Kulturgüter mit Symbolcharakter – eine perfekte Wohlstandsillusion

Tausende von Lämpchen stehen hinter Tausenden von Fenstern – eine IKEA-Idylle par excellence. Aus der Serie «Warum Pippi Langstrumpf keinen Lockdown braucht – allting nu är bra – eine Spurensuche auf vier Fährten». Fährte 3.

© Mia Leu

Wir kennen sie alle, die symbolträchtigen Kulturgüter: Coca-Cola, Wodka, Cohiba, Lindt & Sprüngli, IKEA. Ich bin mir sicher, jeder kennt das jeweilige Herkunftsland dazu. Jede Marke transportiert ein Gefühlsbild, das bewusst oder unbewusst unser Konsumverhalten motiviert: Freiheit, Fernweh, Abendteuer, Gemütlichkeit, Exklusivität. Geben landestypische Kulturgüter einen Hinweis auf das Ursprungsland oder gar auf die kulturelle Identität der Menschen dort? Auf der dritten Fährte meiner schwedischen Spurensuche ging ich dieser Frage nach.

«Schau dir all diese IKEA-Lämpchen an hinter jedem Fenster», sagte ich immer wieder zu meinem Freund, als wir durch Stockholm, Göteborg, Malmö oder Vässingsö fuhren. Überall das gleiche Bild: In stoischer Gleichförmigkeit stehen diese Lämpchen hinter allen Fenstern. Diese gemütliche Idylle strahlt etwas Eigenartiges, fast Unheimliches aus. Unheimlich, weil sie wie eine autistische Zwangskulisse wirkt. Das Praktische daran: Bei Dunkelheit verhindern die Lämpchen den Blick ins Innere.  

Ich musste dabei immer wieder an skandinavische Kriminalromane denken. Unangenehme, ja beängstigende Gefühle werden darin erzeugt durch zwei polare Stimmungen: schön und gemütlich vereint mit gruselig und unheimlich. Skandinavische Autoren sind diesbezüglich absolute Spezialisten. Und wen wundert’s, die Kulisse dazu gibt’s gratis im ganzen Land.   

Die schwedische Firma IKEA schafft es wie keine andere Marke, eine perfekte Gemütlichkeits-Gleichheits-Illusion für die breite Masse zu verkaufen – billig, bei gleichzeitig maximalem unternehmerischem Gewinn. Ein ökologischer Holzweg, denn Nachhaltigkeit sieht anders aus: Kahlgeschlagene Wälder in Rumänien und der Ukraine – «Kassensturz» konfrontierte IKEA mit illegalem Holzschlag.

Da ich ein ausgesprochener Musikliebhaber und -hörer bin, kenne ich natürlich Bang & Olufsen. Diese exzellenten Hi-Fi-Geräte mit ausgesprochenem modern-kühlem Design sind das pure Gegenteil zu IKEA: nämlich exklusiv und teuer. IKEA für die breite Masse, Bang & Olufsen für die Betuchten?

Diese Gegensätze erlebte ich auch in der schwedischen Wohnkultur: Bewundernswerte, moderne, filigran anmutende Exklusiv-Architektur in Stockholm, auf dem Land dagegen trostlose Billigbau-Sünden. Und dazwischen, in der schönen weiten Landschaft verstreut, gibt es noch exklusiv für Touristen die unbewohnten Bilderbuch-Kulissen, wie ich sie aus Astrid Lindgrens Geschichte «Wir Kinder aus Bullerbü» kenne. Nun, ein bisschen wie aus der Zeit gefallen fühlte ich mich zwischen kühler, hipp-modern-digitaler Bang & Olufsen-Exklusivität und billiger IKEA-Massenuniformität.

«Allting nu är bra!», zu Deutsch: «Alles ist schon gut!» Kulturgüter mit Symbolcharakter – und was, wenn der Schein von tausend Lämpchen den Blick aufs Wesentliche nur trübt?

 

Bereits erschienen:
Fährte 1: Astrid Lindgren und das Land meiner Träume
Fährte 2: Stieg Larssons Erbe, ein wahrer Krimi

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Andreas Beers aus Bern ist Landwirt, Arbeitsagoge und Lehrer. Er kultiviert die Erde, sät und erntet, er denkt, spricht und schreibt über: Mensch, Erde und Himmel, oder was wir zum Leben brauchen.

«Das Leben ist nicht einzig schwarz und weiss, vermisch ‘es auch mit andern Farben. Nimm etwas Sonnengelb mit dir auf deinen schwarzen Sorgenpfaden, bald findest du, wie`s leichter geht. Ein wenig Blau im weissen Freudenstreifen lässt einen Himmelsstrand erschimmern, beweg` dich um ein kleines Stück, falls du falsch stehst – wie der Fisch». (Barbro Karlén)