«Ich habe keine Angst vor den Mächtigen»

Die Peruanerin Máxima Acuña trotzt seit Jahren der Gewalt eines Bergbaukonzerns, der einen regelrechten Krieg gegen sie und ihre Familie führt. Chapeau: Wir ziehen den Hut vor ihrer ausserordentlichen Unerschrockenheit und Hartnäckigkeit.

Máxima Acuña, Foto: © Andina Agencia Peruana de Noticias

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Der Zeitpunkt portraitiert in loser Reihenfolge Frauen, die in ihrer Zeit etwas bewegt haben. Sie alle folgten einer inneren Quelle, einem Gefühl für Wahrheit, das ihnen wichtiger war als die Übereinstimmung mit dem jeweiligen Zeitgeist. Sie taten das vielfach ohne die gesellschaftliche Macht, die ja meistens bei den Männern lag. Wir lassen uns von ihrer Kraft und ihrem Mut berühren und stellen uns die Frage: Gibt es so etwas wie weibliche Kraft oder weibliche Intelligenz?

 

Sie ist knapp eineinhalb Meter klein, lebt in einem abgelegenen Dorf im Hochland Perus und musste als Kind barfuss gehen, weil sich die Familie keine Schuhe leisten konnte. Obwohl sie weder lesen noch schreiben kann, hat Máxima Acuña viel zu sagen: «Ich bin eine arme Analphabetin, aber ich weiss, dass die Lagunen und Berge unsere wahren Schätze sind», ist eine ihrer bekanntesten Aussagen.

Wenn sie über den Krieg spricht, den der Bergbaukonzern Yanacocha seit 2011 gegen sie und ihre Familie führt, legt sich ein Schatten über ihr Gesicht. Es ist ein Krieg, der zunächst im Verborgenen, weitab von der öffentlichen Aufmerksamkeit stattfand. Wie in diesen Fällen üblich wird sich der Konzern gedacht haben, dass er ohnehin am längeren Hebel sitzt, die aufständigen Bauern keine Chance gegen seine Macht und sein Anwaltskonsortium haben.

Wer sich in Peru gegen die zerstörerische Macht des Bergbaus wehrt, lebt gefährlich.

Wen interessierte es schon, dass hier das Haus und der Kartoffelacker einer armen Indigenen zerstört, ihr Haus in Brand gesteckt und ihre Angehörigen brutal zusammengeschlagen wurden? Doch diesmal täuschten sie sich. Acuña kämpft weiter – bis heute. Was ihr in den letzten zehn Jahren widerfahren ist, ist skandalös. Gleichzeitig ist es aber kein Einzelfall.

Wer sich in Peru gegen die zerstörerische Macht des Bergbaus wehrt, lebt gefährlich. Der Bergbau ist eine der wichtigsten Stützen der peruanischen Wirtschaft. Er macht zehn Prozent des Bruttoinlandproduktes und mehr als sechzig Prozent der Gesamtexportsumme aus. «Unser Land ist ein Schatz, den es zu erforschen gilt», sagt das Ministerium für Energie und Bergbau. Tatsächlich sind mehr als 14 Prozent des peruanischen Territoriums für Bergbauaktivitäten konzessioniert. Nach Angaben des peruanischen Wirtschaftsinstituts IPE verfügt Peru über die größten Silberreserven der Welt, die drittgrößten an Kupfer und Zink und die fünftgrößten an Gold.

Angeblich bringt der Bergbau Fortschritt und Entwicklung. Doch davon ist in den indigenen Gemeinden in den Bergbaugebieten nichts zu spüren. Es fehlt an Zugang zu sauberem Trinkwasser, zu sanitären Einrichtungen und zur Gesundheitsversorgung. Die gravierende Verschmutzung von Gewässern und Böden sowie die hohe Feinstaubbelastung führen zu schweren Krankheiten, Organschäden und Krebs.

Dennoch werden Menschen, die sich gegen diesen Wahnsinn wehren, kriminalisiert – nicht nur vom peruanischen Staat, sondern auch von den Konzernen. Sie werden als Fortschrittsgegner, ja sogar als Terroristen bezeichnet, und viele inländische Medien zementieren dieses Bild. Journalisten, die kritisch berichten, werden genauso mundtot gemacht wie die Acuñas.

Sie sprach mit niemandem und war stur.

2014 wurde Acuña von der Lateinamerikanischen Frauenunion zur Umweltverteidigerin des Jahres gewählt. 2015 erhielt sie eine Auszeichnung der Nationalen Menschenrechtsvereinigung, und 2016 den Goldman-Preis für Umweltschutz, der seit 1990 jährlich an je sechs Umwelt-Heldinnen und -Helden vergeben wird. Das sind Momente, in denen sich der Schatten von Acuñas Gesicht verschwindet. Sie beginn zu trahlen und entblösst dabei einen Silberzahn. Dass sie inzwischen weltbekannt ist, Solidaritätspost aus allen möglichen Ländern erhält und als Ikone des Widerstands gefeiert wird, macht ihr Mut. Ihr Kampf ist längst der Kampf von vielen, und Yanacocha ist in Verruf geraten.

Bei der Goldgewinnung werden Stoffe eingesetzt, die für Menschen, Tiere und Pflanzen hochgiftig sind.

Damit hätte der Konzern bestimmt nicht gerechnet – dass eine kleine, unbedeutende Bäuerin so viel Mut und mehr Hartnäckigkeit zeigen würde, dass diese ganzen Ungeheuerlichkeiten an die Öffentlichkeit gelangen. Doch Acuña bleibt immer bescheiden. «Es gibt so viele andere Frauen in Peru, die für die gleiche Sache kämpfen wie ich. Mögen sie alle beschützt werden», sagt sie. Beschützt wird sie indes nicht nur von internationalen Organisationen, sondern vor allem auch von der Blauen Lagune und den Bergen, die sich am Horizont erheben. Zu ihnen spricht sie, zu ihnen singt sie, sie bittet sie um Hilfe.

In einem kleinen Bergdorf in der peruanischen Hochland-Region Cajamarca geboren, war Acuña als Kind stets schüchtern und zurückhaltend. Ihr Vater starb, als sie noch klein war; anstatt zur Schule zu gehen, half sie ihrer Mutter in der Landwirtschaft. Sie nahm sich vor zu arbeiten, um sich Schuhe kaufen zu können. Statt zu spielen, nähte sie Babykleider für die Neugeborenen in der Nachbarschaft, später wob sie Hüte. Ihr Ehemann Jaime erinnert sich an die Jugend: «Sie sprach mit niemandem und war stur.» Vier Jahre lang hatte er insistiert, bis sie mit 18 schliesslich einwilligte, ihn zu heiraten. Bis heute steht er treu an ihrer Seite.

27 Hektar Land besass das Ehepaar. Sie bauten Kartoffeln und Bohnen an und hielten einige Kühe und Schafe. Doch ihr Land wurde ihnen auch zum Verhängnis. Als Yanacocha im Jahr 2011 zweitausend Hektar Land in der Gegend aufkaufte, um die nahegelegene Gold- und Kupfermine zu erweitern, war Familie Acuña die einzige, die nicht einknickte.

Yanacocha ist das grösste Goldbergwerk Südamerikas und eines der profitabelsten der Welt, nicht nur für den Betreiber, sondern auch für den Staat. «Wenn [die Erweiterung] nicht zustande kommt, wäre das wie ein Schuss ins eigene Knie», sagte einst der ehemalige Wirtschaftsminister Pedro Kuczynski – Sohn eines Deutschen und einer Schweizerin.

Doch Acuña weigerte sich, ihr Grundstück freizugeben. Nicht nur, weil es ihr Zuhause ist. Sondern auch, weil durch die Erweiterung der Mine vier Bergseen zerstört würden. Eine halbe Milliarde Tonne giftiger Abfälle sollen dort gelagert werden. Denn bei der Goldgewinnung werden Zyanid und andere Stoffe eingesetzt, die für Menschen, Tiere und Pflanzen hochgiftig sind.

Ihr Sohn fand keine Arbeit – weil er der Sohn einer «Anti-Bergbau-Frau» ist.

Als die 2010 wegen einer Eierstock-Infektion für einige Wochen in die Stadt musste, dachte sie nicht, dass sich ihr Leben von einem Tag auf den anderen verändern würde. Äcker und Tiere überliess sie ihrem Onkel. Doch als sie zurückkam, sah nichts mehr aus wie vorher. Der Feldweg durch ihr Grundstück war zu einer Strasse geworden. Die Minenbetreiber waren mit Bulldozern gekommen und hatten behauptet, die Gemeinde hätte ihnen das Land schon vor Jahren verkauft. Acuñas Besitzurkunde betrachteten sie als nichtig. Doch sie weigerte sich, zu gehen. Einige Monate später begann die gewaltsame Repression: Ihr Haus und ihr Kartoffelacker wurden zerstört. Acuña zeigte den Bergbau-Konzern an, doch aus Mangel an Beweisen wurde der Fall ad acta gelegt.

Wieder ein paar Monate später beschlagnahmte die Polizei die Habseligkeiten der Familie und steckte das inzwischen wieder aufgebaute Haus in Brand. Acuña und ihre Familie mussten in der eisigen Kälte der Hochanden draussen schlafen. Tags darauf kam eine Hundertschaft von Polizisten mit Knüppeln, Schrotflinten und einem Bagger, um sie zu vertreiben. Acuñas jüngste Tochter Jhilda kniete vor der Maschine nieder, um sie zu stoppen.

Die ganze Familie wurde brutal zusammengeschlagen. Jaime wurde ein Maschinengewehr an den Kopf gehalten, und Jhilda bekam einen Gewehrkolben auf den Hinterkopf, so dass sie ohnmächtig wurde. Ihre Schwester Ysidora nahm alles mit dem Handy auf. Auf dem Video ist klar zu sehen, was der Konzern später abstritt: Die Ingenieure schauen aus der Ferne zu, bleiben neben ihren Lastwagen stehen und greifen nicht ein.

Im Oktober 2021 zitierte sogar die damalige peruanische Premierministerin Mirtha Vásquez Acuña in ihrer Antrittsrede: «Ich verteidige die Erde und das Wasser, denn sie sind Leben. Ich habe keine Angst vor den Mächtigen und werde weiterkämpfen.» Doch die Repression ging weiter und erfasste auch Acuñas Kinder, die in eine Stadt in der Nähe zogen, sich aus Sicherheitsgründen aber immer wieder neue Unterkünfte suchen mussten. Ysidora wurde auf dem Heimweg von der Universität von zwei maskierten Männern bedroht. Ihr Bruder, der an einer Lungenkrankheit leidet, seit die Polizei ihn verprügelt hatte, fand keine Arbeit – weil er der Sohn einer «Anti-Bergbau-Frau» ist.

Die Bergbaubetreiber gingen sogar so weit, Acuña vor Gericht anzuklagen, weil sie angeblich das Gelände der Bergbaufirma besetzte. Ihre Behauptung, das Land von Acuñas Schwiegereltern gekauft zu haben, konnten sie jedoch nicht belegen, weil kein Verkaufsdokument vorlag. Das Gericht entscheid zu Gunsten von Acuña, doch Yanacocha begann sofort einen neuen Prozess mit dem Ziel, ihr das Land doch noch wegzunehmen. Dieser Prozess ist seit Jahren hängig, genauso wie mehrere Prozesse, die Acuña gegen Yanacocha sowie gegen deren Hauptaktionär, den US-Konzern «Newmont Mining Corporation» führt. Zurzeit wird darüber debattiert, welche gerichtliche Instanz zuständig ist, und in welchem Land der Prozess geführt werden muss. Acuñas Anwalt ist jedoch zuversichtlich, dass spätestens nächstes Jahr ein Urteil vorliegt.

Máxima Acuña liess sich auch durch die jahrelangen Gewalttätigkeiten und juristischen Auseinandersetzungen nicht ermüden. Sie ist immer noch so stur und furchtlos, wie ihr Ehemann sie seit der Jugend kennt. Die 52-Jährige wird heute weit über Peru hinaus von Aktivistinnen und Aktivisten gefeiert, es gibt sogar Graffitis von ihr. 2019 wurde ein Dokumentarfilm über sie gedreht, der auch auf YouTube unter dem Namen «Máxima» verfügbar ist.

Über

Nicole Maron

Submitted by christoph on Mo, 04/19/2021 - 17:25

Nicole Maron (*1980) aus Zürich ist Journalistin und Buchautorin. Seit 2017 lebt und arbeitet sie in Bolivien und Peru. Ihre Schwerpunkte sind umwelt- und sozialpolitische Themen wie Flucht und Migration, globale Gerechtigkeit, Konzernverantwortung und Menschenrechte. 

Von Nicole Maron ist zuletzt erschienen: «Das Blut des Flusses» – Der in Espinar/Südperu gedrehte Dokumentarfilm zeigt auf, welche gravierenden Schäden das Schweizer Bergbauunternehmen Glencore vor Ort anrichtet.
https://www.youtube.com/watch?v=9Rj7lJc1GWY