Bedingungsloses Grundeinkommen: neoliberal oder sozial?

Unter den Befürwortern des bedingungslosen Grundeinkommens bGE wächst die Kritik. Eine von ihnen ist die Künstlerin und Kuratorin Irene Varga aus Berg/SG, die in St. Gallen seit einiger Zeit einen «bGE Stamm St. Gallen» moderiert, aus dem die «IG für ein soziales STATT neoliberales bGE» hervorgegangen ist. Ihre Kritik: Das bGE ist neoliberal und wird die Umverteilung von unten nach oben verstärken. Deshalb muss es in ein soziales bGE umgewandelt werden. Dazu ein Gespräch zwischen Irene Varga und Ina Praetorius, Theologin, Autorin und Mitglied des Initiativ-Komitees.


Ina Praetorius: Du unterscheidest zwischen einem «neoliberalen» und einem «sozialen Grundeinkommen». Kannst du in wenigen Sätzen erläutern, was du damit meinst?

Irene Varga: Das neoliberale bedingungslose Grundeinkommen (bGE) ist jenes, das von Götz Werner und der Stiftung Kulturimpuls Schweiz vertreten wird. Es bewirkt bei genauem Hinsehen eine massive Umverteilung von unten nach oben und gefährdet bestehende Sozialwerke.  Der Plan: das neoliberale bGE bekommen alle, doch bei vielen «wächst es in den Lohn und in die Sozialleistung hinein». Bei anderen kommt es «oben drauf», denn für Selbständige und Privatiers gibt es keinen Verrechnungsprozess. Das Geld aus der Lohnsenkung muss die Unternehmung nicht etwa dem Staat zuleiten, sondern könnte es für Preissenkung verwenden, aber auch für Gewinnmaximierung, je nach Marktmacht des Unternehmens.  So wirkt das neoliberale bGE als Senker des sozialpflichtigen Lohnes und als massive Subvention für Unternehmen und Reiche.

Das soziale bGE hingegen bekommen jene - ganz oder teilweise -,  die es brauchen. Beziehen dürfen es alle, aber jene die es gemäss Steuererhebung nicht, oder nicht in voller Höhe brauchen, sind rückerstattungspflichtig. Das soziale bGE soll erheblich zur korrigierenden Rückverteilung von oben nach unten beitragen, während jene Schutzrechte (z.B. Mindestlöhne, Kündigungsschutz usw.), welche Umverteilung nach oben ausbremsen, weiter zu stärken sind. Korrigierende Rückverteilung lässt sich am besten mit nationalen stark progressiven Erbschafts- und Vermögenssteuern, aber auch progressiven Transaktionssteuern,  progressive Einkommens- und Kapitalertragssteuern usw. erreichen. Zu beachten ist, dass die korrigierende Rückverteilung nicht nur der Wohnbevölkerung in der Schweiz, sondern allen, durch «unsere» Konzerne und Akteure übervorteilten Menschen und Völkern, zugute kommen soll.

Das Initiativkomitee der «eidgenössischen Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen» propagiert zwar nicht einheitlich, aber doch mehrheitlich das Finanzierungsmodell, das von dem deutschen Unternehmer Götz Werner entwickelt worden ist. Es stützt sich auf eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Du bist kritisch. Warum?

Verkürzt lässt sich sagen: Die MWST ist eine asoziale Steuer.  Geringverdiener konsumieren. Reiche spekulieren. – Etwas ausführlicher: Die MWST ist auch in Verbindung mit dem bGE - trotz aller Propaganda,  im wesentlichen Teil nicht progressiv sondern degressiv. Den Trick, den Götz Werner anwendet ist, dass er bei der Progressionsbeschreibung wesentliches ausblendet, nämlich erstens das erwähnte «Hineinwachsen in den Lohn» das nur einige trifft und zweitens, die MWST-befreiten Ausgaben, die in der Grösse erheblich von der Position «oben» und «unten» abhängen. MWST frei sind z.B. Miete, Versicherungen, Sparen, Investieren, Spekulieren, Spenden, Geldeinlagen in Stiftungen, viele Immobiliengeschäfte, der Luxus von eigenen Hausbediensteten und privatem Chauffeur, Kapitän und Pilot. Hinzu kommt: Unternehmer und Manager haben einen gewissen Ermessensspielraum, bei dem einiger privater Konsum als Geschäftsausgabe deklariert werden kann, so dass die MWST als Vorsteuer rückvergütet wird. Sparen ist lediglich bei Geringverdiener und Mittelstand ein «aufgeschobener Konsum». Gutbetuchte können gar nicht soviel verkonsumieren, wie ihnen laufend Geld zu sprudelt.  Summasummarum, je ansehnlicher ein Einkommen um so geringer ist der MWST-pflichtige Konsumanteil im Verhältnis zum Einkommen. Darum:  Wer höhere MWST Sätze will, um die Last auf die direkten Steuern zu senken, der will Steuergeschenke an die Reichen und Superreichen, und der will, dass «Strukturbereinigungen»  schneller stattfinden, denn kleine Unternehmungen können nicht so viel MWST auf ihre schlechteren Einstandspreise zuschlagen, wie sie dem Staat gemäss Umsatz abliefern müssten.


In einem Vortrag, den Götz Werner am 5. April in Bern gehalten hat, sagt er: «Die Leute meinen immer, es geht um Umverteilung. Glauben Sie mir, es geht nicht um Umverteilung. Lesen Sie das nach in der Bibel: Um die reichen Menschen brauchen wir uns keine Sorgen zu machen… Um die kümmert sich der liebe Gott… ». Was hältst du von dieser Aussage?


Schön, dass er zugibt, dass er kein Freund der korrigierenden Rückverteilung ist. Verständlich, dass er verheimlicht, dass sein Vorschlag massivst umverteilt - nur leider in die falsche Richtung.  Schade, dass er die Menschen dazu animiert Verantwortung auf Gott und das Jenseits auf- und abzuschieben. Mein Leitsatz: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott! – Wir Menschen sind es, die dafür sorgen müssen, dass das Leben auf Erden nicht zur Hölle verkommt. Eine Hölle mit zerstörten Natur und versklavten Tieren und Menschen. Wir rasen immer schneller auf solche weitestgehende Ungeheuerlichkeiten zu. Viele sind längst mitten drin. Jean Ziegler ist einer von jenen, der die Beispiele sammelt und beschreibt. -  Die Ungleichverteilung trägt wesentlich zum Elend bei. Politik und Wirtschaft haben weltweit eine «Elite» hervorgebracht, die so reich ist, dass sie Unternehmungen, Menschen, Richter, Politiker, Polizei, Militär, Reaktoren, Redaktoren, Kursdifferenzen, Ländereien, Staaten -  was immer - kaufen kann. Es ist schwer zu sagen, wo die gesunde Obergrenze liegt, aber es ist ein leichtes zu erkennen, dass sich unser gelebter Irrtum auf der Seite des «weit zuviel» befindet.


Voraussichtlich wird die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen am 4. Oktober 2013 eingereicht. Was bedeutet das für dich?


Es war klar, dass die Unterschriften zusammen kommen, denn natürlich ist die Vision von einer Gesellschaft mit bedingungslosem Grundeinkommen grundsätzlich etwas sehr Schönes. Auch ich wünsche mir, dass Menschen nicht darauf angewiesen sind, das zu tun, was skrupellose Konzernchefs als nützlich und dringend erachten, sondern dass Menschen sich mit voller Eigenverantwortung in liberaler effizienter Arbeitsweise im Rahmen ihrer Fähigkeiten dort einbringen können, wo es der Menschheit am dienlichsten ist. Diese wunderbare Vision ist arg getrübt vom aktuellen Klima des immer unerbittlicher wütenden Neoliberalismus:  Solange viele Gewinnmaximierung und Sozialstaatsschwächung betreiben, solange dem Volk der Mut und Wille zu gerechten Steuern fehlt, solange ein Sparpaket das andere jagt, bei dem Cheflöhne geschont, den Ärmsten und Kranken aber immer mehr genommen wird,  solange ist die Gefahr eines Strohfeuers mit bitterstem Ende ganz erheblich. In solch einem Klima kann ein neutraler bGE Artikel nur eine neoliberale Ausführungsvariante hervorbringen. Was nicht als soziale Variante deklariert ist, wird nicht eine soziale Variante werden. Das bGE liesse Inlandpreise noch mehr steigen und Löhne fallen. AHV, IV, ALV, UVG und vieles mehr würde bald zerschlagen werden mit der Ausrede, dass diese bloss wertvolle Mittel verschlingen und die Unternehmen ungebührlich belasten.  Darum mein energisches NEIN für diese Initiative. Zudem: die Schaffung einer bGE Gesellschaft ist ein Generationen Projekt. Da tut ein Big-Bang Artikel keinen guten Dienst. Selbst wenn das NEIN des Volkes kommt, hat die Propagandaaktion für das bGE - neben vielen wertvollen Mobilisierungen - auch viel Schlechtes gestiftet: Glorifizierung von MWST, von Staatsabbau, von Privatisierung, und vom EU-Beitritt. Wer zuwenig Zeit hat, die Themen genauer zu untersuchen, bleibt zurück mit den falschen Bildern im Kopf. Es häuft sich also viel dringende Aufklärungsarbeit an.



Eins ist sicher: sobald klar ist, dass eine Volksinitiative zustande kommt, geht es um Fragen der konkreten Umsetzung. Nun sind sich aber alle einig, dass man das Grundeinkommen nicht von einem Tag auf den anderen, sondern nur schrittweise umsetzen kann. Wo würdest du beginnen? Und warum gerade hier?
  
Ein bGE ist so gut wie seine Geldquellen, deshalb muss als erstes die Steuerpolitik «entneoliberalisiert» werden (siehe die Ausführung oben zum «sozialen bGE).  Der AHV-Topf kann dann mit einem Teil dieses Geldes geflutet werden um die Arbeitnehmenden via laufender Rentenaltersenkung an den  Produktivitätssteigerungen der letzten Jahrzehnten teilhaben zu lassen. Zunehmend  mehr Menschen kämen so in den Genuss eines bGE Lebens. Solange es mehr Arbeitssuchende als Stellen hat und solange viel unnütze und sozio- und ökoschädliche Arbeit geleistet wird, ist unser Rentenalter ohnehin viel zu hoch.

Weil ich verspielt bin, würde ich aus den Steuereinnahmen zusätzlich einen Lotterietopf füttern, bei dem zunehmend mehr Menschen ein lebenslanges soziales bGE auf kulturtauglichem Niveau gewinnen könnten. So erhielten neben den hoffentlich rüstigen Frührentnerinnen und Frührentnern auch einige jungen Menschen die Gelegenheit, ein bescheidenes, aber selbstbestimmtes Leben führen zu können. Vielleicht könnten diese Individuen den Quantensprung erzeugen, den die Menschheit so dringend benötigt, um aus ihrer verfahrenen gelddominanten Weltordnung herauszufinden.


Irgendwie wollen wir doch alle «eine bessere Welt». Aber wenn es darum geht, wie wir mehr Gerechtigkeit und Wohlbefinden für alle erreichen, scheiden sich die Geister. Was müsste deiner Meinung nach passieren, damit sich wirklich etwas bewegt?


Es muss ganz viel passieren. Neben der Steuerpolitik und Rentenpolitik müssen wir auch die Unternehmungsstrukturen, Stiftungen, Finanzmärkte, Bildungspolitik, Forschungsrichtungen und die Medienpolitik überdenken. Überall braucht es mehr Unabhängigkeit, von mächtigen Gewinnmaximierern, das heisst einerseits mehr Staatsgelder für freies Wirken, mehr Kontrolle durch Bürgerinnen und Bürgern,  möglichst volle Transparenz von Geldfluss und Interessenskonflikten. In der Politik braucht es zudem eine Entschleunigung und projektmässiges Vorgehen. Niemand widmet sich heute ausgiebig den Problemen, ihren Ursachen und den gesellschaftlichen Fernzielen. Alle stürzen sich auf irgendwelche Lösungen, die gute Gründe vorschieben, doch in Tat und Wahrheit von Interessensvertretern der Konzerne diktiert werden. In den klassischen Medien, braucht es mindestens so viel Aufklärung, wie im Internet und weniger Brainwashing der Art «Du bist grossartig, weil Du konsumierst». Je mehr Menschen sich zu Diskussionsgruppen real oder virtuell zusammen tun, um so besser. Wer Meinungen austauscht, wird hellhörig auf Argumente und kann vielleicht die eine oder andere neoliberale Ausbeutungslist durchschauen. In den Parlamenten braucht es Volk, nicht Wirtschaftsvertreter. Die Wirtschaft ist stark genug um ihre Interessen ausserhalb der Parlamente zu verteidigen. Das Volk nicht. Durch Senkung des AHV-Alters («Muss») und Einführung einer bGE Lotterie («nice to have») erhielten wir vielleicht mehr solches Volk, das aktiv an der guten, sozialen Zukunft mitgestaltet.

Kontakt Irene Varga: [email protected]
www.artsavour.ch