Die Kirche in Al-Zeitoun im Zentrum von Gaza-Stadt ist eine der ältesten in Palästina und der Welt. Sie stammt aus dem 5. Jahrhundert n. Chr., genauer gesagt aus dem Jahr 425 n. Chr., der Zeit des Heiligen Porphyrius, des Bischofs von Gaza, der eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung des Christentums in der Stadt spielte.
Die im byzantinischen Stil erbaute Kirche gilt als bedeutendes religiöses und historisches Wahrzeichen für die orthodoxe Gemeinde in Gaza. Im Laufe der Jahrhunderte hat sie Kriege, Erdbeben und mehrere Restaurierungen überstanden und ist dennoch erhalten geblieben, wodurch sie ihren Status als Symbol für religiöse Vielfalt und Koexistenz in der Stadt bewahrt hat.
Mohammed Abu Salim, ein muslimischer Vater von vier Kindern aus dem Stadtteil Shujaiya, hätte nie gedacht, dass diese Kirche, in der er vor den Bombenangriffen Zuflucht suchte, auch der Ort sein würde, an dem er eine neue Bedeutung von Brüderlichkeit und Überleben entdecken würde. Abu Salim erinnert sich an den Moment, als er eines Tages im Oktober 2023 in der Kirche ankam:
«Wir flohen aus unserem Haus, das bombardiert wurde. Die Kinder schrien, Rauch erfüllte den Himmel. Wir nahmen nichts mit – keine Kleidung, kein Essen. Nur unsere Seelen und unseren Schmerz. Wir fanden keinen anderen Ort, an dem wir Schutz suchen konnten, als die Kirche. Meine Frau sagte zu mir, während wir rannten: ‚Die Moscheen werden bombardiert, vielleicht sind die Kirchen geschützt.‘ Also beschlossen wir, an die Tür der Kirche zu klopfen, in der Hoffnung, dass sie uns Schutz bieten würde.»
Nach mehrmaligem Klopfen öffnete ein junger Mann namens George die Tür und hiess Abu Salims Familie willkommen: «Willkommen ... Hier ist euer Zuhause.»
George Ayad, ein christlicher Jugendlicher aus Al-Zeitoun, zögerte nicht, der Familie Abu Salim zu helfen. George: «Ich habe der Familie geholfen. Ich habe ihr jüngstes Kind getragen – seine Füsse waren vom Laufen geschwollen. Ich habe ihm gesagt, dass diese Kirche nicht nur für diejenigen da ist, die hier beten, sondern für alle, die einen sicheren Zufluchtsort brauchen.»
In der Kirche, die aus dem Jahr 425 n. Chr. stammt, teilten sich muslimische und christliche Familien den Raum und ihren Schmerz. Sie schliefen auf dem Boden, assen von denselben Tellern und standen in denselben Schlangen für Wasser und Brot.
Fatima, Abu Salims Frau: «Die christlichen Frauen haben uns aufgenommen, als wären wir ihre Verwandten. Georges Mutter gab mir ihre eigene Decke und sagte: ‚Wärm deine Kinder, mir geht es gut.‘ Ich werde nie vergessen, wie sie nachts bei Kerzenschein Tee für uns gekocht hat. Wir hatten keinen Strom – Israel hatte ihn komplett abgeschaltet.»
Trotz der Nahrungsmittelknappheit wurde hier immer grosszügig die Hand gereicht. Abu Salim erzählt: «Einmal hatten wir nur sechs Brote. George und ich setzten uns hin und teilten sie unter den Kindern aller Familien auf. Er fragte nie, welcher Religion sie angehörten. Wir waren alle hungrig. Wir waren alle Menschen.»
Obwohl die Bombenangriffe niemanden verschonten, schuf die Solidarität innerhalb der Kirche einen Schutzschild der Hoffnung. Am 19. Oktober schlug eine Rakete im Aussenhof der Kirche ein und erschütterte das gesamte Gebäude.
Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich etwa 500 Menschen, sowohl Muslime als auch Christen, in der Kirche. Die Bombardierung verursachte massive Zerstörungen in Teilen der Kirche und führte laut der orthodoxen Organisation Caritas Internationalis zum Tod von 17 Christen, darunter Säuglinge und Kinder.
Abu Salim legt seine Hand auf Georges Schulter neben sich und sagt: «In diesem Moment dachte keiner von uns an sich selbst. George schrie: ‚Die Kinder zuerst!‘ Er ging dreimal hinaus, um Verwundete herauszuziehen. Jedes Mal sagte ich ihm: ‚Sei vorsichtig.‘ Er antwortete: ‚Wir haben keine Zeit, Angst zu haben. Wir müssen füreinander da sein.‘»
«Religion? Das war nie eine Barriere zwischen uns. Der Bombenanschlag hat uns gelehrt, dass derjenige, der dich aus den Trümmern zieht, nicht fragt, welcher Religion du angehörst. Er sagt: ‚Gib mir deine Hand, ich bin bei dir‘», fügt Abu Salim hinzu.
Kamel Ayad, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Saint Porphyrius-Kirche, betrachtete den Bombenangriff auf die Kirche als einen Angriff auf die christliche Präsenz in Palästina – eine Einschüchterungsmassnahme, die darauf abzielt, die verbliebenen Christen in Gaza zur Flucht aus ihrer Heimat zu zwingen.
Ayad erklärte, dass unter den Opfern des Bombenangriffs auf die Kirche auch christliche Frauen waren, die kurz vor der Entbindung standen. Wütend fragte er: «Warum wurde eine Kirche angegriffen, die Kindern und Frauen Schutz bot?»

Der Autor hat eine Versorgungsinitiative für Gaza gestartet. Mit den Spendengeldern hat er bereits über 60 Familien mit dem Notwendigsten versorgen können.
Spenden Sie jetzt über den unten stehenden Link...
https://donate.stripe.com/fZe03eduN5aq8uYfZ2
Unter einem Dach
Alle Fenster wurden durchschlagen, als eine israelische Rakete das Haus von Rami Khoury traf, einem christlichen Mann, der wenige Tage zuvor in Gaza-Stadt im Stadtteil Al-Rimal den ersten Geburtstag seines kleinen Sohnes gefeiert hatte. Rami war auf der Stelle tot. Seine Frau Rula Dawood (32) und ihr Sohn Julian überlebten wie durch ein Wunder unter den Trümmern.
«Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte ... Ich war barfuss, trug Julian auf den Armen, und er weinte vor Angst und Kälte», sagt Rula mit heiserer Stimme, während sie nun im Haus ihrer langjährigen Freundin Umm Omar Al-Ashi im Stadtteil Al-Daraj im Osten von Gaza-Stadt sitzt.
Rula und Umm Omar waren seit Jahren befreundet und arbeiteten zusammen in einem örtlichen Kindergarten. Keine von beiden hätte sich vorstellen können, dass sie eines Tages in einer Zeit des Todes unter einem Dach leben würden. «Ich klopfte zitternd an ihre Tür. Ich hatte nur eine kleine Tasche mit Julians Windeln und eine Flasche Wasser. Als Umm Omar die Tür öffnete, umarmte sie mich und weinte und sagte: ‚Mein Haus ist dein Haus. Solange wir leben, werden wir zusammenleben.‘»
Umm Omar nahm Rula und ihren Sohn nicht nur auf, sie gab ihnen ein eigenes Zimmer, legte Decken bereit und teilte mit ihnen alles, was sie an Essen und Wasser hatte.
«Wir hatten drei Laibe Brot. Wir schnitten sie in sechs Stücke. Niemand ass allein. Mein Kind und ihr Kind assen vom selben Teller und tranken aus demselben Becher. Irgendwann fühlte ich mich nicht mehr wie ein Gast. Ich hatte das Gefühl, Teil ihrer Familie zu sein», sagt Rula und wischt sich die Tränen aus den Augen.
Jeden Morgen weckte Umm Omar ihre Kinder zum Gebet, und auf der anderen Seite des Zimmers verrichtete Rula still ihr eigenes Gebet, hob die Hände zum Himmel und flüsterte Gebete um Schutz und Frieden.
«Ich hatte nie das Gefühl, dass mein Gebet fehl am Platz war. Im Gegenteil, wir beteten alle zur gleichen Zeit. Einmal sah Umm Omar mich an und sagte: ‚Gott ist eins ... Er hört uns alle.‘ Ich lächelte und antwortete ihr: ‚Und Er wird uns in diesem Krieg Gnade erweisen‘», erzählt Rula.
Eines Tages, nach drei Tagen ohne Wasser, kam das Wasser für nur fünfzehn Minuten zurück. Das reichte nicht für alle. Umm Omar erzählt: «Ich drehte den Wasserhahn auf, füllte den Eimer und sah dann Rula an und sagte: ‚Wasch Julian zuerst.‘ Sie antwortete: ‚Nein, deine Kinder zuerst.‘ Wir behandelten die Kinder der anderen wie unsere eigenen, ohne Unterschied.»
«Wir kochten Wasser auf dem Feuer, wuschen gemeinsam Kleidung, buken Brot von Hand und sangen abends für die Kinder. Irgendwann wurde Rula mehr als eine Freundin ... sie wurde meine Schwester», fügt Umm Omar hinzu.
Rula bewahrte ein Foto von sich und Rami unter ihrem Kopfkissen auf und flüsterte ihm jeden Abend zu: «Julian geht es gut ... uns geht es gut ... in einem sicheren Haus, in den Herzen gütiger Menschen.»
Heute, Monate nach dem Bombenangriff, der das Gesicht der Stadt verändert hat, lebt Rula immer noch im Haus ihrer Freundin. Sie sagt voller Zuversicht: «Ich werde dieses Haus mein Leben lang nicht vergessen. Dieses Haus hat mich vor dem Zusammenbruch bewahrt. Hier habe ich nicht allein getrauert. Ich war nicht allein hungrig. Wir haben alles geteilt – sogar unsere Trauer.»
EIN palästinensisches Blut
Elias Al-Jelda, Mitglied des Treuhänderrats der Arabisch-Orthodoxen Kirche in Gaza, bekräftigt, dass das palästinensische Blut eins ist – ungeteilt durch Religion oder Konfession. Er sagt: «In Gaza stehen wir nicht als Muslime und Christen auf zwei gegenüberliegenden Seiten, sondern als Palästinenser Seite an Seite. Israelische Kampfflugzeuge machen keinen Unterschied, wenn sie ihre Bomben abwerfen. Wir alle sind das Ziel, wir alle teilen das gleiche Schicksal, den gleichen Schmerz.»
Er fügt hinzu: «Die israelische Aggression hat erneut bestätigt, dass die Einheit der Menschen in Gaza – Muslime und Christen gleichermassen – nicht nur ein Slogan ist, sondern gelebte Realität. Was heute notwendig ist, ist, diese Einheit über Koexistenz und Emotionen hinaus zu politischem Handeln und Organisation zu führen.»
Al-Jelda forderte die Bildung eines nationalen Rahmens, der Vertreter aller Spektren – Männer und Frauen, Muslime und Christen – einbezieht, um eine einheitliche Vision zu entwickeln, die die politische Einheit der Palästinenser stärkt.
«Wir müssen der Welt klar sagen: Es gibt keine Freiheit, keine Unabhängigkeit, wenn wir uns nicht zuerst vereinen.» Er ist der Ansicht, dass religiöse Einheit seit jeher das Fundament der nationalen Einheit ist, und verweist dabei auf wichtige Momente in der palästinensischen Geschichte wie die Revolution von 1936 und die erste und zweite Intifada. «In diesen grossen Momenten fragte der Stein, der auf die israelischen Soldaten geworfen wurde, nicht, welcher Religion die Hand gehörte, die ihn geworfen hatte. Der Kampf war ein gemeinsamer Kampf, und das Ziel war ein gemeinsames Ziel. Das ist kein Wunschdenken, sondern eine Tatsache, die aus der Erinnerung an unseren gemeinsamen Widerstand stammt.»
Obwohl Gaza seit Jahrhunderten eine tief verwurzelte und alte christliche Gemeinde beheimatet, ist die Zahl der Christen in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. In den 1950er Jahren wurde ihre Zahl auf etwa 3 000 Menschen geschätzt. Heute sind es nicht mehr als 1 000, von denen die meisten der griechisch-orthodoxen Konfession angehören.
Dieser starke Rückgang ist in erster Linie auf die harten Bedingungen zurückzuführen, die durch die israelische Besatzung auferlegt wurden, darunter eine langjährige Belagerung und wiederholte Kriege, die viele dazu veranlasst haben, auf der Suche nach Sicherheit und Stabilität auszuwandern. Obwohl ihre Zahl gering ist, bleibt die christliche Präsenz in Gaza aktiv und einflussreich und fest in der Region und der nationalen Identität verwurzelt.