In Liechtenstein möchte die Mobilfunkindustrie den „Volkswillen“ ausnutzen

Während demokratische Vorkämpfer in Deutschland sich dafür engagieren, dass endlich die verfassungsrechtliche Möglichkeit einer Volksgesetzgebung geschaffen wird, könnte uns in den nächsten Wochen Liechtenstein ein Beispiel dafür geben, wie dieses wichtige Instrument von wirtschaftlichen Interessen fremdbestimmt werden kann. In dem kleinen Alpenland mit seinen rund 36.000 Einwohnern sollen die Wahlberechtigten Anfang Dezember darüber befinden, ob eine kluge Entscheidung des Landesparlaments, die der Mobilfunkindustrie ein Dorn im Auge ist, wieder rückgängig gemacht wird. Die gesetzliche Festlegung, nach der ab Januar 2013 in dem Fürstentum die Grenzwerte für Mobilfunk auf ein Zehntel des jetzigen Wertes, nämlich auf 0,6 V/m gesenkt werden müssen, soll gekippt werden. Für den Fall, dass die Bevölkerung die Grenzwertabsenkung bestätigt, drohen die vier konzessionierten Mobilfunkanbieter damit, das Land zu verlassen und ihre Dienste einzustellen.



Im kleinen Fürstentum mit seinen nur 160 Quadratkilometern, eingebettet im Alpenrheintal zwischen der Schweiz und Österreich, ist das Thema «Mobilfunk und Gesundheit» seit etwa zehn Jahren ein Dauerbrenner. Denn seit dieser Zeit leistet der bisher 175 Mitglieder zählende Verein für gesundheitsverträglichen Mobilfunk (VGM) eine intensive Aufklärungsarbeit. Deshalb waren auch die 25 Volksvertreter im Parlament über die möglichen gesundheitlichen Auswirkungen der gepulsten Hochfrequenzstrahlung bestens informiert, als sie ihre verantwortungsvolle Entscheidung trafen.

Was langfristig der Gesunderhaltung der Bevölkerung dient, läuft aber leider sehr oft - und nicht nur in Liechtenstein - den kurzfristigen Interessen einer auf Gewinn ausgerichteten Wirtschaft zuwider.

In Fürstentum Liechtenstein gilt ab dem 1. Januar 2013 gesetzlich der Mobilfunk-Grenzwert von 0,60 V/m. Der Mobilfunkindustrie ist aber die Senkung der Strahlenbelastung im 36 000 Einwohner zählenden kleinen Land am Alpenrhein ein Dorn im Auge. Sie hat deshalb über die Liechtensteiner Wirtschaftsverbände eine Volksinitiative gestartet. Ziel der Initiative ist es, den vom Parlament aus gesundheitlichen Gründen beschlossenen zehnmal tieferen Grenzwert wieder rückgängig machen. Die vier in Liechtenstein konzessionierten Mobilfunkanbieter drohen im Hinblick auf die Volksabstimmung offen, im Falle der Beibehaltung des tieferen Grenzwertes das Land zu verlassen und ihre mobilen Dienste einzustellen.


So schreibt die Wirtschaftskammer des Landes in einem Brief an die Abgeordneten:
Die vom Landtag im Mai 2008 beschlossene Senkung der Mobilfunkgrenzwerte, wurde seitens der Wirtschaftskammer bereits im letzten Jahr bemängelt. Die nun vorliegenden Berichte bestätigen leider unsere schlimmsten Befürchtungen. Netzbetreiber sprachen offen von einem Ausstieg. Nun wird dies zur Realität, falls das bestehende Gesetz nicht vom Landtag revidiert wird.“ Der Mobilfunk habe bereits in jedem Schulzimmer und Haushalt Einzug gefunden, die Wirtschaft sei darauf angewiesen (Logistik, Sicherheit, Erreichbarkeit), und viele Unternehmer seien ohne diese Technologie nicht mehr wettbewerbsfähig.


Natürlich kann und will sich auch der VGM wie die mobilfunkkritischen Organisationen anderer Länder nicht über berechtigte Interessen einer konkurrenzfähigen Wirtschaft hinwegsetzen. Aber die Gesunderhaltung der Bevölkerung sollte bei jeder Abwägung auf jeden Fall Priorität haben. Dennoch muss es gar nicht zu einem unlösbaren Konflikt kommen. Denn alle mittlerweile vorliegenden Studien zeigen, dass die mobile Kommunikation bei bedeutend tieferer Strahlenbelastung ebenfalls funktioniert. Das geben mittlerweile auch die Mobilfunkanbieter offen zu.


Man muss in diesem Zusammenhang noch hinzufügen, dass die durchschnittliche Strahlenbelastung in Liechtenstein wegen der geographischen Lage sogar höher ist als anderswo, z. B. auch höher als in Deutschland. Denn in das sehr kleine Land mit seiner florierenden Wirtschaft senden über 70 Antennen, die auf Schweizer und Österreicher Hoheitsgebiet stehen, und erhöhen damit die von den Liechtensteiner Mobilfunkanbietern erzeugte, rund um die Uhr auf die Bevölkerung einwirkende Strahlenbelastung um ein Vielfaches. (Obwohl das Fürstentum rund 250mal kleiner ist als die auch nicht gerade große Schweiz, hat es aber gleich viele Mobilfunkanbieter und Mobilfunknetze, nämlich vier! Dies, während in anderen Ländern die Anbieter schon aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus fusionieren.)


Der Verein für gesundheitsverträglichen Mobilfunk fordert deshalb schon seit dem Jahr 2000 für das Land eigentlich den «Salzburger Vorsorgewert» von 0.06 V/m. Die Einführung des Grenzwerts von 0,6 V/m, wie er im Mai 2008 vom Landtag mit 24 zu 1 beschlossen wurde, ist also lediglich ein Kompromiss. Immerhin ein sehr nützlicher, denn wissenschaftliche Untersuchungen zeigen übereinstimmend, dass die Gesundheitsschädigung geringer wird, je mehr man die Strahlenbelastung drosselt.


Zu den Forderungen der Wirtschaft nach Sicherung eines vollen Breitbandangebots, die in den Diskussionen vor der Volksabstimmung gewiss eine große Rolle spielen werden, ist noch zweierlei zu sagen:

1. ist in Liechtenstein der Ausbau des Glasfasernetzes schon derart weit fortgeschritten, dass die Datenübermittlung über Lichtleiter bereits ab 2012 bedeutend günstiger, sicherer und zudem hundert mal schneller sein wird als die heutige mobile UMTS-Technik. Wenn dann das Land dieses mit Steuergeldern finanzierte Glasfasernetz sowohl der Bevölkerung als auch der Wirtschaft zur Nutzung zur Verfügung stellt - vielleicht sogar ohne jede Grundgebühr -, dann dürften die datenintensiven und kostspieligen Breitbandangebote der Mobilfunkindustrie bald der Vergangenheit angehören. Die Anbieter werden sich dann auf das absolut Nötige und Sinnvolle konzentrieren können, nämlich auf die mobile Sprachtelefonie, SMS usw.

2. gibt es sogar auf Funkbasis bereits eine durchaus realistische Lösung. Die Münchner Firma enorm GmbH, die im Jahre 2005 in Liechtenstein eine Mobilfunkstudie gemacht hat, kommt zu dem Ergebnis, dass man zu einer erheblichen Reduktion der Strahlenbelastung kommen kann, wenn man Sende- und Empfangsantennen räumlich trennt. So könnte die „Rund-um-die-Uhr“-Belastung durch sendende Basisstationen dadurch verringert werden, dass man sie jeweils möglichst weit weg vom betreffenden Wohngebiet positioniert. Die keine Strahlung abgebenden separaten Empfangsantennen müssten dann näher am Nutzer stehen und deshalb sicher auch an Zahl mehr sein, damit die Intensität der Sendestrahlung der Handys bei gleich guter Verbindung weiter gesenkt werden kann. Die enorm GmbH bestätigte klipp und klar: Mit getrennten Sende- und Empfangsantennen sind beim tieferen Grenzwert sowohl mobiles Telefonieren als auch die Nutzung sämtlicher Breitbanddienste gewährleistet.


Obwohl diese Argumentation der Verfechter eines gesundheitsverträglichen Mobilfunks auch Laien einleuchtet, unternehmen die Mobilfunkbetreiber Liechtensteins alles, um die Bevölkerung zum einen mit Verharmlosung der gesundheitlichen Gefahren und zum anderen mit wirtschaftlicher Schwarzmalerei auf ihre Seite zu ziehen. Der Ausgang der von den Wirtschaftsverbänden initiierten Volksabstimmung wird jedoch Bedeutung über das kleine Alpenland hinaus haben. Die Bevölkerung des Fürstentums könnte mit einem Nein ein Zeichen für Europa setzen, dass es in der Frage der Grenzwertfestlegung auch anders geht, als es die Industrie sich aus Profitgründen wünscht. Liechtenstein könnte mit der Beibehaltung reduzierter Grenzwerte zu einem ersten Dominostein werden. Und davor scheinen die Mobilfunkbetreiber Angst zu haben.



Der seit 2000 tätige Verein für gesundheitsverträglichen Mobilfunk Liechtenstein (VGM) ist einer von acht Kandidaten, die vom Frauennetz des Landes für den diesjährigen Preis für Zivilcourage - „DemoGrazia“ - nominiert wurden. Mit dieser Auszeichnung werden selbstlos handelnde Menschen und Organisationen geehrt, die durch kritisches Hinschauen Ungerechtigkeiten aufdecken, mit Zivilcourage gegen diese vorgehen und sich dabei engagiert für Benachteiligte einsetzen. Der VGM ruft europaweit alle Sympathisanten auf, durch solidarische Bekundungen aller Art sein Anliegen zu unterstützen, damit die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger Liechtensteins den von Verantwortung zeugenden Parlamentsbeschluss zur Grenzwertsenkung nicht wieder rückgängig machen.

 
Der Artikel stammt aus der neuen Zeitschrift «Provokant – Dialoge für eine gesündere Gesellschaft». Provokant ist im deutschen Zeitschriftenhandel erhältlich und kostete im Abonnement (4 Ausgaben jährlich) € 18.50 (Ausland € 35.-, inkl. Versand)

Redaktion: Provokant, Postfach 2123, D-15711 Königs Wusterhausen.
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