Der Helikopter kommt

Japan wird Vollgeld verteilen – es könnte halbwegs funktionieren. Ein bisschen Vollgeld gibt es bald auch in England. Und sogar die Nationalbank schlägt vor, eine Forderung der Initiative zu erfüllen.

Zuerst zur Grosswetterlage in der Geldsphäre: Seit Ausbruch der Finanzkrise müssen alle sparen, die vorher Geld ausgegeben hatten. Die Firmen zahlen Schulden zurück, die Staaten kürzen ihre Budgets und die Konsumenten legen das Geld auf die Seite – wer hat, hat ohnehin fast alles. Und wer keines hat, kann sowieso nichts ausgeben. Um trotzdem noch verkaufen zu können, müssen die Firmen die Preise senken – die Deflation, vor der sich alle fürchten. Die Preise sinken nicht, weil zu viel produziert würde, sondern weil den meisten Menschen der Erde mit realen Bedürfnissen das Geld dafür fehlt.

Um die Kreditvergabe zu erleichtern und Geld in Umlauf zu bringen, haben die Zentralbanken in den letzten Jahren die Zinsen gesenkt und die Banken mit Reserven überhäuft. Da liegen sie nun, und die Realwirtschaft nimmt kaum Kredit auf. Es fehlt einfach an Vertrauen, dass das alte Spiel wieder Fahrt aufnimmt – die Schulden bremsen. Neues Geld, das von den Banken per Kredit geschöpft wird, wandert deshalb zum grössten Teil in die Immobilienspekulation und in die Finanzwirtschaft, das heisst in Papiere aller Art, ohne Wirkung auf Produktion, Arbeit und Konsum. Darum herrscht hinter der gespielten Sicherheit allenthalben Ratlosigkeit und Katerstimmung.

Deshalb wird jetzt wieder eine Idee hervorgeholt, die der neoliberale Monetarist Milton Friedman bereits 1969 ins Gespräch gebracht hatte: Helikoptergeld. Man könne bei Deflationsgefahr auch Geld mit dem Helikopter an die Leute verteilen, sagte er. Das sei systemneutral. Das stimmt natürlich nicht. Aber in einem Punkt hatte er recht: Solches Geld würde – richtig dosiert – die Preise nicht inflationieren. Es ersetzt ja nur das Geld, das aus der Realwirtschaft verschwindet, weil gespart wird und Kredite getilgt werden. Spargeld fliesst entgegen der Hochglanz-Behauptung der Banken nicht in Kredite; es wird schlicht und ergreifend parkiert. Wenn Banken Kredite verleihen, nehmen sie nicht das Geld der Sparer, sondern schöpfen den Betrag aus dem Nichts. Mit diesem Bankengeld kann man bezahlen, obwohl es kein gesetzliches Zahlungsmittel ist.

Jetzt will Japan mit einer Version des Helikoptergeldes die Reanimation versuchen. Das Land befindet sich seit dem Platzen seiner Wertpapier- und Immobilienblase 1991 in rekordhoher Verschuldung und dauerhaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Auch jahrelange Nullzinsen konnten die Wirtschaft nicht wieder flott machen. Nun probiert es der japanische Premier Shinzo Abe nach seinem Wahlsieg vom Juli mit einer neuen Methode. Weil sich der Staat bei den privaten Banken nicht weiter verschulden kann und die direkte Finanzierung durch die Bank von Japan gesetzlich verboten ist, will die Regierung unverzinsliche Anleihen ohne Laufzeit herausgeben. Das sind ewige Schulden, die nichts kosten. Was solche Schulden im Grunde sind, weiss niemand. Es gibt nicht einmal ein Wort dafür. Aber die Bank von Japan kann sie kaufen und den Staat mit neu geschöpftem Geld dafür bezahlen, das er für die Erneuerung der Infrastruktur und zur Stimulierung der Nachfrage einsetzen will. Knapp 100 Mrd. Franken schuld- und zinsfreies Geld kommen durch diesen legalen Trick in den realwirtschaftlichen Umlauf, fast 8000 Franken pro Person. Die Massnahme verwirklicht die Hälfte einer Vollgeld-Reform: die direkte Schöpfung von Geld durch den Staat nach Massgabe des Wirtschaftswachstums. Die andere Hälfte, nämlich das Ende der privaten Kreditgeldschöpfung durch die Banken, steht allerdings nicht zur Debatte.

Wenn Abe das Geld für die Leistungen inländischer Firmen ausgibt, könnte das Experiment ein bisschen funktionieren. Die Wirtschaft käme tatsächlich in Fahrt, die Schuldenlast, die sich im Vollgeld-System drastisch reduzieren liesse, bliebe allerdings bestehen. Abes Plan steht offenbar in Harmonie mit der Teppichetage der globalen Finanzelite. Nach einem Bericht von Bloomberg hat der frühere Chef der amerikanischen Zentralbank Fed, Ben Bernanke, das Vorgehen empfohlen. Sogar eine Kerninstitution des Establishments, das Council on Foreign Relations, empfahl im September 2014 die Geldverteilung an die Bevölkerung. Man darf also davon ausgehen, dass Japan ein Versuchskaninchen ist. Wenn es überlebt oder sogar gedeiht, wird früher oder später in den USA und dann in der ganzen westlichen Welt Helikoptergeld vom Himmel fallen.

Aus Sicht der Politiker und Ökonomen löst Helikoptergeld zwei Probleme: Es stimuliert die Realwirtschaft und es besänftigt die Menschen, die sonst auf die Idee kommen könnten, auf der Strasse gegen die Unfähigkeit der Eliten zu demonstrieren. Aber es beseitigt die Ursache der chronischen Schwierigkeiten nicht, die private Kreditgeldschöpfung der Banken. Diese sich selbst vermehrenden Verbindlichkeiten haben zur gigantischen Verschuldung geführt, von der niemand weiss, wie sie je abgebaut werden kann. Kenner der Materie ahnen, dass es mathematisch unmöglich ist, alle Schulden zu tilgen, selbst wenn jedes Konto auf der Welt geräumt würde. Helikoptergeld kann dieses Problem immerhin entschärfen und eine Lösung in die Zukunft verschieben, ohne neue Schwierigkeiten zu schaffen, wie die exzessive Geldschöpfung der letzten Jahre. Aber zwei grosse Gefahren bedrohen die Helikopter-Rettung: Das viele Geld könnte in den Händen der Konsumenten zu einer galoppierenden Inflation führen oder direkt vom nach wie vor hungrigen Finanzsektor abgesogen werden. Welche Gefahr die grössere ist, wird das Japan-Experiment weisen.

Auch in der Schweiz liegt ein bisschen Vollgeld in der Luft, nicht zur Stimulierung der Wirtschaft, sondern eher zur Beruhigung des Stimmvolks, das in zwei bis drei Jahren über die Vollgeld-Initiative befinden muss. Die Nationalbank hat eine Forderung der Initiative aufgenommen, nämlich den Zugang zu gesetzlichem elektronischem Zahlungsmittel, das bis jetzt nur Banken zur Verfügung steht. Wenn Firmen und Individuen elektronisch bezahlen wollen, müssen sie ein Konto bei einer Bank führen, sind  also gezwungen, ihnen Kredit zu gewähren und nicht gesetzliches Zahlungsmittel zu verwenden. Das findet offenbar auch die Nationalbank  nicht in Ordnung, vorerst vertreten durch Dirk Niepelt, Direktor des Studienzentrums Gerzensee der Nationalbank und Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Bern. «Wie von der Initiative vorgeschlagen», schreibt er in einem Meinungsbeitrag in der NZZ vom 16. Juni, «sollte dem Publikum die Verwendung elektronischen Notenbankgelds ermöglicht werden.» Wenn die privaten Banken keine solchen Konten mit hundertprozentiger Deckung (anstatt heute 2,5 Prozent) führten, «müsste die Zentralbank den ersten Schritt tun». Das klingt nach einem seriösen Versuchsballon, wenn nicht sogar nach einem Gegenvorschlag.

Nicht nur in der Schweiz bereitet man sich auf die Abwehr der Vollgeld-Initiative vor, auch in England, wo die Reform-Bewegung nebst Island den grössten Rückhalt hat. Einen Tag nach Niepelts Vorstoss erklärte die Bank of England, sie wolle auch Zahlungsdienstleistern, die selbst keine Banken sind, den Zugang zum Zahlungssystem der Zentralbank ermöglichen. Das bedeutet einen Bruch des Monopols der privaten Banken auf elektronisches Geld, das wie erwähnt nicht gesetzliches Zahlungsmittel ist und zudem von der Bonität des Instituts abhängt.

Fazit: Die Vollgeld-Idee manifestiert sich vorderhand als Halbgeld in verschiedener Stückelung. Es ist zwar nicht mehr falsches Geld wie das Produkt der privaten Banken. Aber es ist eine halbe Liebe, und die wird nicht von Dauer sein. Und alle, die sich für Geldgerechtigkeit einsetzen, haben jetzt ein zusätzliches Problem: Sie müssen sich neben den Lügen der Banken nun auch mit Halbwahrheiten auseinandersetzen. Das ist kein bisschen einfacher.
27. Oktober 2016
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