Finanzwesen: Verantwortungslosigkeit mit System

Investmentbanker haben ein Gewissen, aber sobald es drauf ankommt, schalten sie es ab. So lassen sich die Ergebnisse einer Studie der Berner Soziologin Claudia Honegger interpretieren, die mit einem Forscherteam Bankerinnen und Banker interviewt hat. «Strukturierte Verantwortungslosigkeit» heisst das daraus entstandene Buch in Anspielung auf die strukturierten Produkte des Finanzmarktes.


Zur Zeit der Interviews, also mitten in der Finanzkrise, waren die meisten Banker verunsichert und versuchten sich zu rechtfertigen – das deutet auf das Gewissen hin. Doch schuld waren immer andere: Politiker, negative Medien, die menschliche Gier. Gewissenhaft zeigten sich einzig Regionalbanker und Frauen, die ohnehin kaum im riskanten Investmentbanking zu finden sind. Die Konstrukteure der komplizierten Finanzprodukte hingegen, schoben alle Verantwortung von sich. Der Arbeitsplatz galt ihnen als mathematische Spielwiese. Was auf dem Finanzmarkt mit ihren Spielzeugen geschah, interessierte sie nicht. Und ihre Vorgesetzten billigten ihre Produkte meist nur, weil sie nicht zugeben wollten, dass sie sie im Grunde nicht verstanden. Der Finanzwald ist so gross und komplex, dass sich jeder Verantwortliche hinter einem Baum verstecken kann.     

Claudia Honegger, Sighard Neckel, Chantal Magnin (Hrsg.): Strukturierte Verantwortungslosigkeit – Berichte aus der Bankenwelt. Suhrkamp-Verlag, 2010, 400 S., Fr. 26.90/12,00 Euro

01. Oktober 2010
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