»

Hanspeter Müller-Drossaart ist mit seinem Kabarett-Programm «Himmelhoch» über schweizerische Befindlichkeit unterwegs. Im Interview mit Urs Heinz Aerni gibt er Auskunft über diffuse Minderwertigkeitsgefühle, seine Absichten und das Besondere am Kabarett.



Urs Heinz Aerni: Hanspeter Müller-Drossart, Ihr aktuelles Kabarett-Programm «Himmelhoch» bringt mit hoher Kunst der Ironie das Publikum auf den helvetischen Boden zurück. Wie kamen Sie auf diesen Titel?
Hanspeter Müller-Drossaart: Bereits als pupertierender Gymnasiast in Wertherscher Liebes-Verzweiflung packte mich Geheimrat Goethe mit seinem Vers „himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt“ am melancholischen Schlafittchen. In einer einzigen Zeile verpackt; der ganze menschliche Zwiespalt zwischen Euphorie und Untergangslust! Großartig!

... die dann für Sie zur Adaptionsvorlage wurde.
Als Bühnen-Ironiker interessiert mich unsere schweizerische, mit Kleingeistigkeit gepaarte Selbstüberschätzung und das darunter lauernde, provinzielle, oft mit diffusen Minderwertigkeits-Gefühlen genährte urhelvetische Mentalitäts-Geröll!

Schön gesagt, da fühlt man sich gleich heimisch...
Es ist eine reichhaltige Landschaft, die einlädt sich schmunzelnd über die eigene Schulter zu schauen, und evtl. einem Hauch von Einsicht zu begegnen! Der Titel «himmelhoch» soll also augenzwinkernd auf unsern «Ritt auf dem hohen Ross», auf unsere Größen-Phantasien hinweisen, wobei die Abstürze natürlich erheiternde Bestandteile der Unterhaltung bilden.

Sie arbeiten unter anderem mit verschiedenen Figuren und Dialekten aus dem Wallis über Bayern bis ins Glarnerische. Könnte man es auch als eine Pflege der Artenvielfalt an Charakteren sehen?
Mich interessiert diese großartige Farbigkeit der Mundarten und wie die Menschen darin seelisch angesiedelt sind. Dialekte sind für mich wesentliche Identitätsträger und schaffen Verbindlichkeiten, Reibung und Zugänge. Ich kann mit den regionalen Dialekten das plastisch «Amächelige», das scheinbar Fremde und das Universelle der menschlichen Schrulligkeiten beleuchten. Der Zuschauer kann sowohl über die lokale Sprachmusik staunen als auch über die «Chnebelgrinde» schmunzeln. Im Idealfall ergibt sich eine Art schweizerisches «Pro-spezie-rara»-Treffen, wo man seine eigenen Verhaltens- und Denkmuster  im Vergleich mit denen des Nachbarn belachen kann.

Das Kabarett ist eine besondere Form der Gesellschaftskritik, wo sehen Sie dessen Potenzial im Vergleich zu anderen Kulturdisziplinen wie zum Beispiel Literatur oder Journalismus?
Die besondere Kraft des Kabaretts liegt im Live-Moment,  im Hier und Jetzt, im unmittelbaren dialogischen Austausch mit dem Publikum! Das Kabarett kann und muss schnell und beweglich reagieren. Aussage, Form, Reibung, Pointen und die angesteuerte Erheiterung müssen innerhalb der Vorstellung realisiert werden. Es wird mit barer Münze bezahlt. Entweder gefällt es dem Publikum oder eine fragende Stille breitet sich aus. «O Schreck! Der Witz hat nicht funktioniert!»
Das gemeinsame Erlebnis von kritischem Angriff auf unsere Irrtümer und Eitelkeiten und gleichzeitigem Lachen darüber, verbreitet Wohlgefühl und Erkenntnis-Flocken.
Infos und Auftrittsdaten:
hanspeter-mueller-drossaart.jimdo.com
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Hanspeter Müller-Drossaart wurde 1955 in Sarnen geboren und lebt heute als Schauspieler und Kabarettist mit seiner Familie bei Zürich. Mit Filmen wie «Grounding» und «Die Herbstzeitlosen» wurde er dem breiten Publikum bekannt. Ein vertrauter Name ist er Literaturfreunden als Leser im «Literaturclub» (SRF und 3sat) und in der Sendung «52 beste Bücher» von Radio SRF2 Kultur. Große Theatererfolge feierte er u. a. mit „Top Dogs“ und „Dällebach Kari“. Nach dem Kabarett-Stück «Menü 3» ist nun Müller-Drossaart mit «Himmelhoch“»auf Tour.
16. Juli 2014
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