Musste Wulff wegen Kritik an den Banken gehen?

Natürlich ist Wulff zu Recht zurück getreten. Ein Amt, das von Ansehen lebt und nicht von Kompetenz, ist ohne Glaubwürdigkeit nicht haltbar. Aber rechtfertigten Wulffs Vergehen tatsächlich eine monatelange Medienhetze? Denn sie war es schliesslich, die den deutschen Bundespräsidenten um Amt und Würde brachte und nicht die Verfehlungen, wie man sie vermutlich bei den meisten Politikern in höheren Ämtern findet.

Nach Ansicht des investigativen Journalisten Gerhard Wisnewski hat Wullf begonnen, selber zu denken und die Wahrheit zu sagen, wie er unter dem Titel «Störfall Bundespräsident» schreibt. Die Infokrieger-News vermuten sogar, Wulff hätte sich womöglich geweigert, das Gesetz zum Europäischen Stabilitätsmechanismus zu unterzeichnen und zitieren aus seiner kürzlichen Rede vor Wirtschaftsnobelpreisträgern:

«Politik muss ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Sie muss sich davon lösen, hektisch auf jeden Kursrutsch an den Börsen zu reagieren. Sie darf sich nicht abhängig fühlen und sich am Nasenring durch die Manege führen lassen, von Banken, von Rating-Agenturen oder sprunghaften Medien.
[...]
In freiheitlichen Demokratien müssen die Entscheidungen in den Parlamenten getroffen werden. Denn dort liegt die Legitimation. Da wird das Grundprinzipien der Marktwirtschaft verletzt: Risiko und Haftung gehen Hand in Hand. Wer Risiken eingeht, kann auch scheitern. Dieses Prinzip muss auch für den Finanzsektor gelten, für kleine Anleger wie für große Finanzinstitute.»


Tatsächlich äusserte sich Wulff schon länger kritisch und deutlich zu den Problemen rund um die Finanzkrise, unter auch am 31. März vor dem Deutschen Bankentag, wie man auf der Website der Bundesregierung nachlesen kann:


«Der Ausbruch der Finanzkrise war für alle ein Schock. Die globale Finanzwelt und die gesamte Weltwirtschaft – wir alle haben damals in den Abgrund geblickt.
Hat dieser Schock dauerhaft nachgewirkt? Hat er dazu geführt, das Fundament unseres Bankensystems zu stabilisieren, die Regeln dauerhaft zu justieren, das Finanzsystem zu erneuern und wetterfest zu machen?
Ich habe noch Zweifel. Manchmal scheint mir, dass dank der staatlichen Krisenmaßnahmen der Schreck bei vielen verflogen ist und die alten Verhaltensweisen zurückgekehrt sind.

Was ich auch erwähnenswert finde: Die Akteure an den Finanzmärkten sind zumeist Männer. Es täte dem Finanzsektor gut, wenn auch in den Banken mehr Frauen in führende Positionen kämen. Frauen wird ein anderes Risikobewusstsein zugeschrieben. Ich glaube, mehr Vielfalt führt auch hier zu besseren, tragfähigen Ergebnissen.
Wahrscheinlich haben einige von Ihnen schon vor dem Herbst 2008 gespürt, dass die Geschäfts- und die Bonusentwicklung im Finanzsektor zu gut ist, um dauerhaft tragfähig zu sein. Ein Blick aus dem Fenster hätte genügt, um sich an die schlichte Erkenntnis zu erinnern: Bäume wachsen nicht in den Himmel!
Also frage ich mich: Wie groß ist der Lerneffekt? Ist er dauerhaft? Sind die Ursachen der Krise beseitigt? Haben wir aus den Fehlern wirklich gelernt?
Ich möchte ganz offen sein, mein Fazit lautet: Nein – weder haben wir die Ursachen der Krise beseitigt, noch können wir heute sagen: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt.

Wir dürfen dabei nicht vergessen: Diese Schuldenkrisen wurden auch dadurch beflügelt, dass Banken zu leichtfertig hohe Kredite vergaben. Viele schauten lange nicht so genau hin. Und sie vertrauten darauf, dass hohe Zinsen kein hohes Risiko bedeuten, da andere die Zeche zahlen. … Meines Erachtens kann jedenfalls in der Zukunft überhaupt nicht strittig sein: Bei Überschuldung müssen private Gläubiger auf Forderungen verzichten.

Es ist bislang lediglich gelungen, die Finanzkrise einzudämmen und den Bankensektor zu stabilisieren. Die Gründe aber für die Schieflagen, die Gründe für die wirtschaftlichen und finanziellen Fehlentwicklungen und für die Krise sind noch nicht beseitigt, teilweise wurde nur Zeit gekauft. Ich befürchte: Ohne einen grundlegenden Kurswechsel drohen neue Finanzkrisen.



22. Februar 2012
von:

Über

Christoph Pfluger

Submitted by admin on Do, 07/13/2017 - 08:33

Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".

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