Geht das AKW Leibstadt ohne Umweltschutzprüfung und Mitsprache in den Langzeitbetrieb?

Die Anwohner bestehen auf ihr demokratisches Mitspracherecht und verlangen eine internationale Umweltprüfung. Dazu reichten sie heute beim UVEK ein Gesuch ein. Die Schweizer Energie-Stiftung SES, Greenpeace Schweiz und der trinationale Atomschutzverband TRAS unterstützen sie in ihrem Anliegen.

AKW Leibstadt
Das AKW Leibstadt im Kanton Aargau nahe der Aare-Mündung und der deutschen Grenze bei Waldshut-Tiengen erzeugt rund ein Sechstel des in der Schweiz produzierten Stroms. Foto: Wikipedia

Die Schweiz hat sich unter den Aarhus- und ESPOO-Konventionen dazu verpflichtet, nachteilige und grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen zu überwachen und zu verhindern. Das schreibt der Zürcher Gemeinderat Domink Waser auf der Webseite der Schweizer Energiestiftung. Wenn Atomkraftwerk Leibstadt dieses Jahr in den Langzeitbetrieb (40+ Jahre) übergeht, betreibt die Schweiz den ältesten AKW-Park der Welt. Dieser stelle, so Waser, ein unvermeidliches Restrisiko für katastrophale Unfälle mit riesigem Schadenspotenzial dar. 15 Anwohner aus Deutschland und der Schweiz fordern darum jetzt etwas ein, wozu sich die Schweiz verpflichtet hat: eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), und damit die Konsultation der betroffenen Bevölkerung.

Die Ausrede des Bundes

Andere Vertragsparteien wie z.B. Belgien prüfen mit grossem Aufwand die Umweltfolgen ihres Atomparks. Der Bundesrat beruft sich dagegen in einer Stellungnahme vom 26.05.2021 auf den Standpunkt, dass diese Anforderungen für Schweizer AKW nicht gelten. Es gebe für Schweizer AKW keine Laufzeitbeschränkungen und daher auch keine Laufzeitverlängerung. Das aber entspricht nach Wasers Meinung nicht dem Sinn der Konventionen. Diese verlangen auch bei einer de facto Verlängerung nach 40 Jahren eine UVP.

Anwohnerinnern und Anwohner bestehen auf ihr Mitspracherecht

Das UVEK (Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation) müsse das Gesuch nun prüfen, finden die Anwohnerinnen und Anwohner. Eine Anwohnerin sagt stellvertretend:

Die Schweiz hat sich ja eigentlich zu dieser Sache verpflichtet. Dass man bis jetzt einfach stillgesessen ist und es uns Anwohnerinnen und Anwohnern überlässt, unsere Rechte einzufordern ist nicht gerade ermutigend.

Unterstützung erhalten die Anwohnerinnen und Anwohner von der Schweizerischen Energie-Stiftung SES, dem Trinationalen Atomschutzverband TRAS und Greenpeace Schweiz. Stephanie Eger, Fachbereichsverantwortliche Atom der SES erklärt: 

Das UVEK versucht hier eine de facto Laufzeitverlängerung am Gesetz vorbeizuschmuggeln und bringt so die Anwohnerinnen und Anwohner aus Deutschland und der Schweiz um ihre Mitspracherechte. Ein solches Aushebeln von demokratische Rechten ist sehr unschweizerisch, weshalb wir uns entschieden haben, die Anwohnerinnen und Anwohner zu unterstützen.

Das UNO Komitee zur Anwendung der ESPOO-Konvention hat vor Kurzem ein ähnliches Verfahren gegen Frankreich eröffnet, da es die Verlängerung seines Atomparks auch nicht geprüft hat.

Die Schweizer Energiestiftung schreibt über die Espoo- und Aarhus-Konvention:

Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen («Espoo-Konvention»): Am 10. September 1997 ist das Abkommen für die Schweiz in Kraft getreten. Es verpflichtet Mitgliedstaaten Massnahmen zur Verhütung, Reduzierung und Bewältigung von erheblichen, grenzüberschreitenden nachteiligen Auswirkungen eines Vorhabens zu ergreifen. Zu diesen Vorhaben gehört auch der de facto Übergang in den Langzeitbetrieb. In so einem Fall muss eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden und haben (potentielle) betroffene Parteien ein Mitspracherecht.

Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten («Aarhus- Konvention»): Die Aarhus-Konvention, die für die Schweiz am 1. Juni 2014 in Kraft getreten ist, beruht auf den drei Pfeilern «Umweltinformation», «Öffentlichkeitsbeteiligung bei umweltrelevanten Entscheidungsverfahren» und «Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten». Im Falle bestimmter Tätigkeiten, wozu auch der Langzeitbetrieb von Kernkraftwerken gehört, muss zuerst eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden. Zusätzlich müssen Anwohnende aktiv informiert werden und haben sie ein Mitspracherecht.

Die Schweiz ist völkerrechtlich zur Einhaltung der entsprechenden Abkommen verpflichtet, worauf sich die betroffenen Gesuchstellenden jetzt berufen.


Mehr dazu bei der Schweizer Energiestiftung

Stephanie-Christine Eger, Leiterin Fachbereich Atomenergie
+41 44 275 21 20
[email protected]


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