Warum die Friedensdemonstration in Berlin diesmal enttäuschend war – und ich trotzdem froh war, dass ich teilgenommen habe.

Friedensdemo Berlin
«Nie wieder Krieg" Friedensdemonstration in Berlin, Foto: Christa Dregger

Wieder war es eiskalt mit teilweise Schneeregen. Wie schon vor neun Monaten, als Ende Februar Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer zur Friedensdemonstration ans Brandenburger Tor aufgerufen hatten. Doch vieles war anders diesmal. So gab es kaum Presserummel vorher oder mediales Gezeter, dass jetzt auch Rechte für Frieden demonstrieren. Aber es gab auch viel weniger Menschen. Die Polizei sprach von 5.000, die Veranstalter von 20.000 – irgendwo dazwischen wird die Wahrheit liegen, und das ist eindeutig zu wenig für die «vielleicht wichtigste Friedensdemonstration», wie Mitveranstalter Reiner Braun sie nannte. Denn die Demonstration richtete sich nicht nur gegen die erneuten (und in Deutschland verdoppelten) Waffenlieferungen in die Ukraine. Sondern gegen die 216 Kriege und kriegerischen Auseinandersetzungen, die derzeit auf der Erde stattfinden. Auch und ganz besonders gegen Gaza. Und gegen die Forderung von Verteidigungsminister Pistorius, Deutschland müsse wieder «kriegstüchtig» werden. Wie geschichtsvergessen kann man denn noch werden!

 

Krieg ist ein Geschäft

 

Aber nicht nur die vergleichsweise geringe Zahl, sondern auch die Stimmung – ich fand sie mutlos, bisslos. Nicht nur wegen der grösstenteils älteren Generationen, von denen viele (wie ich auch) zu den Veteranen der grossen Bonner Friedensdemos der Achtziger Jahre zählen dürften. Sondern auch weil es nicht einfach ist, uns – nach der endlosen Spaltung der letzten Jahre – auf gemeinsame Forderungen zu einigen. Der Gegner scheint nicht mehr nur ausserhalb von uns, sondern auch mitten unter uns zu sein, und Verständigung ist echte Arbeit.

Jeder will Frieden. Die Frage ist doch vielmehr: Auf welcher Bank liegt denn euer Geld?

Und doch bin ich froh, dass ich den Weg auf mich genommen habe. Das liegt an einer erhellenden Nebenbei-Begegnung – und an den starken Redebeiträgen. Mit französischem Akzent blaffte uns ein Mann an. Unsere Friedensschilder: «Nie wieder Krieg!» Und «Nicht in meinem Namen» seien viel zu brav und nett. Wüssten wir denn nicht, warum es den Deutschen wirtschaftlich so gut gehe? Doch nur wegen der Rüstungsindustrie. Wenn unsere Regierungen Waffen in alle Länder liefern, können sie über so fromme Friedensforderungen doch nur lachen! 

«Jeder will Frieden. Die Frage ist doch vielmehr: Auf welcher Bank liegt denn euer Geld? Wer bezahlt eure Renten? Die Rüstungsindustrie. Deutschland hat sich komplett der Waffenindustrie verschworen und politisch völlig den USA unterworfen. Es sorgt dafür, dass ganz Europa stillhält. Es blockiert auch Frankreichs vorsichtige Versuche, sich dem US-Diktat zu entziehen.»

In Frankreich demonstriere man ganz anders: «Keine frommen Wünsche, keine feingeistigen Floskeln, keine schönen Friedenslieder, sondern klare Forderungen auf den Transparenten. Und dorthin gehen, wo es weh tut, egal ob es erlaubt ist oder nicht, in die Regierungsviertel, über die Barrikaden… nur so ändert sich etwas.»

Unsere Laschheit liege daran, dass wir Deutschen keine Streitkultur hätten. «Die Deutschen kuschen vor den Mächtigen, weil sie die Auseinandersetzung fürchten. So werden wir die Kriege aber nicht beenden.» 

Polternd und schimpfend zog er weiter… und ich musste ihm in vielem Recht geben. Unsere Friedensfolklore macht zu wenig Druck. Ich bin trotzdem froh über alle, die sich bei dem Wetter auf den Weg gemacht haben. Vor allem auch, weil man, wie ich finde, kaum irgendwo so viel unzensiert lernen kann wie auf einer Demonstration.

Zum Beispiel durch die starken Ansprachen von Sahra Wagenknecht, Gabriele Krone-Schmalz und Michael von der Schulenburg. Ich möchte nur wenige Aussagen wiedergeben, die ganzen Beiräge finden sich hier.

Sahra Wagenknecht benannte Krieg als grössten Klimakiller und machte darauf aufmerksam, dass ein einziger Kampfjet in einer Stunde mehr CO2 erzeugt als ein Mittelklassewagen in 7 Jahren. «Warum spricht darüber niemand? Warum kleben sich die Klimakleber eigentlich nicht in Ramstein fest statt vor dem Brandenburger Tor?» Sie prangerte auch die Politik der SPD und der Grünen an, die den höchsten Militäretat aller Zeiten beschlossen haben. «Was ist nur aus der Partei Willi Brandts geworden? Noch schlimmer sind die kriegsbesoffenen Grünen und ihre angeblich wertebasierte Aussenpolitik.» 

Schulenberg

Michael von Schulenberg, ehemaliger Diplomat, sagte sinngemäss: «Der Krieg gegen Terror hat sogar nach US-amerikanischen Berechnungen 4,5 Millionen Menschen das Leben gekostet. Auch wenn darunter einige tausend Terroristen waren, so waren doch die Mehrheit unschuldige Zivilisten. Kein Land und kein Staatenbündnis hat jemals in so vielen Länder eingegriffen wie die NATO. Die NATO verfügt über 60% aller Waffen und ist in der Hand einer global gesehen kleinen, weissen Minderheit.» 

Die militärischen Spannungen, so führte er weiter aus, spitzen sich zu wie nie zuvor: Allein die technische Effektivität der Waffen nimmt ständig zu, was einen neuen Druck schaffe – man müsse in kürzester Zeit reagieren, es bliebe kein Raum für Missverständnisse, Gespräche und Verhandlungen. 

In der Ukraine und in Gaza erlebten wir zum ersten Mal heisse Kriege, in denen Atomwaffen eine Rolle spielten, das sei bisher nur im Kalten Krieg der Fall gewesen. «Atomwaffen zerstören alles, nicht nur die Besiegten, sondern auch die Sieger.» Alleine schon über die Verwendung von Atomwaffen nachzudenken oder zu sprechen, sei ein Zeichen von geistiger Umnachtung.

«Wir werden noch in diesem Jahrhundert 10 Milliarden Menschen auf der Erde sein. Das wird unweigerlich zu immer mehr Konflikten führen, Konflikte um Land, um Ressourcen. Der einzige Weg, den ich sehe, um Konflikte zu lösen, liegt in einem kleinen einfachen Wort: Verstehen. Ich bin als Putin-Versteher beschimpft worden, weil ich Friedensverhandlungen für die Ukraine gefordert habe. Aber Verstehen hat mit Verstand zu tun, und das ist es, was uns Menschen mitgegeben wurde. Wir müssen dem Gegenüber nicht zustimmen, aber seine Position zu verstehen, bringt uns schon einmal so nah zusammen, dass wir uns nicht angreifen müssen.»