«Wir sind in der Poleposition»

Ein Plädoyer für die Energiewende in der Schweiz

Wir in der Schweiz leben im Paradies. Die Frage lautet nur: Wie können auch unsere Urenkel einen ähnlichen Lebensstandard haben? Zurzeit brauchen wir ja rund drei- bis viermal mehr Ressourcen, als uns zustehen würden. Lange lässt sich das nicht durchhalten. Zudem ist die Fülle sehr ungleich verteilt. Entweder man wird auf der richtigen Seite der Erdkugel geboren – der nördlichen – oder in die «richtige» Gesellschaftsschicht.
Als Unternehmer weiss ich: Man muss auch bei der Energie vom Ertrag leben, also den Erneuerbaren, und nicht vom Eigenkapital, den fossilen Brennstoffen. Davon sind wir weit entfernt. Verbesserungen, sogar von 10 oder 20 Prozent, reichen bei Weitem nicht.


Im Wesentlichen geht es um die drei Bereiche Wärme, Elektrizität und Mobilität. Bei der Wärme haben wir schon einiges erreicht. Während ein Neubau von 1970 einen Heizölverbrauch von 22 Liter pro Quadratmeter und Jahr hatte, liegt der Minergie-Standard heute bei 3,8 Liter. Wenn wir dafür Wärmepumpen einsetzen, verbessert sich das Ergebnis noch einmal um das Drei- bis Vierfache. Das Problem liegt darin, dass die Gebäudesubstanz zu langsam erneuert wird. Wenn wir so weitermachen, benötigen wir noch 80 Jahre. Es braucht also deutliche Anreize.


Bei der Elektrizität, bei der wir für jeden Tag und jede Stunde des Jahres Produktion und Verbrauch durchgerechnet haben, zeigt sich: Es ist mit Erneuerbaren zu schaffen; und es kommt auch nicht teurer als mit Atomkraftwerken. In unseren Vergleich haben wir die Kosten für Endlagerung und Risiko nicht berücksichtigt. Dass die Erneuerbaren teurer sind, ist heute schlicht und einfach ein Märchen. Zudem sind wir in der Schweiz mit unseren Stauseen geradezu prädestiniert für Erneuerbare. Wir müssen nur unsere Speicherseen dynamischer bewirtschaften. Wir stehen gewissermassen in der Poleposition; es wäre jammerschade, wenn wir sie nicht nutzten.


Das grosse Problem ist die Mobilität. Die technischen Verbesserungen der letzten 20 Jahre haben genau nichts gebracht. Die Ersparnis durch verbesserte Motoren wurde durch zusätzliches Gewicht und geändertes Verkehrsverhalten (noch weniger Fahrgäste pro Fahrzeug) wieder zunichtegemacht. Hier muss meiner Ansicht nach Kostenwahrheit hergestellt und der Benzinpreis – volkswirtschaftlich neutral! – auf 10 bis 14 Franken pro Liter angehoben werden.  


Das bedeutet, dass die direkten Kosten (Strassenbau und -unterhalt, Polizei, Pflegekosten der Verkehrsopfer etc.) mit 5 bis 6 Franken pro Liter in den Benzinpreis eingerechnet werden. Noch einmal mit 4 bis 6 Franken pro Liter schlagen die Kosten für den Verbrauch der Gemeingüter Raum, Ruhe und Luft zu Buche. Die Erträge daraus werden an die gesamte Bevölkerung rückvergütet. Von den daraus resultierenden 3000 bis 9000 Franken pro Person profitieren vor allem jene, die auf Elektromobilität oder Muskelkraft umsteigen – ein hübsches Grundeinkommen.


Insgesamt kostet die Umstellung auf eine erneuerbare Schweiz in den nächsten 20 Jahren rund 200 Milliarden. Das tönt nach viel Geld, ist aber eine ausgezeichnete Investition. Erstens bleibt das viele Geld in der Schweiz, anstatt in die Kassen erdölproduzierender Länder zu wandern. Zweitens generiert es echte Wertschöpfung, anstatt durch Kamine und Auspuffrohre in die Atmosphäre geblasen zu werden. Und drittens werden wir dadurch in den 40 Jahren nach der Umstellung 800 bis 1000 Milliarden sparen.


Als ich dieses Konzept vor etwas mehr als drei Jahren erstmals vorstellte, erhielt es von den Elektrizitätsfachleuten (mit Ausnahme der Atomlobby) sehr wohlwollende Kritiken. Über den Benzinpreis brach aber ein regelrechter Shitstorm los. Die Leute sahen nur die zehn Franken, aber weder die volkswirtschaftliche Neutralität noch die enormen Chancen. Immerhin: 25 Prozent der Blickleser hielten einen Benzinpreis von zehn Franken für vernünftig.


Politik muss in Generationen denken, nicht in Wahlperioden. Insofern bin ich verhalten optimistisch, dass auch bürgerliche Politiker die Chancen erkennen. Denn wenn wir den Menschen Planungssicherheit geben und die schrittweisen Preiserhöhungen für Benzin und Heizöl über zehn Jahre frühzeitig ankündigen, kann sich jeder darauf einstellen.
Anfang April kommt mein Buch dazu heraus und jeder kann sich ein eigenes, seriöses Bild machen. Ich habe meinen Job erst mal gemacht. Dann schauen wir, was passiert.   

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Prof. Anton Gunzinger (*1956) hat in den 1990er Jahren einen sehr günstigen Supercomputer entwickelt und wurde vom Time Magazine in die Liste der weltweit 100 wichtigsten Informatikfachleute aufgenommen. Er ist Gründer der Super Computing Systems in Zürich und Professor an der ETH. www.scs.ch. Sein Buch über die Energiewende erscheint am 9. April 2015.


Anton Gunzinger: Kraftwerk Schweiz – Plädoyer für eine Energiewende mit Zukunft. Zytglogge-Verlag. 220 S., geb. Fr. 36.–/€ 30.00.