Täglich zwei Liter trinken? – Vergessen Sie's

Das WDR-Magazin «Markt» entlarvt die gängige Trinkempfehlung als cleverer Marketing-Coup der Mineralwasserindustrie.

Drink up
Die Kampagne «Drink up», gesponsert von Getränkekonzernen, propagiert in den USA viel gesundes Wassertrinken (Quelle: WDR «Markt»).

Es gibt Ernährungsmythen, die sind wie in Stein gemeisselt. Dazu gehört auch die weit verbreitete Regel, dass wir mindestens zwei Liter am Tag trinken müssen, um gesund und fit zu bleiben. Allerdings tun sich die meisten Menschen schwer damit, diese Menge zu erreichen. Ein schlechtes Gewissen brauchen sie deswegen nicht zu haben. Experten und Fachärzte halten nämlich die Zwei-Liter-Regel für unsinnig: «Es gibt von ärztlicher Seite überhaupt keine Empfehlung, so viel zu trinken», sagt der Nierenfacharzt Jan Galle, Direktor der Klinik für Nephrologie am Klinikum Lüdenscheid.

Der Nierenspezialist rät im WDR-Magazin «Markt», nur so viel zu trinken, wie man Durst verspürt. Dann reiche die Trinkmenge durchaus, auch wenn sie deutlich weniger als zwei Liter am Tag betrage. Denn Flüssigkeit bekommt der Körper zusätzlich aus den meisten Lebensmitteln. Gemüse und Obst enthalten oft viel Wasser, Gurken fast 100 Prozent, und sogar Fleisch liefert bis zu 70 Prozent Flüssigkeit. Im Durchschnitt nimmt der Körper täglich rund 0,7 Liter über feste Nahrung auf.

Laut Jan Galle kann sich ein normal gesunder Erwachsener «komplett auf sein Durstgefühl verlassen». Allerdings: Kleinkinder und ältere Menschen hätten tatsächlich Probleme mit dem Durstempfinden – aber alle anderen müssten sich nicht zwanghaft an der Zwei-Liter-Marke orientieren.

Kampagnen der Mineralwasserhersteller

Nur, warum hält sich die Zwei-Liter-Regel so hartnäckig in den Köpfen, obwohl sie doch längst widerlegt ist? Das liege wohl auch am geschickten Marketing der Getränkeindustrie, meint Maude Barlow. Die kanadische Umweltaktivistin kämpft seit Jahren gegen die Macht von Wasser-Konzernen. «Diese Vorstellung, dass man immer Wasser dabeihaben muss, damit man nicht verdurstet, ist lächerlich. Das haben die uns eingeredet.»

In den USA verlässt heute kaum jemand ohne Wasserflasche das Haus – wohl auch dank landesweiter Kampagnen wie «Drink-Up», die von Konzernen wie Pepsi oder Danone, dem Hersteller von Evian und Volvic, gesponsert sind. Darin lobt sogar Michelle Obama die Vorzüge häufigen Wassertrinkens. Maude Barlow sieht hier ganz klare Interessen: «Nestlé, Danone, Coca Cola, Pepsi, die arbeiten mit Ernährungsberatern, mit Gesundheitsexperten, mit Lehrern, zusammen – um ihre Version vom ‹gesunden Wassertrinken› zu promoten.»

Auch in Deutschland sind die Mineralwasserhersteller äusserst umtriebig bei der Vermarktung ihrer Produkte. Weil Schulkinder angeblich zu wenig trinken, gibt es die Kampagne «Trinken im Unterricht». Dahinter steckt der Verband der Mineralbrunnen, der die junge Zielgruppe an Schulen mit Events und Gewinnspielen bei Laune hält.

Viel «gesundes Wassertrinken» propagieren und via Medien die Angst vor Flüssigkeitsmangel schüren – das lässt die Umsätze der Getränkehersteller sprudeln. Die Kehrseite des Milliardengeschäfts: Tonnennweise Plastikmüll und lange Transportwege – kurz: ein ökologischer Blödsinn (siehe dazu auf Infosperber «Mineralwasser: Die unnötige Milliarden-Industrie»).

Weltweit steigt der Verkauf von Mineralwasser kontinuierlich an. Im Jahr 2000 trank die Weltbevölkerung «nur» 100 Milliarden Liter Mineralwasser, im Jahr 2014 waren es bereits 288 Milliarden Liter. Für das Jahr 2020 wird ein Verbrauch von 600 Milliarden Liter Wasser aus der Flasche prognostiziert. 

Die Marketing-Strategie der Wasser-Produzenten scheint voll aufzugehen. Auch hierzulande sieht man immer mehr Menschen, die permanent an der Wasserflasche hängen. Der Nierenarzt Jan Galle kann darüber nur den Kopf schütteln: «Meines Erachtens ist das völliger Quatsch. Es tut nicht not, dass man ständig ein Nuckelfläschchen in der Hand hält, darauf kann man verzichten.»

Der beste Rat für gesunde Erwachsene: Auf den eigenen Durst hören – und nicht auf die Getränkehersteller.

(Quelle: Infosperber 19.4.2018)

20. April 2018
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