Mit dem heutigen «Samichlaus»-Tag ist die Weihnachtszeit definitiv eingeleitet. Doch was sagt uns Weihnachten heute noch? Ist von der ursprünglichen Bedeutung des Festes noch etwas übriggeblieben oder geht es nur noch um Kommerz und Geschenke? Drei Fragen an Philosoph und Theologiestudent Philippe Schultheiss.

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Zeitpunkt: Warum brauchen wir Weihnachten noch?

Philippe Schultheiss: Das hängt davon ab, was mit «wir» und was mit «Weihnachten» gemeint ist. Die ganze Gesellschaft? Die Familie? Die einzelne Person? Und: Weihnachten als christliches Fest zur Erinnerung an die Geburt des Heilands? Oder als gesetzlicher Feiertag? Oder als christlich geschmückte Feier der Wintersonnenwende? Oder vielleicht auch einfach nur als Einkehr im Familienkreis? Persönlich glaube ich sehr, dass unserer Gesellschaft etwas fehlen würde, wenn wir nicht gemeinsam ein Fest haben, das auf etwas Grösseres verweist. Ich selber sage diesem Grösseren «Gott».

Was würde wohl Jesus sagen, wenn er sähe, mit welcher Kommerzschlacht die Weihnachtszeit heute begangen wird?

Wenn ich das wüsste ... Es ist aber immerhin so, dass es auch viele Orte gibt, wo die Weihnachtszeit nicht von Gschäftlimacherei geprägt ist, zum Beispiel kleine feine Chorkonzerte oder ein schöner Kerzenkreis im Garten des Nachbars.
Falls sich Jesus kritisch äussern würde, würde seine Kritik aber vermutlich nicht vor den erwähnten Phänomenen der Weihnachtszeit Halt machen, sondern auch auf andere Exzesse im heutigen politischen und wirtschaftlichen System abzielen, zum Beispiel auf die Machtanmassung des Bundesrates während der Massnahmenzeit oder auf das Eindringen von Tech-Firmen in unser Privatleben.

Wie können wir den Weihnachtsgedanken in die heutige Zeit übertragen, so dass er uns immer noch «berührt» oder «betrifft», und ohne dass er veraltet wirkt?

Das hängt auch wieder davon ab, was mit «dem Weihnachtsgedanken» gemeint ist. Sofern unter dem Weihnachtsgedanken die erwähnte Erinnerung an die Geburt des Erlösers verstanden wird, dann gilt es, für Worte wie «Heiland», «Erlösung», «Gesalbter» etc. auch neue Ausdrucksformen zu finden, ohne aber die alten zu vergessen. Persönlich finde ich zum Beispiel den Gedanken schön, dass wir mit Weihnachten eine Ahnung erhalten, was «der Himmel» ist: Gerechtigkeit, Anerkennung, Hoffnung, Frieden, kurz: die Erfüllung menschlicher Sehnsucht nach Harmonie.

Ich glaube aber, dass man Weihnachten nicht über den Kopf erleben sollte, sondern mit dem Herzen, mit der Seele. Denn das Berührt-Werden oder Betroffen-Sein spielt sich ja eher nicht auf der gedanklichen Ebene ab. Es ist auch etwas sehr Subjektives, ich glaube daher nicht, dass es auf diese Frage eine Antwort gibt, die für alle Menschen passt. Die einen erleben Weihnachten mehr als etwas Spirituelles, die anderen als etwas Biblisch-Historisches, wieder andere freuen sich einfach über das Wiedersehen im Familienkreis. Ich selber versuche alle diese Zugänge gleichwertig zu pflegen und mich so ganzheitlich der «Wahrheit» von Weihnachten zu nähern.