„Wurzeln schlagen in der Fremde!“

Interkulturelle Gärten helfen Migranten und Einheimischen, einander bei gemeinsamer krea-tiver Arbeit besser kennen zu lernen. Gemeinschaft und Integration setzt dabei nicht voraus, dass sich die Neuankömmlinge selbst aufgeben müssen. (Von Ellen Diederich)

Die Gärten sind außerdem ein Beitrag zur Verschönerung der Städte und Teil eines Konzepts der Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln. Mehr über die kleinen Paradiese unseres Alltags erfahren Sie in unserer neuen Zeitpunkt-Print-Ausgabe "Die neuen Paradiese" - siehe links oben auf dieser Seite.






«Wir werden den Dreck untergraben


Säen und pflanzen


Den Beton abtragen


Die Erde darunter freilegen.


Wir werden einen Garten anlegen


Und Essen für uns wird wachsen.


Sonnenblumen werden sich zum Himmel strecken


Und sagen: Wir erobern uns die Straße zurück.»




Dieses Lied, «More Gardens Song», des US-amerikanischen Liedermachers David Rovics hat mich spontan beeindruckt. In meiner Heimatstadt Oberhausen (Ruhrgebiet) möchte ich nun den ersten interkulturellen Garten initiieren. Diese Gärten gibt es in Deutschland inzwischen in einer Reihe von Städten, u.a. in Göttingen, München, Kassel, Berlin. Auch weltweit gibt es Erfahrungen mit interkulturellen Gärten, von New York bis Tokio. Die Menschen haben sich Flächen ausgesucht, Brachflächen, sie besetzt und angefangen, Gärten anzulegen. Die Gruppen aus New York nennen sich «Die grüne Guerilla». Die Erfahrungen dort zeigen, dass sich, überall wo die Gärten entstehen, die Kommunikationsstruktur im Stadtviertel verbessert. Die Gewalt geht zurück, es werden mehr Räume für Kinder geschaffen, die Menschen feiern miteinander, teilweise entstehen auch kleine Märkte, wo Produkte im Stadtviertel verkauft werden.




Interkulturelle Gärten haben viele verschiedene Facetten. Es sind Orte,


* wo Interesse an verschiedenen Kulturen entwickelt wird,


* wo emanzipierte Integration entwickelt werden kann,


* an denen Nord-Süd Lebenswelten sich begegnen,


* gegen Rassismus, für «Fremden»-Freundlichkeit


Sie sind ein Weg gegen Einsamkeit und erzwungene Arbeitslosigkeit. Sie können helfen, berufliche Orientierungen zu finden und die eigene Situation zusammen mit anderen zu analysieren. Wie hängen Flucht, Vertreibung und Exil mit der globalen Situation (Kriege und Wirtschaftspolitik) zusammen? Wie fühlen sich Menschen mit Duldungsstatus, denen jede Arbeitsmöglichkeit verweigert wird? Hier können auch Verbindungen mit Deutschen hergestellt werden, Erwerbslosen wie Erwerbstätigen, die Migranten werden in die sozialen und politischen Zusammenhänge vor Ort eingebunden.




Emanzipierte Integration kann nur gelingen kann, wenn Menschen sich der eigenen Herkunft bewusst sind. Das vorherrschende Konzept der Integration stellt dagegen die Beschäftigung und Anpassung an das deutsche Leistungssystem und die deutsche Kultur in den Vordergrund. Indem wir gemeinsam in den Gärten arbeiten und auf einer möglichst gleichberechtigten Eben miteinander umgehen, finden wir zu einer anderen Art von Begegnung und lernen voneinander. Alle Beteiligten  gewinnen ein Bewusstsein über andere Kulturen, deren Schönheiten und Andersartigkeiten, ein Verständnis für Gleichwertigkeit.




Wie fing es mit den Gärten in Deutschland an?  1995, die Zeit des Bosnienkriegs. Auch in Göttingen lebten Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet. Die Frauen trafen sich im Frauencafe des Göttinger Beratungszentrums für Flüchtlinge, Sie tranken Tee, bastelten Tischschmuck und warteten auf das Ende des Krieges. Die Sozialarbeiterin des Flüchtlingszentrums überlegte hin und her, womit sie das Interesse der Frauen wecken könnte. Dann stellte sie eine folgenreiche Frage: Was vermissen Sie eigentlich am meisten hier in Deutschland? Die Augen der Flüchtlingsfrauen leuchteten. Ihre Antwort war eindeutig: «unsere Gärten».




Das war der Beginn heute mehr als 10-jährigen Entwicklung, der Beginn des ersten interkulturellen Gartens in Göttingen. «Die Menschen aus verschiedenen Ländern zeigen, wie und welche Gartenarbeit sie aus ihren Heimatländern kennen, was sie angebaut haben», berichtet Christa Müller von der Stiftung Interkultur aus München. «Sie können ein Stück der eigenen Kulturen wieder beleben, es entsteht ein gleichberechtigtes Geben und Nehmen. Ein Stück Selbstorganisation, Wiedergewinnung von Würde und Partnerschaften. Durch den Kontakt mit der Erde, mit dem Lebendigen kommen Prozesse in Gang, die in vielen Fällen auch zur Auflösung von Erfahrungen mit Krieg, Flucht, Vertreibung und Flüchtlingsschicksal führen.»




Auch die Lebensmittelversorgung der Menschen kann sich durch die Gärten verbessern. Viele verschiedene Aktivitäten entwickeln sich: Über die Öffentlichkeitsarbeit kommen Vernetzungen mit anderen Gruppen zustande. Aber auch die örtliche Presse wird immer wieder über die Lage von Flüchtlingen in der Stadt informiert. Es werden Einzelschicksale aufgezeichnet und beschrieben. In anderen Städten entstehen auch praktische Projekte wie muttersprachlicher Unterricht, Alphabetisierungskurse, Deutschkurse, Arbeiten mit Ton und Holz, Anleitung im biologischen Gartenbau, Bau von Gartenhäusern, Bau von Wasserleitungen und gemeinsames Kochen.




Gerade das letztere wird als ungemein kreativ und verbindend empfunden. Kinder sind erfahrungsgemäß besonders gut dafür zu begeistern, gemeinsam zu kochen. Im letzten Schuljahr konnte ich dies während eines Projekts mit Kindern in der Brüder-Grimm-Schule selbst feststellen. In der Gruppe schneiden die Kinder gern Gemüse, sind interessiert, wenn man ihnen zeigt, wie sich die Lebens-Mittel beim Kochen verändern, rühren und probieren Gewürze und Zutaten aus. Wenn man ihnen erzählt, wie die alltäglichen Nahrungs-Mittel (die heute sehr oft keine Lebens-Mittel mehr sind) hergestellt werden, welche Schadstoffe in dieser Nahrung sind und wie man besser essen kann, hören sie in einem solchen Kontext besser zu.




»Ernährung und Gesundheit stehen in enger Beziehung», sagt Claudia Gawol in ihrem Konzeptentwurf zum Thema Gesundheit und Ernährung. «Wohlgefühl und Leistungsfähigkeit sind unmittelbar abhängig von der Ernährung, in ihrem Kontext entstehen Risikofaktoren oder Krankheitsbilder. Eine gesundheitsförderliche Ernährung basiert auf vielen Bedingungsfaktoren und umfasst weit mehr als den Verzehr von bestimmten Lebensmitteln oder den Verzicht darauf. Persönliche Einstellungen zum Essen, gemeinschaftliche Erfahrungen sowie vielfältige Fähig- und Fertigkeiten, das vorhandene Nahrungsangebot kompetent zu nutzen, spielen beim Ernährungsverhalten eine wesentliche Rolle.“




Die Stadt Oberhausen hat dem Projekt «Interkulturelle Gärten» in Oberhausen Flächen zugesagt, die für das Anlegen von Gärten verwendet werden können. Der Garten kann im nächsten Jahr als ein Modell während der Aktivitäten für die europäische Kulturhauptstadt Ruhrgebiet gezeigt werden. So können sich mehr Menschen über das Vorhaben informieren und in anderen Orten im Ruhrgebiet auch Gärten einrichten. Ich habe das Projekt inzwischen in verschiedenen Frauengruppen vorgestellt. Insgesamt haben sich 15 Frauen aus verschiedenen Ländern gemeldet, die mitmachen wollen, überwiegend Migrantinnen und Asylbewerberinnen. Sie kommen aus dem Iran, Afghanistan, Marokko, Armenien, dem Libanon, Syrien, der Türkei, Deutschland.



Literaturtipp: Elisabeth Meyer-Renschhausen: Unter dem Müll der Acker. Community Gardens in New York City, Ulrike Helmer Verlag


www.stiftung-interkultur.de/prop99.htm

02. Juli 2009
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