Teilerfolg für Julian Assange?

War das gestrige Urteil über Julian Assange vor dem High Court in London ein wichtiger Teilerfolg – oder «eine weitere Lüge»? Seine Auslieferung an die USA wurde vorläufig gestoppt – aber nur bis die USA zusichern, ihn nicht zu foltern und zu misshandeln.

Julian Assange
«Wir dürfen nicht zulassen, dass die Stimmen von Medienschaffenden zum Schweigen gebracht werden.» Foto: Wikipedia

In den USA drohen dem Wikileaks-Gründer bis zu 175 Jahre Haft und möglicherweise Folter für die Enthüllung von Dokumenten über mögliche Kriegsverbrechen der USA. Denn in Washington gilt Wikileaks als «feindseliger nicht-staatlicher Geheimdienst». 

Die zweiköpfige Kammer im Verfahren «Assange gegen die Regierung der Vereinigten Staaten» setzte sich mit insgesamt neun Argumenten der Assange-Anwälte gegen die Überstellung ihres Klienten an die US-Justiz auseinander. Davon verwarf sie sechs. In den drei verbliebenen Punkten habe Assange «echte Aussicht auf Erfolg».

So lange das Verfahren gegen Assange läuft, ist auch die Pressefreiheit weiter bedroht.

Zur Erinnerung: Was Assange im Kern vorgeworfen wird, ist die Veröffentlichungen von Videoaufnahmen eines Kampfhubschraubers von Wikileaks unter dem Titel „Collateral Murder“ im April 2011. Das Video zeigt den Beschuss und Tod irakischer Zivilistinnen und Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters am 12. Juli 2007 in Bagdad. "Schau dir diese toten Bastarde an!"  – "Hübsch." So kommentierten zwei Piloten des US-Kampfhubschraubers 2007, was nach ihrem Angriff aus der Luft am Boden zu sehen war: Zwölf Menschen starben, darunter die zwei Reuters-Reporter. Zwei Kinder wurden schwer verletzt. Trotz klarer Beweise kam es zu keiner Anklage, geschweige denn Verurteilung gegen die Verantwortlichen.

Statt für seine Veröffentlichungen Journalistenpreise zu erhalten, wird Assange seit über zehn Jahren eingesperrt - die eigentlichen Kriegsverbrecher dagegen sind in Freiheit.

«Die Strafverfolgung ist politisch motiviert. Herr Assange hat schlimme Verbrechen aufgedeckt und dabei normale journalistische Vorgehensweisen angewandt», hatte sein Anwalt Ed Fitzgerald bei der mündlichen Verhandlung im Februar gesagt.

Das Londoner Gericht will sich am 20. Mai erneut mit dem Fall Assange befassen und gibt bis dahin den USA die Möglichkeit, neue diplomatische Zusicherungen vorzulegen. Um die Richterin Victoria Sharp und ihren Kollegen Adam Johnson zufriedenzustellen, müssen Regierung und Justiz der Vereinigten Staaten dem Gericht nun binnen drei Wochen schriftliche Garantien zu den drei im Urteil genannten Punkten vorlegen, etwa Assange nicht zu foltern oder zu misshandeln. Doch solche Zusicherungen sind nicht bindend und höchst problematisch, insbesondere vor dem Hintergrund der anstehenden Präsidentschaftswahlen. Die USA können ihre Meinung dazu jederzeit ändern.

Sollte sich das Gericht dann gegen Assange entscheiden, könnte sich der Journalist noch an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wenden. Ob sich dieser des Falles annehmen würde, ist aber nicht sicher.

Internationale Menschenrechtsstandards verbieten die Auslieferung von Personen in Länder, in denen sie Gefahr von Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt werden. Amnesty International und viele andere Gruppen fordern deshalb, dass die USA die Vorwürfe im Zusammenhang mit Wikileaks fallen lassen.

Amnesty International schreibt: «Die USA müssen die Vorwürfe im Zusammenhang mit Wikileaks fallen lassen, Julian Assange gehört in Freiheit! So lange das Verfahren gegen ihn läuft, ist auch die Pressefreiheit weiter bedroht. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Stimmen von Medienschaffenden zum Schweigen gebracht werden.»

Philippe Burger, Vizepräsident der Piratenpartei Schweiz, ist zunächst erleichtert, warnt aber: «Das heutige Urteil dieses kafkaesken Falls ist leider noch kein Sieg für die Pressefreiheit. Unser Kampf für die Einhaltung der Menschenrechte und für einen transparenten Staat geht weiter. Ich wünsche mir, dass Julian sofort freigelassen wird und er in Sicherheit mit seiner Familie leben darf.»

Während grosse Medien die als «Begnadigung» oder sogar als «wunderbare Nachricht» bezeichnen, bezeichnet Jonathan Cook in seinem jüngsten Artikel «Assanges 'Begnadigung» dies als «eine weitere Lüge, die das wahre Ziel verbirgt, ihn endlos eingesperrt zu halten» und erklärt das alles als «einen Haufen Unsinn». Weiter schreibt Cook:

Das Wort 'Begnadigung' soll - genau wie die Aussage der Richter, dass einige der Gründe für seine Berufung 'gewährt' wurden - die Tatsache zu verschleiern, dass Assange Gefangener einer endlosen juristischen Scharade ebenso ist wie ein Gefangener in einer Zelle in Belmarsh. In Wirklichkeit ist das heutige Urteil ein weiterer Beweis dafür, dass Assange ein ordentliches Verfahren und seine grundlegendsten Rechte verweigert werden - wie schon seit einem Jahrzehnt oder mehr.
Es ging in Assanges Fall immer darum, Zeit zu gewinnen und ihn aus der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen, ihn zu verunglimpfen und die revolutionäre Veröffentlichungsplattform zu zerschlagen, die er gegründet hat, um Whistleblowern zu helfen, staatliche Verbrechen aufzudecken. Es ging darum, eine Botschaft an andere Journalisten zu senden, dass die USA sie erreichen können, wo immer sie leben, sollten sie versuchen, Washington für seine Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen.


Und Assanges Ehefrau Stella Assange schrieb kurz und bündig auf X: «Die so genannte Begnadigung von Assange ist eine weitere Lüge, die das wahre Ziel verbirgt, nämlich ihn endlos eingesperrt zu halten.»

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27. März 2024
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Kommentare

Wenn die Realität verkehrt wird

von juerg.wyss
"Die Strafverfolgung Assanges ist politisch motiviert." In diesem Satz ist so ziemlich alles verschoben. Denn die Politik ist nicht das ausschlaggebende. Sie ist nur ein Spielzeug von Verbrechern, die politisch versuchen ihre Straftaten zu vertuschen.  Also verdrehe ich die Tatsachen wieder ins richtige Licht. Assange ist Zeuge eines  oder vieler Verbrechen, angeklagt werden sollte die Politik.  Politiker beeinflussen die Justiz, damit der Zeuge der Angeklagte wird. Auch ein geschicktes Mannöver um die Schuld auf einen anderen zu lenken, oder um sein Verbrechen zu vertuschen.