«Apartheid steht für völkerrechtliches Unrecht»

Gestern erschien im Westend-Verlag ein Buch, in dem Autor Kai Ambos der heiss diskutierten Frage nachgeht, ob Israel in Palästina eine Apartheid-Politik betreibt. Der Zugang des Rechtsprofessors ist wissenschaftlich differenziert und grenzt sich auch von der populistischen Verwendung des Apartheid-Begriffs ab.

Zahlreiche UN-Gremien sowie Menschenrechtsorganisationen sind der Überzeugung, dass Israel nur aus – antisemitisch motivierter – Israelfeindlichkeit vorgeworfen wird, in Palästina Apartheid-Politik zu betreiben. Doch stimmt das wirklich? Dieser Frage geht der Rechtswissenschaftler Kai Ambos in seinem neuen Buch «Apartheid in Palästina? Eine historisch-völkerrechtliche Untersuchung» nach.

Die Publikation bietet eine umfassende Analyse, bei der zuerst die rechtliche Dimension des Apartheid-Begriffs erklärt wird und die Theorie dann auf die besetzten palästinensischen Gebiete, insbesondere aufs Westjordanland und auf Ost-Jerusalem angewandt wird.

Es wird klargestellt, dass der rechtlich klar definierte Begriff «Apartheid» von der Verwendung als populistisches Schlagwort klar abgegrenzt werden muss: «Apartheid im rechtlichen Sinne steht für völkerrechtliches Unrecht und ein völkerrechtliches Verbrechen und ist nicht territorial beschränkt.» Kai Ambos geht deshalb der Frage nach, ob es sich bei Israels Palästina-Politik tatsächlich um ein Apartheidsystem im völker- und strafrechtlichen Sinn handelt.

Diesbezüglich kommt der Autor nicht nur zur Erkenntnis, dass diese Frage mit Ja zu beantworten ist – sondern auch, dass «der Apartheidvorwurf – so empörend er aus Sicht der israelischen Regierung auch erscheinen mag – nicht mit dem Gegenvorwurf des Antisemitismus entkräftet werden kann». Zumindest sofern man Antisemitismus nicht als populistisch verformten Kampfbegriff verwende. «Denn hier steht nicht das Existenzrecht des Staates Israel in Frage, und schon gar nicht geht es um Kritik an Juden als Juden; vielmehr geht es um völkerrechtich begründete und damit legitime Kritik an der Politik des Staates Israel.»

Eine solche Kritik ist laut dem Autor nicht nur nicht-antisemitisch, sie ist vielmehr pro-israelisch, denn sie trage zur Erhaltung des Staates Israel als demokratisch-liberalem Rechtsstaat und Heimstätte der Juden bei. Dass die Erhaltung eines solchen israelischen Staates in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht existenziell sei, werde gerade auch von jüdischen Wissenschaftlern und Intellektuellen anerkannt.

«Auf der Grundlage der vorliegenden Informationen lässt sich nachvollziehbar vertreten, dass in den besetzten Gebieten ein institutionalisiertes (Apartheid-)Regime existiert, dessen Haupttriebfeder das seit 1967 laufende israelische Be- und Ansiedlungsprojekt ist, einschließlich all seiner Nebenwirkungen, insbesondere in Bezug auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung», schreibt Kai Ambos im Fazit des Buchs. «Ferner kann, wenn auch mit weniger Gewissheit, gesagt werden, dass es eine rassische Beherrschung der palästinensischen Lokalbevölkerung in den besetzten Gebieten, insbesondere im Westjordanland, gibt.»

Dazu muss gesagt werden, dass Kai Ambos sich nicht erst seit gestern mit Israel-Palästina beschäftigt, sondern seit über zehn Jahren – und zwar intensiv und differenziert, aus seiner Perspektive als Rechtswissenschaftler. Ambos ist Professor für Straf- und Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung, internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Georg-August-Universität Göttingen und war als Gastprofessor an diversen Universitäten in Lateinamerika, Spanien, Italien, England und Israel tätig. Ausserdem ist er List Counsel am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und seit 2017 Richter am Kosovo Sondertribunal. 2020 erhielt er den Wissenschaftspreis Niedersachsen, seit 2024 ist er Mitglied im Fachkollegium Rechtswissenschaften der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

 

Kai Ambos: «Apartheid in Palästina? Eine historisch-völkerrechtliche Untersuchung»
Westend-Verlag April 2024
ISBN 9783949925245

Mehr Infos auf der Website des Westend-Verlags


Lesen Sie im Zeitpunkt auch:

Was wirklich antisemitisch ist

«Das Böse ist in der Mitte der israelischen Gesellschaft angekommen»