Berlin: Einig gegen Recht und Freiheit

Über 200 Hochschullehrer unterstützen die Uni-Proteste gegen Gaza-Krieg. Ihre Forderung für das Recht auf friedlichen Protest wird von Politik und Medien reflexartig als Antisemitismus und Israelhass bezeichnet
Veröffentlicht: 9. May 2024 - Zuletzt Aktualisiert: 9. May 2024

Politik und M-Medien in Deutschland sind sich einig: Kriegsproteste sind per se antisemitisch.

So hat Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger «entsetzt» auf einen Unterstützerbrief von mehr als 200 Lehrenden für propalästinensische Demonstranten reagiert. »Dieses Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten macht fassungslos. Statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu stellen, werden Uni-Besetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlost«, sagte die FDP-Politikerin der »Bild«-Zeitung (Ausgabe vom Donnerstag). 

Am Dienstag hatten etwa 150 Aktivisten an der Freien Universität Berlin versucht, einen Hof zu besetzen und Zelte aufzubauen. Die Uni schaltete rasch die Polizei ein und ließ das Gelände räumen. Die Polizei bilanzierte am Mittwoch, es seien 79 Personen vorübergehend festgenommen worden, davon 49 Frauen und 30 Männer, es gebe 80 Strafermittlungsverfahren und 79 Ordnungswidrigkeitsverfahren.

In dem »Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten« heißt es: 

«Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt. Wir fordern die Berliner Universitätsleitungen auf, von Polizeieinsätzen gegen ihre eigenen Studierenden ebenso wie von weiterer strafrechtlicher Verfolgung abzusehen.»



Wie wenig Meinungsfreiheit in Deutschland noch erlaubt ist, zeigt die Antwort anderer Politiker. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sagte der »Bild«: »Für die Verfasser dieses Pamphlets habe ich überhaupt kein Verständnis.« Berliner Universitäten seien und blieben Orte des Wissens, des kritischen Diskurses und des offenen Austauschs. »Antisemitismus und Israelhass sind aber keine Meinungsäußerungen, sondern Straftaten«, so der CDU-Politiker.

Die CSU-Innenpolitikerin Andrea Lindholz, stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, bezeichnete den Brief als einen »Tiefpunkt für die deutsche Wissenschaft«. Sie habe kein Verständnis dafür, »wenn Professoren und Dozenten einen Mob von Antisemiten und Israelhassern verteidigen«.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte der »Bild«, den Aktivisten gehe es weniger um das Leid der Menschen in Gaza, sondern sie würden von ihrem Hass auf Israel und Juden angetrieben. »Gerade von Hochschuldozenten hätte ich erwartet, dass dies zumindest klar benannt wird, wenn sich schon für diese Form des Protestes eingesetzt wird«, so Schuster.

Was an Waffenstillstandsforderungen Judenhass ist, darauf blieben alle eine Antwort schuldig.

Die einzigen Worte der Vernunft kamen vom Botschafter der Palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland, Laith Arafeh. Er wies Kritik an den propalästinensischen Protesten hingegen zurück. Der Spielraum für freie Meinungsäußerung und die akademische Freiheit mit Blick auf Israel und den Gazakrieg gehe immer weiter zurück, sagte der Botschafter der Deutschen Presse-Agentur. »Wir verurteilen alle Formen von Fanatismus einschließlich Antisemitismus«, sagte er. »Genauso verurteilen wir den systematischen Einsatz falscher Antisemitismus-Vorwürfe gegen alle Stimmen, die ein Ende des Krieges fordern.«

Er stelle sich nicht hinter die Studierendenproteste, weil das eine Einmischung in innere Angelegenheiten wäre, sagte der Diplomat. »Aber ich unterstütze jedermanns Recht auf freie Äußerung, jedermanns Meinungsfreiheit, überall, jederzeit. Dieses allgemeine Menschenrecht sollte von allen geschützt werden, und jeder ist in der Pflicht zu handeln, wenn es verletzt wird.