Wohin die innere Ruhe geht, und wie wir sie wieder finden

«Zwei Seelen wohnen, ach! In meiner Brust.» Wie einleuchtend dieser viel zitierte Satz aus Goethes Faust ist, weiss jeder, der das Hin-und-her in seinem eigenen Leben schon erfahren hat. Und wer hat das nicht! Man will das Eine und gleichzeitig das Andere, und dann sorgt man unbemerkt dafür, dass ja keine Kraft die Oberhand gewinnt – ein klassisches Problem und eine Quelle ständiger Unruhe. Aber es gibt Abhilfe. Sie stammt vom Florentiner Psychiater Roberto Assagioli (1888 –1974), dem Schöpfer der Psychosynthese. Im Gegensatz zur Psychoanalyse, die psychische Störungen durch Zerlegung der Triebe zu meistern versucht, zielt die Psychosynthese u.a. auf eine Harmonisierung innerer Kräfte. Sobald man offen ist für die Existenz von sich bekämpfenden Teilpersönlichkeiten und der Blick sich schärft, erkennt man ihre grosse Verbreitung, bei andern und hoffentlich auch bei sich selber: Der Sicherheitsfanatiker und der Abenteurer, der Schwärmer und der Chrampfer, der Rappenspalter und der Verschwender. Der Kreativität der Psyche sind keine Grenzen gesetzt.

In der Praxis haben diese Teilpersönlichkeiten zwei unangenehme Wirkungen: Entweder unterdrückt die eine die andere oder sie neutralisieren sich. Dieses Gleichgewicht des Schreckens lässt sich in ein Gleichgewicht des Respekts und der Liebe verwandeln, denn jede Teilpersönlichkeit hat durchaus ihre Existenzberechtigung.
In der therapeutischen Praxis der Psychosynthese werden zuerst die Teilpersönlichkeiten identifiziert und in einen Dialog gebracht. In dessen Verlauf findet sich meist ein gesunder Kompromiss, bei dem beide Teile Abstriche machen, aber unterm Strich Autonomie gewinnen – ein wunderbarer Prozess, wie ich an mir selber erfahren konnte. Das Verfahren, wie ich es bei Theres Messerli aus Burgdorf kennelernte, ist spielerisch und effizient, was insofern von Belang ist, als die Krankenkassen Psychosynthese-Sitzungen nicht bezahlen. Die Teilpersönlichkeiten sind nicht das einzige interessante Modell der Psychosynthese, aber das im Zusammenhang mit «Ruhe» relevanteste. Die Psychosynthese distanziert sich explizit von biologistischen Konzepten und  schliesst auch spirituelle Faktoren wie Sinn, Kreativität und Liebe mit ein, wenn es darum geht, «die Energien des Selbst zu befreien», wie Assagioli schreibt.   

Kontakt: Theres Messerli, Bahnhofstr. 14, 3400 Burgdorf, Tel. 034 422 56 57, www.theresmesserli.ch

Der nächste Vortrag von Theres Messerli:
Montag, 22. Oktober 2012, 19.30 Uhr. Bahnhofstr. 14, 3400 Burgdorf (Nähe Bahnhof)

Weitere interessante Geschichten, Texte und Hinweise im nächsten Schwerpunktheft zum Thema «Ruhe bitte!» im Zeitpunkt 122, Erscheinen Ende Oktober.
Hier bestellen.
17. Oktober 2012
von:

Über

Christoph Pfluger

Submitted by admin on Do, 07/13/2017 - 08:33

Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".

032 621 81 11