Die psychedelische Renaissance: Wie die Menschheit die Heilkraft von LSD und Zauberpilzen wiederentdeckt

Die Forschung an psychedelischen Drogen wie LSD und Psilocybin lag fast 50 Jahre im Dornröschenschlaf. Nun machen neue Studien Hoffnung auf eine baldige Zulassung als Medikamente gegen Depressionen und Drogensucht. Wohin geht die Renaissance der Psychedelika? (Ein Beitrag aus dem neuen Zeitpunkt.)

Psychedelisch
Psychedelische Dekoration auf dem Festival «New Helling». Foto: Christa Dregger

Als Timothy Leary 1971 in die Schweiz einreist, ist er ein gejagter Mann. In seiner Heimat drohen ihm wegen Marihuana-Besitzes bis zu zehn Jahre Haft. Den Schweizer Behörden ist der «Hohepriester des LSD» ein Dorn im Auge, denn er löst eine diplomatische Krise mit den USA aus, die auf seiner Auslieferung bestehen. Die Schweizer lehnen ab, Leary darf vorerst bleiben.

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Leary und das Ende der ersten psychedelischen Revolution

Psychedelische Drogen sind in vielen Kulturen seit Jahrtausenden verbreitet. Amerikanische Ureinwohner tanzten sich unter Einfluss des im Peyote-Kaktus enthaltenen Meskalin in Trance. Afrikanische Stämme nahmen mithilfe des Iboga-Strauchs Kontakt zu ihren Vorfahren auf. In Mexiko wurden Riten mit Zauberpilzen durchgeführt. Und am Amazonas tranken Ureinwohner in Zeremonien den DMT-haltigen Pflanzensud Ayahuasca, um mit Naturgeistern in Kontakt zu treten.

Im Westen löste die Synthetisierung von Lysergsäurediethylamid (kurz: LSD) aus dem Getreidepilz Mutterkorn durch den Schweizer Chemiker Albert Hofmann 1938 die erste psychedelische Revolution aus. Hofmanns damaliger Arbeitgeber Sandoz nahm 1960 auch den aus Zauberpilzen gewonnen Wirkstoff Psilocybin in sein Sortiment auf. Dadurch wurde die exakte medikamentöse Verabreichung der Drogen möglich und neue Therapieformen besser durchführbar.

1959 nahm Timothy Leary, damals Leiter psychologischer Studien an der Havard-Universität, seine erste Dosis LSD. Begeistert bestellte er bei Hofmann genügend LSD und Psilocybin für zwei Millionen «Trips» und gründete 1960 das «Harvard Psilocybin Project», um die therapeutischen Anwendungen der Substanzen zu erforschen. Im «Concord Prison Experiment» verabreichte er Psilocybin an Gefängnisinsassen und konnte die Rückfallrate der Häftlinge erfolgreich reduzieren.

1963 wurde Leary gefeuert, weil er LSD an seine Studenten verteilt hatte. Am 14. Januar 1967 prägte er bei einer Rede in San Fransisco den Spruch, der zum Motto der Hippie-Bewegung wurde: «Turn on, tune in, drop out». Während ihn daraufhin der Dichter Allen Ginsberg einen «Helden des amerikanischen Bewusstseins» nannte, erklärte ihn Richard Nixon zum «gefährlichsten Mann Amerikas».

Bis zum Verbot der Substanzen 1969 wurden zahlreiche Studien mit LSD und Psilocybin durchgeführt, die vielversprechende Ergebnisse bei Depressionen, Angststörungen und Alkoholsucht lieferten. Das National Institute of Health finanzierte mehr als hundert Versuchsreihen. Doch dann wurde der offiziellen Forschung über Nacht der Stecker gezogen und sie in einen fast fünfzig Jahre währenden Dornröschenschlaf versetzt.

Das Silicon Valley macht Psychedelika wieder salonfähig

Neue Impulse kommen nach der Jahrtausendwende aus dem Silicon Valley. Statt um Bewusstseinserweiterung geht es den Tech-Managern um Effizienzsteigerung. Sie wollen nicht, wie die Manager der 80er und 90er, unter der Last ihrer Jobs zusammenbrechen. Neben Meditationsräumen zur Stressbewältigung und vitaminreichem Essen dient das sogenannte Microdosing, bei dem kleinste Mengen LSD oder Psilocybin eingenommen werden, dazu, den Berufsalltag kreativer zu gestalten.

So entstand eine neue Generation von LSD- und Psilocybin-Konsumenten. Sie planen ihre Einnahme sorgfältig, nehmen (bei LSD) alle drei Tage 10 bis 20 Mikrogramm. Mikrodosierung ist wenig erforscht, also dokumentieren sie akribisch, wie ihr Körper und ihr Geist darauf reagieren, übermitteln ihre Berichte an Forscher und diskutieren die Auswirkungen mit anderen Mikrodosierern auf der Plattform Reddit.

So kehrten Psychedelika aus der Schmuddelecke zurück in den Mainstream. Neue Biotech-Unternehmen entwickeln Medikamente, die auf den psychedelischen Wirkstoffen basieren: z.B. Compass Pathways, gegründet vom Unternehmer Lars Wilde, der Ärztin Ekaterina Malievskaia und dem Psychologen George Goldsmith. Wilde litt unter Angststörungen und Depressionen und ist – so beteuert er gegenüber GEO – seit einem Selbstversuch mit Psilocybin frei davon. Diese Therapie wollen die drei auch anderen Menschen zugänglich machen. Die Firma Compass Pathways ging 2021 an die Börse und wird dort zwischenzeitlich mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet. Die Legalisierung ist jedoch ein langer Weg: Die Firma schätzte damals, dass die Psilocybin-Pille gegen Depressionen «in etwa drei Jahren» eine Zulassung als Medikament erhält. Diese Aussicht veranlasste Fachzeitschriften zum Ausrufen einer «Revolution der Psychiatrie» und der «Wiedergeburt der psychedelischen Medizin».

Die Forschung erlebt einen neuen Psychedelika-Boom

«Von 2005 bis 2015 haben Pharmafirmen so gut wie keine klinischen Studien für neue Antidepressiva mehr unternommen», sagt der Psychiater Sagar Parikh von der Universität Michigan. «Die Forschung steckte in einer Sackgasse.» Doch dann folgten bahnbrechende Untersuchungen.

Dr. Roland Griffiths, Professor für Psychiatrie und Neurowissenschaften an der Johns Hopkins University, leitete eine Studie, bei der depressiven Krebspatienten eine hohe Dosis Psilocybin verabreicht wurde. 80 Prozent der Probanden berichteten auch ein halbes Jahr später noch von einer merklichen Verbesserung. «Kein bekanntes Antidepressivum kann bei nur einmaliger Einnahme derartige Ergebnisse vorweisen», sagt Griffiths im Podcast «Making Sense». Andere Studien bestätigen die Ergebnisse.

Sie lösten einen neuen Hype um Psilocybin aus. Aufgrund seiner kürzeren Wirkdauer von rund fünf Stunden eignet es sich besser zur Forschung als das etwa doppelt so lange wirkende LSD.

Inzwischen werden die Untersuchungen auf weitere Substanzen ausgeweitet. Die Berliner Charité startete eineUntersuchung zur Behandlung therapieresistenter Depressionen mit den Wirkstoffen Dimethyltryptamin (DMT) sowie MDMA, dem Hauptbestandteil der Partydroge Ecstasy. Ausserdem weckt das afrikanische Psychedelikum Iboga (Wirkstoff Ibogain) grosse Hoffnungen als Entzugsdroge für Heroin oder Opoide.

In der Schweiz zeigte Dr. Felix Müller von der Universität Basel 2022, dass zwei Dosen LSD Ängste anhaltend lindern können. 100 oder 200 Mikrogramm LSD hätten Depressionen auch noch drei Monate nach der Behandlung reduziert.

In Solothurn betreibt Peter Gasser eine psychotherapeutische Praxis und wirkt seit 2004 an Studien zur Behandlung von mentalen Erkrankungen mit Psychedelika mit. 2014 erhielt er die Genehmigung des Schweizer Gesundheitsministeriums, Patienten mit LSD zu behandeln. Mittlerweile, so sagt er, gebe es zwischen zehn und fünfzehn Therapeuten mit solchen Bewilligungen.

Zu Risiken und Nebenwirkungen

Die amerikanische Food and Drug Administration verlieh Psilocybin kürzlich den Status einer voraussichtlichen «Durchbruchs-Therapie» und beschleunigte damit das Zulassungsverfahren. Unter ihrer Aufsicht werden nun Studien mit Psilocybin zur Behandlung von Depression und Alkoholsucht durchgeführt. Der Ecstasy-Wirkstoff MDMA könnte in Kürze zur Behandlung von Posttraumtatischer Belastungsstörung zugelassen werden.

Doch Wissenschaftler warnen vor Euphorie und fürchten, der neue Hype könne die Fortschritte gefährden. Wer will schon der nächste Timothy Leary werden? Psychedelika sind kein Allheilmittel und nicht für jeden Patienten geeignet. Etwa bei Menschen mit Schizophrenie oder bipolarer Störung in der Familie sei das Risiko einer Psychose zu gross.

Auch sprechen die Substanzen nicht bei jedem an, wie eine von Compass Pathways durchgeführte Studie mit chronisch Depressiven zeigt: Nur rund ein Viertel der Probanden zeige dauerhafte Verbesserungen. Dies ist ein gutes Ergebnis, doch die Erwartungen waren so gross gewesen, dass die Investoren Anteile abstiessen und der Aktienkurs um 80 Prozent einbrach.

Man solle das behördliche Zulassungsverfahren abwarten, mahnte Dr. Roland Griffiths von der Johns Hopkins University2022 kurz vor seinem Tod. «Set, Setting (die mentale Verfassung und die Umgebung der Drogeneinnahme, d.R.) und die therapeutische Begleitung können in das Zulassungsverfahren eingebettet werden. Damit lässt sich vermeiden, dass sich Menschen unnötig in Gefahr begeben», so Griffiths im Making Sense Podcast.