Drei Fragen an Linksbündig: Warum wir Ulrike Guérot eingeladen haben

Anlässlich des Auftritts der Politologin Ulrike Guérot in Zürich am 13. Juni spricht Tove Soiland von Linksbündig über ihr Verständnis von Linkssein.

Matthias Burchardt/klarsicht-verlag

Zeitpunkt: Bei der nächsten Veranstaltung von «Linksbündig» am 13. Juni im Volkshaus in Zürich wirst du ein Gespräch mit Ulrike Guérot führen. Die deutsche Politikwissenschaftlerin verlor Ihre Professur, weil sie sie sich kritisch zur Corona- und der Ukrainepolitik äussert. Inwiefern spielt es eine Rolle, dass sie eine Frau ist?

Tove Soiland: Ich bin mir sicher, dass Männer anders mit Männern umgehen, die aus der Reihe tanzen. Ulrike Guérot war eine hoch anerkannte, stark vernetzte Politologin und Europaspezialistin. Dass sie unbeugsam, aufrecht und mutig ihre Meinung vertritt, hat die Männer, die immer noch in der grossen Mehrheit in den tonangebenden Gremien sitzen, wohl einfach gekränkt. Zudem ist es bedrohlich, wenn eine so bekannte Person wie Ulrike Guérot Dinge ausspricht, die äusserst brisante Fragen zuhanden der Verantwortlichen und der Inhaber politischer Ämter stellen. Sogenannte «Feministinnen» hingegen wie Annalena Baerbock stellen nichts in Frage; sie machen, was den Männern gefällt und werden deshalb von ihnen getragen.

Nun zu euch: Ihr nennt euch «Linksbündig». Warum? Oder anders gefragt, kannst du uns erklären, war ihr mit links meint? Es gibt ja auch die Ansicht, dass das links-rechts-Schema seinen Sinn verloren hat.

Das sehen wir überhaupt nicht so! Es gibt hier eine gewisse Verwirrung. Bürgerliche gingen während der Corona-Zeit soweit zu glauben, dass die staatliche Corona-Politik einen neuen Sozialismus einführen wollte. Das ist natürlich Unsinn. Aber viele Linke sind diesem Missverständnis gefolgt. Mit etwas Sozialistischem hatten aber die Corona-Massnahmen gar nichts zu tun. In unserer Analyse, und daher sind wir links, dienten die Massnahmen der Durchsetzung eines neuen Akkumulationsregimes und dem Management einer im Hintergrund drohenden gigantischen Finanzkrise – und nicht dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung. Diesen kann man nur gewährleisten, wenn man das Gesundheitswesen ausbaut. Genau dies geschah aber in den letzten drei Jahren nicht, im Gegenteil, es wurden weitere Spitäler geschlossen und Betten abgebaut. 

Dass die Linke diese verfehlte Corona-Politik nicht nur gutgeheissen, sondern sie teilweise an vorderster Front verteidigt hat, heisst für uns ganz einfach, dass sie ihre linke Position verraten hat. Das heisst aber nicht, dass es deshalb die Sache des Linksseins nicht mehr gibt. Es braucht eine kapitalismuskritische Linke mehr denn je. Wir fordern deshalb auch eine Aufarbeitung der Corona-Krise aus einem dezidiert linken Standpunkt, indem wir zum Beispiel fragen: Wem dient die Weise, wie in dieser Krise reagiert wurde? Viele Links-Liberale glaubten, dass der Staat nun endlich den Schutz der Bevölkerung höher bewertete als die Wirtschaft. Das ist absurd. Abgesehen von allen gesundheitsschädigenden Wirkungen der Corona-Massnahmen liegt aus unserer Sicht das Hauptmissverständnis in Folgendem: Der Kapitalismus braucht Krisen, ja er gedeiht in ihnen wunderbar. Zu Lasten der Bevölkerung. Kapitalakkumulation ist ganz einfach die Weise, wie in einer bestimmten Zeit mit Kapital Gewinne hergestellt werden können. Die Corona-Krise war eine bestimmte Weise, über eine aktiv ausgelöste Krise zu akkumulieren, indem zum Beispiel kleinere Betriebe eingingen und dann billig von grösseren aufgekauft werden konnten. Ich lasse hier explizit offen, ob die intendiert war. Das weiss ich nicht. Ein Effekt aber war es in jedem Fall.

Ihr vertretet zum Teil ähnliche Kritiken bezüglich Corona wie rechts-bürgerliche Kreise. Wie unterscheidet ihr euch von deren Haltung?

Zuerst einmal möchte ich betonen, dass die meisten Menschen, die an die Corona-Demos gingen, nicht rechts sind. Das war ein Framing, das sehr wirkungsvoll war und den Effekt hatte, dass die politische Botschaft der Proteste erst gar nicht gehört werden musste. Die Leute an den Demos waren schlicht ökonomisch von den Massnahmen betroffen und hatten Angst um ihre Existenz. Daher forderten sie Freiheit.

Unser Hauptfokus ist aber nicht die Freiheit. Ich habe zwar nichts gegen Freiheit, aber wenn ich krank bin, brauche ich ganz einfach ein gut ausgebautes Gesundheitswesen. Da hilft mir eine abstrakte Freiheit nicht wirklich weiter.

Was uns teilweise inhaltlich unterscheidet, ist also, dass wir von «Linksbündig» einen umfassenden Ausbau der Finanzierung des Care-Sektors fordern (das sind alle Arbeiten, die mit Menschen zu tun haben wie Pflege, Betreuung, Kleinkindererziehung, Schule, Sozialwesen etc.). So fordern wir zum Beispiel die generelle Verdoppelung des Budgets für Pflegekosten schweizweit, damit das Pflegepersonal bei gleichem Lohn weniger arbeiten muss und sehr viel mehr Pflegepersonal eingestellt werden kann. Das würde all diejenigen, die den Beruf erlernt, aber später verlassen haben – und das sind über 60%! –, weil die Arbeitsbedingungen einfach unhaltbar sind, wieder in den Beruf zurückholen. Diese Erhöhung des Budgetpostens für Pflege muss jedoch so gestaltet werden, dass sie nicht die Familienbudgets oder Budgets von Einzelpersonen belastet.

Das wäre möglich über eine Umlagerung in der Wertschöpfungskette: Wertschöpfungsstarke Brachen wie die IT-Brache, der Bankensektor oder die Pharmaindustrie, wo hohe Gewinne auf das investiertes Kapital möglich sind, sollten einen Teil ihres Gewinns an den wertschöpfungsschwachen Care-Sektor abgeben. Denn: Auch ein IT-Unternehmen braucht für seine Mitarbeiter Kitas, gute Spitäler und ausgebaute Pflegeeinrichtungen für deren Angehörige. Sonst funktioniert gar nichts. Kapitalismustheoretisch kann man sagen, dass diese Branchen gegenwärtig nicht für die vollen Kosten von Care-Dienstleistungen aufkommen, die sie gleichwohl benutzen. Sie kaufen etwas ‚unter seinem Preis‘ ein, das auch sie brauchen: nämlich gute versorgte Menschen. Man könnte z.B. über die Einführung einer Wertschöpfungssteuer zur Finanzierung des Care-Sektors diskutieren.

Zudem fordern wir die Abschaffung der DRGs, der sog. Fallpauschalen, da diese die Spitäler in eine permanente und strukturelle Unterfinanzierung führen. Mit einem so ausgebauten Gesundheitssystem könnte man eine Gesundheitskrise meistern, ohne dass man die Bevölkerung den horrenden Preis von Lockdowns zahlen lässt.

Das sind aber vermutlich Forderungen, die von rechts-bürgerlichen Kreisen nicht mitgetragen werden. Aber ich kann mich natürlich auch täuschen. Schön wäre es. 

Ulrike Guérot am Dienstag, 13. Juni, in Zürich

Aus nichtigen Gründen hat Ulrike Guérot vor ein paar Monaten ihre Professur für Politikwissenschaften an der Universität Bonn verloren. Die Medien, die sich um die pointierte Europakennerin rissen, schaufeln nun an ihrem Grab. Ihr «Verbrechen»? Sie vertritt mutig und ohne Angst vor Verlusten unzeitgemässe Argumente zu Corona und Ukraine.

Über ihre Erfahrungen hat sie ein Buch geschrieben: «Das Phänomen Guérot», Mitautor: Matthias Burchardt.

«Linksbündig», der Verein nicht-konformer Linker, hat Ulrike Guérot nach Zürich geladen. Im Gespräch zwischen Guérot und der Philosophin Tove Soiland von «Linksbündig» geht es unter anderem um die Demokratiefeindlichkeit der Cancel Culture.

Wo und Wann:

Dienstag, 13. Juni, 19-21 Uhr, Volkshaus, Zürich.