Makers and Takers

Was passiert mit einer relativ repräsentativen Gruppe aus der Schweiz, die auf einer einsamen Insel ganz von vorne beginnen muss? Wer wird sich wie durchsetzen? Die Samstagskolumne.

Insel
Reif für die Insel? Foto: Kelli Hollis

Das in Zürich gestartete Flugzeug geriet über dem Pazifischen Ozean in heftige Turbulenzen und stürzte ab. Wie durch ein Wunder überlebten alle Reisenden und konnten sich unverletzt auf eine gottverlassene Insel retten. Nachdem sich die meisten vom ersten Schreck erholt hatten, war man sich einig, dass man sich hier als Gesellschaft zügig neu organisieren musste, um zu überleben. Sämtliche Passagiere sind zufälligerweise in der Schweiz Beschäftigte, Konsumierende und Steuerzahlende (Bürger und Bürgerinnen? Das war einmal!). Der Chefpilot nahm alle Personalien auf, auch die beruflichen:

«Wir sind 34 Juristinnen und Juristen, 18 Finanzfachleute, ein feministischer Golflehrer, drei Influencerinnen, eine davon nicht-binär, zwei Strombarone, eine Stromgräfin, 45 Verwaltungsangestellte und Sachbearbeiter, eine Brandschutzbeauftragte, drei Berufsmilitärs, 13 PolitikerInnen, 22 weibliche und männliche Heilpädagogen, zwölf Steuerberaterinnen sowie aussen, ein Importeur für Offroadfahrzeuge, sechs Asylantenbetreuende, zwölf SozialarbeiterInnen, 24 Psychologinnen und Psychiater, 23 Medienschaffende, 18 IT-Spezialisten, 42 Experten für dieses und jenes sowie sechs Unternehmensberaterinnen …»

Die Liste ging im selben Stil noch 20 Minuten weiter und endete schliesslich mit: Ein Bauer, eine Bäuerin, ein Koch, eine Köchin, ein Bäcker, eine Bäckerin, ein Metzger, eine Metzgerin, ein Zimmermann, eine Zimmerfrau, ein Schreiner, eine Schreinerin, ein Elektriker, eine Elektrikerin und circa zehn weitere handwerkliche Berufe.

Die Gestrandeten waren sehr erleichtert, dass sie eine so heterogene, hochqualifizierte und kompetente Gemeinschaft bildeten.

«Eine zivilisierte Gesellschaft braucht als Fundament zunächst ein modernes Rechtssystem», schlugen die Juristen vor.

«Eine moderne, arbeitsteilige Wirtschaft braucht als Erstes ein effizientes Geld- und Kreditwesen», meinten die Finanzfachleute.

«Die demokratische Teilhabe aller Beteiligten durch ein Parlament und zur Verteilung des gemeinsam erarbeiten Wohlstands durch ein transparentes Steuersystem sind grundlegend», äusserten sich die PolitikerInnen.

Die Stromaristokraten wiesen darauf hin, dass ohne flächendeckende Energieversorgung kein Blumentopf zu gewinnen sei. Man empfehle das Merit-Order-Prinzip zur Gewinnmaximieru… zur preiswerten Kostengestaltung.

«Nichts läuft ohne Betriebssystem», warfen die IT-Experten ein.

«Eine schlagkräftige Armee zur Verteidigung unserer Freiheiten gegen fremde Aggressoren ist essenziell», hielten die Armeeoffiziere fest.

«Ein Zentrum für Psychologie zur geistigen Gesundung der traumatisierten Abgestürzten», ist zu priorisieren», skandierten die Psychologen und Psychiater.

«Die Betreuung zukünftiger Gestrandeter mit dem Ziel der gesellschaftlichen Integration ist unabdingbar», liessen die Asylantenbetreuer verlauten.

«Gerade zu Beginn darf nicht auf die falschen Trends fokussiert werden», meldeten sich die Influencer. «Wir können für unsere Follower Abhilfe schaffen.»

«Unabhängige, transparente Informationen für alle sind Basis jeder selbstbestimmten und demokratisch organisierten Bevölkerung», forderten die Medienschaffenden.

Als sich alle ihre Vorstellungen und Prioritäten von der Seele geredet haben, begann es zu regnen.

«Wir brauchen ein Dach über dem Kopf», stellten die Experten fest.

«Etwas zu Trinken und zu Essen wäre jetzt auch ganz gut», meinten die Unternehmensberater.

«It’s a birdie!», bestätigte sie der Golflehrer.

«Wo sind eigentlich unserer Handwerker?», fragten die Verwaltungsangestellten.

«Die haben sich während unserer Aussprache still und leise auf die andere Seite der Insel abgesetzt», erklärte die Brandschutzbeauftragte mit schriller Stimme. «Sie würden es lieber wieder mit Tauschwirtschaft und gesundem Menschenverstand versuchen und fürs Erste reichten ihnen die 10 Gebote, hörte ich sie einander zuflüstern. Wir alle würden sie – die wertschöpfend Tätigen – sonst wieder übermässig besteuern, bezinsen, mit Gebühren belasten, um sich so die eigene Tätigkeit zu finanzieren, sie mit Bürokratie ersticken. Und wenn sie dann zu teuer geworden sind, tauschten wir sie ja eh gegen billige Fachkräfte von einer anderen Insel aus. Sie möchten die jetzt unverhofft vom Himmel gefallene Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen und nicht von neuem auf denselben Nonsens reinfallen. Sie wünschten uns auf jeden Fall alles Gute und wir sollten gefälligst auf unserer Seite der Insel bleiben.»



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