Meinungsfreiheit auch für die Friedensbewegung!

Über Meinungs- und Kunstfreiheit wird dieser Tage lebhaft diskutiert und öffentlichkeitswirksam für diese Grundrechte gestritten. Die Staatsanwaltschaft Koblenz jedoch verfolgt einen Friedensaktivisten wegen eines Flugblattes in maßlosem Engagement, obwohl ein Oberstaatsanwalt derselben Behörde bereits einmal einen Anfangsverdacht verneint hatte. Es geht um die nukleare Teilhabe Deutschlands und die Aufrüstung der in Büchel stationierten Atomwaffen. Hermann Theisen fordert in unterschiedlichen Flugblättern Soldaten und Zivilbeschäftigte auf, die Öffentlichkeit über die Hintergründe der geplanten Neustationierung von zielgenaueren Atombomben zu informieren, die er als völkerrechts- und grundgesetzwidrig erachtet. Zur Strafverfolgung des Friedensbewegten und zur Situation der Meinungsfreiheit im Land sprach Jens Wernicke mit Elke Steven, Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie und Mitherausgeberin des Grundrechte-Reports.

Frau Steven, was geschieht da in Koblenz? Wie und wieso kann jemand verfolgt werden, der nichts anderes als sein Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnimmt?
Die Grenzen der Meinungs- und Kunstfreiheit werden aktuell in verschiedenen Kontexten diskutiert. Dass es um die Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei äußerst schlecht bestellt ist, ist offensichtlich. Aber in der gerade veröffentlichten Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist auch Deutschland um vier Plätze nach hinten gefallen, auf Rang 16.
Diskutiert wird über den Satirebeitrag von Böhmermann und den abzuschaffenden Strafrechtsartikel der Majestätsbeleidigung. Ganz anders sieht es da beim Prozess gegen Lutz Bachmann, den Pegida-Begründer, wegen Volksverhetzung aus. Hier wurde zu Hass und Gewalt gegen Flüchtlinge und Migranten aufgefordert und auch der Kontext ist ein nationalistischer und rassistischer. Die Anhänger von Pegida begründen dies ebenfalls mit der Meinungsfreiheit.
Was Hermann Theisen betrifft, könnte man in der dem Thema angemessenen Kriegsrhetorik jedoch sagen: Da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Er will mit seinen öffentlichen Aktionen selbstverständlich öffentliche Diskussionen anregen. Die Adressaten seiner Briefe und Flugblätter sind aufgefordert, sowohl über die mögliche Rechtswidrigkeit staatlichen Handelns und ihre Beteiligung hieran nachzudenken, als auch über die möglichen Konsequenzen einer umfassenden öffentlichen Information.
Nach zwei Verurteilungen zu Geldstrafen durch das Amtsgericht Cochem sind nun Berufungsverfahren am Landgericht Koblenz anhängig. Die Staatsanwaltschaft Koblenz führt dabei in ihrer Berufungsbegründung aus, dass „bei zutreffender Würdigung aller Strafzumessungsgründe“ die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Bewährung notwendig sei. Aber damit nicht genug: Sie konnte das Amtsgericht zu weiteren zwei Anklagen bewegen, drei weitere könnten folgen.

Um was genau geht es inhaltlich: Atombomben in Deutschland? Neustationierung? Davon hat sicher noch nicht jeder gehört…
Eigentlich ist es ein offenes Geheimnis, dass in Büchel Atomwaffen gelagert sind. Diese sollen nun „modernisiert“ werden, wie es verharmlosend heißt. Tatsächlich geht es um die Stationierung neuester Atomwaffen. Diese B 61-12-Bomben sind zielgenauer und hinsichtlich der Sprengladung verschieden ausrüstbar, sodass Einsatzhemmschwellen sinken. Der Unterschied zwischen einer kurzen und einer langen Reichweite dieser Bomben wird durch die B 61-12, die für verschiedene Trägersysteme geeignet ist, aufgehoben. Das ist sozusagen eine „All-in-One“-Bombe. Sie soll alle sechs vorhandenen Atombombentypen der USA ablösen und deren unterschiedliche militärische Funktionen in ihren Fähigkeiten vereinen.
Schon lange wird seitens der Friedensbewegung der endgültige Abzug aller in Deutschland verbliebenen Atomwaffen gefordert. Die Beendigung der nuklearen Teilhabe Deutschlands in der NATO und ein stringentes Hinwirken der Bundesregierung auf die weltweite Abschaffung und Ächtung aller Atomwaffen sind wichtige und zukunftsweisende Forderungen. Das alles wird politisch jedoch missachtet und stattdessen mit nuklearer Teilhabe permanent gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen.
Über das offene Geheimnis der Lagerung und Aufrüstung der Atomwaffen in Büchel möchte die Bundeswehr jedenfalls nicht öffentlich sprechen und gesprochen wissen. Sie behandelt daher schon die Information als Geheimnisverrat. Über die Völkerrechts- und Grundgesetzwidrigkeit dieser Teilhabe will sie erst recht nicht sprechen.
Das alles weiß Hermann Theisen und weist deshalb die Soldaten in seinen Flugblättern auch auf die Gefahren hin, die sich ergeben, sollten sie Dienstgeheimnisse verraten.

Nun wird aber nicht ein Bundeswehrsoldat, sondern dieser Hermann Theisen juristisch verfolgt. Auch er wegen Geheimnisverrats? Was hat er denn bitte getan? Flugblätter zu verteilen ist doch legal.
In diesen Flugblättern fordert Theisen Soldaten und Zivilbeschäftigte auf, die Öffentlichkeit umfassend „über die militärischen Abläufe und Hintergründe der Atomwaffenstationierung auf dem Fliegerhorst Büchel“ zu informieren.
Er schreibt: „Verhindern und behindern Sie die Aufrechterhaltung der nuklearen Teilhabe der Bundeswehr und streuen Sie Sand in das militärische Getriebe der Atomwaffenstationierung auf dem Fliegerhorst Büchel, der dort praktizierten nuklearen Teilhabe sowie der geplanten Atomwaffenmodernisierung!“ Dies wird als Aufforderung zum Geheimnisverrat, also als Aufforderung zu einer Straftat gewertet. Für den Autor der Flugblätter ist jedoch offensichtlich, dass die nukleare Teilhabe selbst illegal ist und die Öffentlichkeit darüber informiert werden muss.
In einer Auflage zu einer Demonstration in Büchel sollte bereits einmal das Verteilen des Flugblatts verboten werden. Das Verwaltungsgericht Koblenz entschied am 29. Januar 2015, dass eine solche Auflage rechtswidrig sei. Es enthält sich einer Feststellung über die Recht- oder Unrechtmäßigkeit des Aufrufs. Aber es legt die Meinungsfreiheit gerade in einer die Öffentlichkeit besonders berührenden Frage breit aus.

Sehen Sie hier denn politischen Einfluss am Werk oder wie kommt es zu derlei Strafverfolgung? Ich meine: Derlei Aktionen sind der großen Politik im Lande ja womöglich ein Dorn im Auge…
Da braucht es sicherlich nicht einmal direkten politischen Einfluss: Die Justiz ist zwar unabhängig, versteht sich aber als Teil des Herrschaftssystems, der die Staatsräson hochhält. Oft sind es eher die höheren Instanzen, die ein demokratisches Verständnis für solchen Protest aufbringen.
Das AG München etwa, das einmal über Flugblätter gegen die Exporte von Leopard-2-Panzern nach Saudi-Arabien zu entscheiden hatte, nahm 2013 in sein schuldsprechendes Urteil immerhin auf, dass „der Angeklagte in früheren Strafverfahren wegen anderer Proteste gegen Kriege und Waffen zwar mehrfach erst- und zweitinstanzlich verurteilt, aber letztinstanzlich – also nach Wiederaufnahme des Strafverfahrens – bisher stets frei gesprochen wurde.“
Die Staatsanwaltschaft Koblenz und manche Richter hoffen nun aber wohl, dass ausufernde Strafverfolgung, Androhung von Freiheitsstrafen und Fehlurteile wenigstens abschreckend auf einige der Engagierten wirken.

Die Strafverfolgung politischer Kritiker hat in Deutschland ja lange Tradition – gerade, was die Friedensbewegung angeht …
Schon Tucholsky sagte „Soldaten sind Mörder“ und wurde deshalb verurteilt. Und auch heute noch stellen Friedensaktivisten und Pazifisten zentrale staatliche Gewalt- und Herrschaftsinstrumente infrage und machen alsdann immer wieder die Erfahrung, dass ihren gewaltlosen Protesten mit staatlicher Gewalt und Strafverfolgung begegnet wird. Man erinnere sich etwa an die Sitzblockaden der Friedensbewegung in den 1980er Jahren, die als nötigende Gewalt verfolgt wurden, bis endlich das Bundesverfassungsgericht 1995 urteilte, dass solches Sitzen keine nötigende Gewalt sei.
Als wir Kriegsgegner und Kriegsgegnerinnen aus dem Umfeld des Grundrechtekomitees während des Kosovo-Krieges Soldaten aufforderten, die Befehle zu verweigern und sich nicht an einem völkerrechtswidrigen Krieg zu beteiligen, ermittelte die Staatsanwaltschaft Berlin und viele Amtsrichter verurteilten wegen Aufforderung zu Straftaten.
Erst vor dem Kammergericht Berlin kam es dann zu einem klaren Freispruch: Der notwendige Meinungskampf mache pointierte Äußerungen notwendig, um Aufmerksamkeit zu erregen, urteilte das Gericht. Einzelne Aussagen dürften daher nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssten im Kontext der Intention und des Meinungskampfes interpretiert werden.
Übrigens soll Egon Bahr auf einem Empfang zu seinem 85. Geburtstag als Antwort zu einer den Kosovo-Krieg betreffenden Frage geantwortet haben: „Wir (er meinte die SPD-Bundestagsfraktion) sind da so reingeschlittert. Es war ein grundgesetzwidriger Angriffskrieg, der nach Artikel 26 Absatz 1 GG verboten ist.“ Eine späte Einsicht.
Geht man noch weiter zurück in die bundesdeutsche Geschichte, dann wird erst offenbar, in welchem Maße die ersten Jahrzehnte der BRD geprägt waren vom Antikommunismus. Und dieser richtete sich nicht nur gegen Kommunisten, sondern gegen die gesamte Linke sowie alle gewerkschaftlichen, friedensbewegten und demokratischen Bestrebungen.
Über die Kriminalisierung der westdeutschen Friedensbewegung im Düsseldorfer Prozess 1959/60 kann man sich etwa in einem „historischen Lesebuch“ informieren… Hier wie auch in der Autobiografie von Beate und Serge Klarsfeld wird deutlich, wie selbstverständlich die NS-Täter in die Bundesrepublik integriert worden waren. An Strafverfolgung gegenüber den Schergen des Nationalsozialismus bestand kein Interesse. Auch nach den Auschwitzprozessen, die 1963 begannen, ging es mit der unrühmlichen Geschichte der Justiz weiter.
Heinrich Hannover, der viele Angeklagte als Anwalt begleitete, berichtet über diese Prozesse in zwei Bänden: „Die Republik vor Gericht“. Im Klappentext des Aufbau-Verlages heißt es hierzu:
„An den Rändern der vermeintlich so sauberen und ordentlichen Bundesrepublik wurde eine Fülle jener Namenlosen zu Kriminellen erklärt, die in traditionellen Demokratien das Salz der Gesellschaft bilden: Kommunisten, Anarchisten, Kriegs- und Atomwaffengegner, radikale Kritiker und Unruhestifter.“

Seit bereits zwanzig Jahren berichten wir alljährlich im Grundrechte-Report über die Verletzungen der Verfassung durch den Staat. Uns gehen die Themen nicht aus.
Auch die Proteste gegen die Nutzung der Atomenergie sind ja in unvorstellbarem Maße mit staatlicher Überwachung und Strafverfolgung überzogen worden. Bis dann schließlich die Einsicht siegte, dass ein Ausstieg aus der Atomenergie, der nun allerdings nicht in der zu wünschenden Form wirklich betrieben wird, richtig ist.
Die Kritiker staatlichen Handelns sind immer wieder diejenigen, die auch vom Geheimdienst ausspioniert werden. Für die demokratische Bereicherung durch diese Kritik fehlt jedes Verständnis.
Rolf Gössner etwa, Anwalt, Journalist und Bürgerrechtler, wurde fast vier Jahrzehnte vom Verfassungsschutz überwacht. Das Verwaltungsgericht Köln urteilte 2011, dass dies gesetzeswidrig, war. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat jedoch mit Beschluss vom 24. Oktober 2015 die Berufung des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegen das Urteil zugelassen. Die Verhandlungen gehen also auch hier in eine neue Runde. Und auch Bodo Ramelow wie auch viele weitere Politiker von Die LINKE werden ausgespäht. In Hamburg sind kürzlich zwei verdeckte Ermittlerinnen aufgeflogen, die sich sowohl in die Privatsphäre von Bürgern gedrängt als auch in einem freien Radiosender inhaltlich mitgewirkt haben.
Wie wichtig für Gesellschaft und Demokratie deswegen Panama Papers“.
Im Fall von Hermann Theisen soll nun bereits die Aufforderung zum Whistleblowing exzessiv verfolgt werden. Es mutet lächerlich an, dass eine Staatsanwaltschaft einem Flugblatt, verteilt vor allem auch an Politiker, Bürgermeister und normale Bürger, eine solch staatsgefährdende Bedeutung zumessen will. Wenn es aber um Krieg oder einen solchen vorbereitenden Vorkrieg geht, dann soll der Wahrheit wohl keine Chance eingeräumt werden.

Und das, während uns gerade in letzter Zeit immer beizubringen versucht wurde, „wir“ – also große Politik und kleiner Mann – wären alle gemeinsam „Charlie“ und würden „die Presse- und Meinungsfreiheit“ gegen böse Extremisten verteidigen. Es will mir scheinen, als gölte es stattdessen vielmehr, Demokratie und Grundrechte gegen, wie man so schön sagt, „die da oben“ zu verteidigen. Stimmen Sie zu?
Solche breiten Zusammenschlüsse müssen immer skeptisch machen. So berechtigt die ersten Reaktionen des „Je suis Charlie“ waren, so schnell wurde auch deutlich, dass ganz unterschiedliche Interpretationen und Interessen da am Werk waren: Die offizielle Politik reagiert ja auf jeden Terroranschlag mit weiteren Eingriffen in die Freiheitsrechte, mit noch mehr Überwachung und Datenaustausch.
Gerade hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das BKA-Gesetz von 2008 in weiten Teilen verfassungswidrig ist. In Frankreich gilt seit den Terroranschlägen der Ausnahmezustand, der gerade wieder verlängert wurde. Beim Klima-Gipfel wurden dann unter Berufung hierauf gleich alle Demonstrationen verboten.
Glücklicherweise haben die Bürger dann aber doch ihren eigenen Kopf: Die Nuit-Debout-Proteste in Paris beispielsweise machen Hoffnung und fordern jene Solidarität von uns, die hierzulande auch Hermann Theisen gelten muss. Proteste für Menschenrechte und Demokratie, für soziale Menschenrechte und für Freiheitsrechte, für Menschenrechte, die für alle Menschen gelten, das sind die Orientierungen, von denen wir uns leiten lassen müssen.

Wie kann man Herrn Theisen denn konkret unterstützen? Welche Solidarität wäre konkret eine Hilfe für ihn?
Die vielen Anklagen und Prozesse sind zeitaufwändig und manchmal nervenaufreibend. Da ist Solidarität und ideelle Unterstützung hilfreich. Die internationale Ärzteorganisation für die Verhütung eines Atomkrieges, IPPNW, hat sich daher in einem Offenen Brief an die Staatsanwaltschaft Koblenz mit dem Friedensaktivisten Hermann Theisen aus Heidelberg solidarisiert.
Das Thema muss uns aber alle beschäftigen, denn pointierte Kritik und die Warnung davor, „dass die Welt auf einem Pulverfass sitzt“, wie es Bettina Röder in ihrem Artikel „Zwanzig Atombomben in der Eifel und kaum jemand regt sich auf“ zutreffend beschreibt, sind heute notwendiger denn je.
Darüber hinaus sind die Prozesse – manchmal ist eine anwaltliche Vertretung notwendig – auch teuer. Auch finanzielle Unterstützung für unseren Rechtshilfefonds ist daher herzlich willkommen.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Elke Steven, Dr. phil., arbeitet als Soziologin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Demonstrationsrecht und -beobachtungen, Innere Sicherheit, elektronische Gesundheitskarte und Friedenspolitik.

Dieser Text erschien zuerst auf den "NachDenkSeiten - die kritische Website". Die Verwertung durch uns erfolgt im Rahmen der Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial, unter welcher er publiziert wurde.



10. Mai 2016
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