Dasein in einem Zwischenraum
Was uns von Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft mehrheitlich und normal als die Realität vorgespiegelt wird, entspricht nach meiner Wahrnehmung oft nicht wahrhaftig und wirklich dem Stand der Dinge. Unterwegs in einem Zwischenraum: wo das Alte nicht mehr geht und das Neue noch nicht steht.
Herzkraft im Zwischenraum... Foto: Nedelcu Catalin
Herzkraft im Zwischenraum... Foto: Nedelcu Catalin

In der Welt, in der wir leben, erfahre ich mich im Grossen wie im Kleinen immer wieder mit Situationen konfrontiert, wo Wahrheiten, die gewusst werden können und eigentlich für ein gutes Leben für alle und alles sollten - nicht gewusst werden wollen. Und wenn doch, dann werden sie allzu oft nicht handlungsrelevant.

Wahrheiten nicht wahrzunehmen, kann dem Schutz vor Angst und/oder Überforderung dienen. Die Schattenkraft von Angst ist Lähmung, ihre Lichtkraft ist Kreativität.

Geduld ist nicht nur die Fähigkeit zu warten. Es geht darum, wie wir uns verhalten, während wir warten. (Joyce Meyer)

Beim «Schwarzwald Netzwerk für Freiheit und Demokratie» ist mir dazu folgender Text begegnet:

Alle warten! Aber worauf?
Fast jeder sieht,
dass etwas nicht stimmt.
Und fast niemand weiss,
was zu tun ist.
Und so stehen wir hier –
wie Zuschauer einer Apokalypse,
die einfach nicht losgeht.

Wir scrollen,
wir teilen,
wir kommentieren.

Und irgendwo glauben wir:
Wenn wir nur genug wissen,
wird sich irgendwann etwas verändern.

Doch Wahrheit verändert nichts,
wenn sie nicht gelebt wird.

Und das ist der blinde Fleck der «Aufwachszene»!

Erwacht – und dann?

Viele sind «aufgewacht».
Haben hinter die Kulissen geschaut.
Haben das System durchschaut,
die Agenda erkannt, die Lüge benannt.

Und dann?

Warten!
Auf Offenlegungen.
Auf Gerechtigkeit.
Auf einen Moment,
in dem irgendwer – irgendwo – irgendwas ändert.

Früher brannte es.
Innen wie außen.
Veränderung hiess:
aufstehen, auftreten,
unbequem werden.

Und Heute?
Erwachen ist ein Feed.
Ein Telegram-Kanal.
Ein Zoom-Call.
Ein Meme.

Und was daraus entsteht?
Meistens: nichts.

Noch nie hat ein Telegram-Post ein System gestürzt.
Noch nie hat ein Coach die Welt befreit.
Noch nie hat jemand durch das Teilen von Zitaten
seine Matrix verlassen.

Die Szene weiss alles.
Aber sie bewegt nichts.

Weil sie überfüllt ist mit Informationen –
und leer an Umsetzung.
Das ist die Illusion des Wissens!

Wir sammeln.
Wir analysieren.
Wir verlinken.
Und wir nennen es «Bewusstseinsarbeit».
Aber in Wahrheit ist es oft nur:
Verlängertes Vermeiden.
Wer alles weiss, muss nichts tun.
Wer immer noch wartet, trägt keine Verantwortung.

Und so schieben wir das Tun nach aussen,
so wie wir früher die Schuld nach oben geschoben haben.

Und vielleicht ist das genau die neue Falle.
Vielleicht war das grosse Erwachen nur ein grosses Zögern.
Vielleicht hat das System uns längst integriert –
nicht durch Kontrolle,
sondern durch die perfekte Ablenkung:
Durch Information ohne Handlung!

Die Wahrheit ist:
Wir stehen an einem Punkt,
an dem nicht das System uns aufhält –
sondern unser eigenes Nicht-Gehen.

Alle warten.
Aber keiner fragt sich mehr:
Worauf eigentlich?
Dass es kracht?
Dass ein Anderer aufwacht?
Dass jemand kommt, der «vorangeht»?

Aber:
Was, wenn niemand kommt?
Was, wenn Du es bist?
Was, wenn der nächste Schritt erst sichtbar wird –
wenn Du losgehst?

Und jetzt?
Wir brauchen keine neue Information.
Wir brauchen neue Integrität.

Kein «Warten auf den Sturm» –
sondern den Mut, selbst der Auslöser zu sein.

Denn solange alle warten,
bleibt genau das bestehen,
was eigentlich längst hätte kippen können.

Die Matrix hält nicht durch Macht –
sie hält durch unsere Passivität.

Durch genau diesen Moment:
Jetzt.
Wo Du möglicherweise wieder zögerst?
Und denkst: «Vielleicht morgen.»

Wie ich nachträglich herausfand, ist dieser Text von Bernd M. Schmid, seines Zeichens Menschenrechtsverteidiger und Pazifist. Er hat seinen Beitrag auch noch zum Mithören aufgenommen und veröffentlicht und geht dabei und damit noch weiter als bis dort, wo mir sein Text vor einem halben Jahr beim «Schwarzwald Netzwerk für Freiheit und Demokratie» erstmals begegnete.

In vielen Lebensbereichen erlebe ich mich in unserer Welt wie in einem Zwischenraum, wo das Alte nicht mehr geht und kollabiert und wo das Neue noch nicht steht - und es dafür viel (Ko-)Kreativität braucht. Wissen beruht dabei vor allem auf Fakten und Kopf – Wahrheit eher auf Erfahrung und Herz.

«Wie geht Zukunft?» fragt Martin Kirchner in seiner Replik zum INSPIRAthon 2025 der «Pioneers of Change» und rückt dabei folgende vier Erkenntnisse in den Fokus:

1. Zukunft braucht Sehnsucht und lebendige Bilder statt Schreckensszenarien.

2. Zukunft braucht einen tiefen Paradigmenwechsel und nicht nur neue Strategien.

3. Zukunft entsteht aus Konvergenz statt aus Fragmentierung.

4. Zukunft kann überraschendes Adventus sein, nicht nur lineares Futurum.

Details und mehr dazu höre und siehe: «Wie geht Zukunft?»

Weil ich überzeugt bin, dass ein Neuaufbau unserer Welt chancenreich und wirksam von kleineren Gruppen auf lokaler Ebene angestossen und realisiert werden kann, habe ich beispielsweise einerseits als Parteiloser im Rahmen der Alten Politik in meiner Wohngemeinde ein Mandat als Einwohnerrat angenommen. Und als Botschafter für eine Neue Politik engagiere mich andererseits für DAS BLATT und den Verein ROUND ABOUT PEACE.

Ueli Keller

Ueli Keller

Ueli Keller ist ausgebildet als Lehrer und als Heilpädagoge, als Supervisor- und Organisationsentwickler sowie als Bildungswissenschaftler. Er war 45 Jahre in mehreren Berufsfeldern lohnerwerbstätig. Seit 2012 pensioniert, ist er als frei schaffender Bildungs- und Lebensraumkünstler mit Herz, Kopf, Hand und Fuss in diversen Tätigkeitsfeldern unterwegs. Unter anderem europaweit als Koordinator des Netzwerks «Bildung & Raum» sowie als Botschafter für Neue Politik (www.einestimme.ch).

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