Aus dem Podcast «5 Minuten» von Nicolas Lindt.

Abend an der kritischen Südküste / @ Nicolas Lindt

Eines Abends letzte Woche an der Südküste Kretas, in Agia Galini – einem dieser ehemaligen Fischerdörfer, wo es heute mehr Touristen als Fischer gibt –, sassen wir wie jeden Abend in einer Taverne beim Essen und liessen unsere Blicke zu den anderen Gästen schweifen.

Am Tisch gleich nebenan befand sich ein skandinavisch sprechendes Paar, das mit dem Essen schon fertig war und sich, während sie sich entspannt zurücklehnten, eine Zigarette genehmigten. Das störte uns, denn auch in Griechenland ist es nicht mehr unbedingt üblich, dass in Lokalen geraucht wird. Und weil uns der Rauch immer wieder ärgerlich in der Nase kitzelte, war ich drauf und dran, eine Bemerkung fallen zu lassen.

Zum Glück tat ich es nicht, denn nachdem der Mann und die Frau ihre Kippen zu Ende geraucht hatten, schauten sie hin und wieder in unsere Richtung – und irgendwann, wie es so geht, haben wir dann die ersten Worte gewechselt. Es ergab sich ein unterhaltsames kleines Gespräch, nicht übers Rauchen, das war schon beinahe vergessen, sondern über die Ferien hier in Kreta, über Agia Galini, wo das Paar nicht zum ersten Mal war. Dann stellten wir uns einander auch vor, Sven und Mine hiessen die beiden. Sie kamen aus Dänemark, aber sie kannten die Schweiz, denn der Schwager von Sven ist Schweizer, und weil er ein Ferienhäuschen in Übersaxen besitzt – was wir als Obersaxen identifizierten –, hatten auch Sven und Mine schon Ferien im Bündnerland gemacht.

Wir fanden die beiden sehr nett und sie uns offenbar auch – doch wie meistens, wenn man sich so von Tisch zu Tisch unterhält, kommt unweigerlich der Moment, in dem der Gesprächsstoff versiegt. Auch wir und die beiden Dänen gelangten an diesen Punkt. Aber da fragten sie uns ganz plötzlich und überraschend, was wir von der gegenwärtigen Situation auf der Welt hielten.

Überraschend kam das für uns auch deshalb, weil Sven und Mine nicht wissen konnten, ob wir dasselbe dachten wie sie. Und weil dieses Thema zurzeit etwas unberechenbar ist, hätte der Abend für beide Seiten etwas unangenehm enden können. Doch wir entschieden uns ohne zu zögern für eine ehrliche Antwort und sagten, dass wir die letzten zwei Jahre sehr kritisch sehen – diese ganze Coronapolitik, die staatlichen Massnahmen, die Panikmache der Medien –, und dass wir das alles nicht hinnehmen wollten.

Mit jedem Satz merkten wir mehr, wie sehr Sven und Mine erleichtert waren, von uns zu hören, dass es uns ähnlich ergangen war wie ihnen in Dänemark. Auch sie waren skeptisch gewesen, von Anfang an, auch sie hatten sich mit anderen, unabhängigen Informationen beholfen und an Demonstrationen teilgenommen. Und auch sie hatten diese Spaltung erlebt und Freunde verloren, weil man sich nicht mehr verstand.

Da wir uns nun schon so offen geäussert hatten, wagte ich eine nächste Frage: Wie sie über die aktuelle Situation in der Ukraine denken würden? Und mit Genugtuung stellten wir fest, dass wir uns auch in diesem Punkt einig waren. Dieses primitive Schwarzweissdenken, diese einseitige Verurteilung der Russen als das absolut Böse, während der Westen angeblich nur die besten Absichten hat – all das fanden auch Sven und Mine.

Es war ein gutes Gefühl, zu erleben, dass jemand aus einem anderen Land, den man zufällig trifft, ähnlich denkt, besonders wenn es um Fragen geht, die uns alle zurzeit so beschäftigen. Als sich Sven und Mine dann eine weitere Zigarette anzündeten, war mir das schon völlig egal. Sie hätten sich noch viele Zigaretten anzünden können, denn inzwischen ging es um etwas ganz anderes: um ein Gefühl der Gemeinsamkeit, um ein gegenseitiges sich-verstanden-Fühlen. 

Wir zogen dann ein Haus weiter, hinüber in eine Bar, wo wir unsere Unterhaltung fortsetzten. Wir sprachen auch davon, dass man kritisch denkende Menschen, wie wir es sind, mit Begriffen benennt, die eigentlich gar nicht zutreffen. Sven und Mine erklärten, dass sie in Dänemark als «Putin-Lovers» bezeichnet werden. Das fanden sie wirklich lächerlich, denn es geht doch in keiner Weise darum, dass man den russischen Autokraten von seiner Verantwortung freisprechen möchte. Man möchte doch bloss verstehen, was in diesem Konflikt geschieht.

Aber schon bei Corona gab es diese verbalen Beschimpfungen, wenn wir – in Dänemark ebenso wie in der Schweiz – als «Verschwörungstheoretiker» oder «Corona-Leugner» oder schlicht als Rechtsextreme betitelt wurden. Dabei sind wir doch einfach nur Menschen, die selbständig denken möchten. Doch dann fiel mir der junge griechische Kellner ein, in einer Taverne am Vortag, und ich erzählte Sven und Mine von diesem Kellner, denn auch mit ihm kamen wir auf Corona zu sprechen und auf die Weltpolitik, und auch er war ein Gleichgesinnter, das spürten wir schon nach den ersten Worten.

Mit einem Lächeln meinte der Grieche: «Wir sind nun einmal die Crazy People, oder sind wir das etwa nicht?»

Es gefiel uns, wie er das sagte. Menschen wie wir, die nichts als ihre Freiheit verteidigen, sind offenbar heute nicht mehr normal, sondern crazy. Und so sind auch wir und das dänische Paar und der junge Kellner aus Kreta offenbar Crazy People, und so begegnen sich Crazy People überall auf der Welt. Das einzige, was wir brauchen, ist etwas Mut – den Mut, offen zu sprechen. Dann werden wir einander erkennen und immer wieder von neuem erleben: Wir sind nicht allein. Wir sind viele.

Dieser Text erschien im Podcast «5 Minuten» von Nicolas Lindt - Gedanken, Beobachtungen, Geschichten - täglich von Montag bis Freitag auf Spotify, iTunes oder auf der Website des Autors www.dieluftpost.ch