Das Asylrecht und die Schlepperbanden

Die Schlepper sind das Produkt der europäischen Asyl-Gesetzgebung

«Erbarmungslos» nannte der «Spiegel» in einer Titelgeschichte das Wirken der Schleuser- und Schlepperbanden, die am Elend der Flüchtlinge bestens verdienen und diese «kaltblütig» dem Risiko aussetzen, auf den langen Transportwegen zu Wasser oder zu Land ums Leben zu kommen. «Nur», sagte Herr Keiner, «was irgendwie auch immer zu lesen ist, aber nie wirklich zum Thema wird, das ist, dass diese ‹skrupellosen Geschäftemacher› nicht einfach vom Himmel fallen. Diese Geschäftsgelegenheit gibt es nur aus einem einzigen Grund: Sie ist das Produkt der europäischen Asyl-Gesetzgebung.


Diese verbietet es nämlich den Asylsuchenden, in ihrem Heimatland einen Antrag auf Asyl zu stellen, den bei den jeweiligen europäischen Botschaften oder Konsulaten in ihrem Land einzureichen, um sich dann mit dem Fahrausweis eines der üblichen Transportmittel auf den Weg zum gewünschten Zielort zu machen. Die Fahrten mit dem Schiff über das Mittelmeer sähen dann anders aus, und auch die zahlreichen Billig-Airlines würden sicher gerne was von dem Geld abkriegen, das aufgrund der geltenden Gesetzeslage so üppig in die Taschen der Schlepper fliesst. Doch auch da ist eine Richtlinie der EU vor: Die untersagt es den Fluggesellschaften bei Androhung hoher Geldstrafen, die Arbeit der Schlepper auf eine geld- und zeitsparende Weise zu übernehmen. Und damit auch die Todesfälle zu vermeiden, die auf den Transportmitteln der Schlepper nahezu Tag für Tag anfallen.»


«Doch, wie gesagt», fuhr Herr Keiner fort, «was da allseits als ‹kriminelle Begleiterscheinung› der europäischen Asyl-Politik beklagt wird, ist in Wahrheit politisch gewollt: Das europäische Asyl-Recht macht die Asylsuchenden gezielt zu Flüchtlingen, zwingt diese also zu illegalen Ausreiseunternehmungen, um sie so von der realen Inanspruchnahme ihres Rechts auf Asyl abzuschrecken. Sie sollen gefälligst in ihren miesen Lebensumständen verbleiben und ‹uns› nicht auf der Tasche liegen.»


«Doch wie das Beispiel Syrien zeigt, gilt dieser Umgang mit dem Asyl-Recht nicht für Staaten, denen gegenüber es ein politisches Interesse Europas gibt, sich mit der Gewährung von Asyl für Kriegsopfer und ‹politisch Verfolgte› in die Herrschaftsausübung vor Ort einzumischen», sagte Herr G., der lange Zeit nur zugehört hatte. «Syrien mit seinem Präsidenten Assad steht für eine missliebige Herrschaft, was mit der Gewährung von Asyl für syrische Untertanen demonstrativ unterstrichen wird. Und so berechnend ging es schon immer bei der Gewährung von diesem Recht zu: Früher waren es die ‹Verfolgten kommunistischer Herrschaft›, die immer und grundsätzlich für einen Antrag auf Asyl gut waren, während an anderer Stelle beispielsweise den Verfolgten des Pinochet-Regimes in Chile das Recht abgesprochen wurde, als ‹politisch Verfolgte› in Deutschland anerkannt zu werden. Dieses Regime gehörte als enger Verbündeter der USA ‹zu uns›, da verbot sich jede politische Einmischung durch die Anwendung des Asyl-Rechts.»


«Genau die gleiche Praxis kommt aktuell nicht nur im Umgang mit Syrien, sondern auch im Umgang mit den Balkan-Ländern zum Einsatz», sagte dazu Herr K. «Auch die gehören bekanntlich ‹zu uns›, werden deshalb mit Gesetzeskraft zu ‹sicheren Herkunftsländern› ernannt, deren Bewohner kein Recht auf Asyl in einem anderen europäischen Staat haben. Da müssen sich die Behörden der Asyl-Politik erst gar nicht um die Frage kümmern, ob da Menschen von ihrer Herrschaft in Lebensgefahr gebracht oder etwa als Angehörige einer ‹ethnischen Minderheit› unterdrückt und misshandelt werden. Da kann der Asylsuchende erzählen, was er will. Ein Blick in die Länder-Liste reicht, um alle Ansprüche auf Asyl irgendwo in Europa kategorisch abzuweisen.»


Zynisch? «Sicher», sagte Herr K., «doch so funktioniert sie, die  europäische Asyl-Politik, deren Prinzipien nicht in Frage stehen, wenn die Staaten der EU aktuell eine heftige Auseinandersetzung darum führen, wie das Bündnis in Zukunft wieder mit ‹einer Stimme› gegenüber den Flüchtlingen auftritt.»

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Ulrich Schultes Geschichten von Herrn Keiner sind unter dem Titel «Herrschaftszeiten» für 6 € im Buchhandel erhältlich. Einzelne Geschichten werden auch auf
www.herrkeiner.com veröffentlicht.




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26. Oktober 2015
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