Selbstlosem Tun fehlt keinesfalls das Selbst. Es ist nur woanders zu finden. Das erkannte unser Autor – auch anhand seines Vornamens. Die Samstags-Kolumne.

Wolf in der Natur
Wolf im Flow - Foto: Patrice Schoefolt

Als ich ungefähr fünf Jahre alt war, meine Schwester war sechs, konnten wir gerade unsere Namen schreiben und spielten damit, sie rückwärts zu lesen. Wolf heisst dann Flow, gesprochen «Flof». Wir konnten damals ja noch kein Englisch. 

Ungefähr 50 Jahre später gab ich das Print-Magazin «Schamanische Wege» heraus und erinnerte ich mich wieder an dieses kindliche Spiel mit den Buchstaben. Meinen Lesern waren Krafttiere wichtig, der Wolf ist eines davon, und auch noch ein beliebtes. 

«Wussten deine Eltern das, als sie dir diesen Namen gaben?», wurde ich gefragt. Nein, meine Eltern waren so unschamanisch, wie man in den 50er Jahren in Deutschland nur sein konnte. Sie wollten als Namen für ihren Sohn einfach ein kürzeres und selteneres Wort als das weit verbreitete «Wolfgang».

Mein Vorname Wolf war also in den 10er Jahren auf einmal alt, urdeutsch und bieder, sondern très chic. Für manche sogar noch mehr als der Buddha-Name «Sugata», den ich 1977 von Osho erhalten habe. Dass das Krafttier Wolf von hinten gelesen Flow heisst, schiesst gegenüber Sugata den bunten Vogel des individuellen Namens dann jedoch noch ab: Der mir von meinen Eltern gegebene Name bedeutet im Flow zu sein, wie geil ist das denn!

 

Schaffensräusche

1975 machte der ungarische Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi den Begriff des Flow weithin bekannt. Er definierte ihn als ein hingebungsvolles, rauschhaftes Aufgehen in einer Tätigkeit. Ich kenne Flow als kreativen Rausch beim Schreiben und Musizieren und auch als Schaffensrausch. Der ich mein Leben lang immer selbstständig war, stehe ich, wie so viele Selbständige, manchmal vor einem so hohen Berg von To-dos, dass die Flucht nach vorn der einzige Ausweg zu sein scheint. Dann gebe ich mir einen Ruck, überschreite die Schwelle ins Tun und bin auf einmal rasend schnell in meinen Entscheidungen, fokussiert auf das jeweilige Thema, geistesgegenwärtig, unablenkbar und erledige so in kurzer Zeit sehr viel – Wolf im Flow.

Flow und Ekstase

Ich kenne den Flow aber auch vom Tanzen. Oder heisst das dann Ekstase? Ist der Flow vielleicht eine nach aussen gewandte Ekstase? Könnte passen, da Ekstase manchmal als Ausser-sich-sein beschrieben wird. Andererseits bin ich in der Meditation keineswegs ausser mir. Ganz im Gegenteil, ich bin dann ganz bei mir und empfinde das als stille Ekstase. 

Vielleicht lässt sich das so unter einen Hut bringen: Ekstase ebenso wie Flow lockert die Ich-Grenzen, spielt damit oder gibt sie sogar ganz auf. Flow wird ja auch im sogenannten selbstlosen Tun erlebt. 

Wobei diesem «selbstlosen» Tun keinesfalls ein Selbst fehlt. Das Selbst ist dann nur ein anderes, ausgedehnteres. Die so mit erweitertem Ich/Selbst Tätigen erleben den Flow in der Hingabe an ein Herzensprojekt, einen geliebten Menschen, im Karma-Yoga, bei einem erfüllenden Ehrenamt und sogar bei einer gern getanen Pflicht. Alles das kann ekstatisch sein. Ebenso wie das Liegen in der Hängematte im Bewusstsein, dass nichts zu tun ist. Nichts, wirklich nichts.

Alles fliesst

Flow im Tun oder Nichtstun? In der taoistischen Philosophie gibt es den Begriff des Wuwei: Tun durch Nichtstun. Alan Watts hat Wuwei als «nicht forcieren» beschrieben und auch als «sich selbst aus dem Weg Gehen». So wie ein Fluss, bei dem das Wasser weder von hinten angetrieben noch von vorne gezogen wird, es fliesst einfach. Flow heisst ja Fliessen. Vielleicht findet auch Heraklits «Alles fliesst» hierin seine tiefe Bedeutung.

Wie Selbstausdehnung Erlebnisse von Flow und Verbundenheit begünstigt, wird auch von der Tiefenökologin Joanna Macy gelehrt. Die Ekstasepraxis der Selbstausdehnung hebt zudem auf wunderbare Weise den Unterschied zwischen Egoishmus (selfishness) und Altruismus auf. Für Grünen-Politiker und Ökoaktivisten hätte das den grossen Vorteil, nicht mehr moralisieren zu müssen. Ohmeingott Moral, davon hatten wir in den Zeiten der christlichen Dominanz doch schon randvoll genug. Zudem war diese Moralisiererei auch noch meistens geheuchelt. 

Nein, Moralisierer mögen wir nicht. Die Bewusstseinspraxis der Selbstausdehnung erübrigt jegliche Moralisieren, denn im erweiterten Selbst fühlen wir selbst das Leid der anderen. Unsere Mitmenschen und anderen Mitlebewesen sind dann für uns spürbar, fühlbar. Sogar Gaias Leiden an Homo sapiens können wir dann fühlen (oder es uns in der Fantasie vorstellen) und müssen nicht mehr durch Moralkeule und Gesetze auf den rechten Weg gebracht werden. 

Ekstatisch die Welt retten

Wobei Gesetze …. aber das ist ein anderes Thema. Jetzt erstmal freuen wir uns, dass eine sozialökologische Individual- und Globalpolitik ohne Moralkeule möglich ist und die sie Praktizierenden dabei im Flow sein können. Ekstatisch die Welt retten, wär das nicht was auch für uns?