P.M. liest im Oktober

Der Zürcher Kultautor P.M. setzt mit «Neustart Schweiz» dort an, wo das Zusammenleben mit anderen Menschen, die Gesellschaft an sich, beginnt: in der Nachbarschaft. Anstatt sie auf Treppenhausgespräche und ein gelegentliches Quartierfest zu beschränken, gibt er ihr eine soziale Struktur und eine wirtschaftliche Funktion.

P.M. liest gleich zwei Mal im Oktober aus der überarbeiteten Neuauflage von «Neustart Schweiz», erschienen im Zeitpunkt Verlag:
20. Oktober 2010 - 20:00
étage / St. Gervais, Untergasse 21, Biel www.vision2035.ch

28. Oktober 2010 - 17:15
FHNW, Klosterzelgstr. 2 (Audimax), 5210 Windisch www.fhnw.ch/ringvorlesung

Mit dem Bestseller von 1983 hat P.M. die Idee der lebendigen Nachbarschaft in einer ganzen Generation von Alternativen und Urbanisten populär gemacht. «Neustart Schweiz» ist gewissermassen die politisch-wirtschaftliche Fortsetzung seiner 25 Jahre alten Vision, erweitert um die Erfahrungen mit konkreten Siedlungsprojekten und angepasst an die Forderungen dieser Zeit des Umbruchs.
Basis der Neuorganisation der Schweiz nach P.M. ist eine neue Kooperation von Stadt und Land: Landwirtschaftsbetriebe mit je rund 100 Hektar versorgen Nachbarschaften von etwa 500 Personen mit den nötigen Lebensmitteln. Die Landwirtschaftsbetriebe verfügen über eigene Verarbeitungskapazitäten und beliefern kleine Läden, die von den Nachbarschaften genossenschaftlich geführt werden. Die Nachbarschaften verfügen über ein Begegnungszentrum mit Grossküche, Mediothek und anderen Dienstleistungen, die das Leben vereinfachen und je nach Wunsch auch luxuriöser machen. «Was man im Pantoffelbereich erledigen kann, spart Energie», sagt P.M., der geistige Vater der europaweit beispielhaften Siedlung Kraftwerk1 in Zürich. Obwohl diese Siedlung mit 250 Bewohnerinnen und Bewohnern nur halb so gross ist wie eine ideale Nachbarschaft, ist das Interesse an Mitarbeit gross. Im Kraftwerk-eigenen Laden wollen jeweils mehr Leute – gratis – mithelfen, als nötig sind.
Warum 500?
Die Idealgrösse einer Nachbarschaft von 500 Personen ergibt sich einerseits aus Forschungen des Instituts für Agrarökonomie der ETH Zürich, die 500 als minimale Grösse für eine dörfliche Ökonomie ermittelt hat. Anderseits hat die Kommunikationsforschung in Gruppen gezeigt, dass in kleineren Gruppen die Nebenwirkungen unvermeidlicher individueller Konflikte mehr Gewicht haben als in grösseren Gruppen, die über vereinsähnliche Strukturen verfügen.
Das Leben in solchen Nachbarschaften wird einfacher, lebendiger und auch luxuriöser, was das Bedürfnis, für Einkauf, Vergnügen und Erholung an andere Orte zu fliehen erheblich reduziert. Die soziale Energie einer intelligenten Lebensweise vermindert auch den Energieverbrauch. Kraftwerk1 als vergleichsweise unvollkommene Nachbarschaft hat die 2000-Watt-Gesellschaft bereits verwirklicht.
Das nächsthöhere Organisationselement nach der Nachbarschaft ist gemäss «Neustart Schweiz» die Basisgemeinde mit zehn bis vierzig Nachbarschaften, also Quartiere und Kleinstädte mit 5000 bis 20’000 Einwohnern. Diese Basisgemeinde ist die grundlegende politische Arena, die Trägerschaft von Polizei, Bildung, öffentlichen Diensten und allen Bereichen, die nicht auf höherer Ebene geregelt werden, den sieben Regionen, die die Kantone ersetzen und dem Territorium Schweiz.
Umbau: real  und vergleichsweise günstig
Das Leben in einer solchen Schweiz braucht nicht nur wesentlich weniger Energie, sondern auch weniger Geld. Mit den Mitteln, die so gespart werden, soll die Schweiz nach dem Vorschlag von P.M. ihren Nutzen für die Welt erhöhen, durch humantiäre Dienste zum Beispiel oder durch die Verbilligung von lebenswichtigen Medikamenten für die Länder der Dritten Welt.
«Neustart Schweiz» kann man als Utopie abtun. Aber einerseits kommt der Begriff im knapp hundertseitigen Büchlein kein einziges Mal vor. Und andrerseits hat P.M. als Schriftsteller konkrete Langzeitwirkung. Die Siedlung Kraftwerk1 ist ein Beispiel dafür.
Der Umbau der Schweiz kostet nach Schätzungen des Autors mit aufgerundet 100 Milliarden nicht viel mehr als die vorläufige Rettung der UBS. Zudem bleibt das Geld in der Schweiz und zirkuliert in der realen Wirtschaft. 70 Milliarden kostet der Umbau der 14’000 Nachbarschaften, 30 Milliarden der Bau der Zentren der 500 Basisgemeinden. Ein Teil der Gelder fliessen bereits heute als Investitionen oder Subventionen und müssten nur umgeleitet werden. Im Vergleich zu den Sanierungskosten der Finanzbranche erscheint die ökologisch-soziale Sanierung der Schweiz geradezu günstig. «Neustart Schweiz» ist nicht als Antwort auf die Finanzkrise gedacht, aber es könnte eine sein.

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05. Oktober 2010
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