Warum dieses neue Morgenritual? Ich sag´s euch: Während ich für den Zeitpunkt zum Thema «Das Böse» recherchierte, schlich sich etwas Böses in mein Leben, von schräg hinten, als ich in einem Café in Berlin sass. Es nahm mit spitzen Fingern meine Brieftasche aus dem Rucksack und verschloss diesen wieder.
Ich merkte es erst, als ich bezahlen wollte, aber nicht konnte (meine Freundin sprang ein). Natürlich sperrte ich die Geldkarte sofort. 170 Euro Bargeld, dazu alle Papiere, meine wunderschöne rote Waldviertler-Brieftasche, eine Christus-Münze aus dem Montmartre in Paris: Alles weg. Das verdarb meinen Mini-Urlaub und liess mich einen Tag lang ohne Geld (und leicht hungrig) durch Berlin streifen. Dann schien es ausgestanden, auch emotional.
Aber denkste, das Ärgste kam erst: Seit dem Diebstahl gehen die Diebe nämlich fast täglich mit meiner Karte einkaufen, obwohl diese – inzwischen auch polizeilich – gesperrt ist. (Ein Rat für die Leser aus Deutschland: Sollte Ihre Karte gestohlen werden, gehen Sie bitte sofort zur Polizei und lassen eine sogenannte Kuno-Sperrung machen.) 500 Euro im Bauhaus, über 700 Euro in einem anderen Baumarkt, dann noch mal 500 und wieder und wieder. Dazu fast jeden Tag Beträge von 71 oder 75 oder 76 Euro in Supermärkten in ganz Norddeutschland.
Jeden Morgen rufe ich in der Bank an und lasse die Lastschriften rückbuchen. Aber mich erwartet eine Klagewelle der geschädigten Geschäfte. Wie die ausgeht, dazu entscheiden die Gerichte unterschiedlich.
Wie ist es möglich, dass die Diebe mit einer gesperrten Bankkarte einkaufen können? Eine Sicherheitslücke, sagt die KI, die Polizei bestätigt es, und jeden Morgen erkläre ich es den jeweiligen Bankangestellten am Telefon: Man kann in vielen Geschäften mit einer gesperrten Karte per Unterschrift einkaufen. Auch die Kuno-Sperrung wirkt anscheinend nicht flächendeckend.
Das Ganze zermürbt mich: Ich bin empört, besorgt und verunsichert, während ich zusehen muss, wie der oder die Diebe täglich auf mein Konto zugreifen. Die Sache verschafft mir einen Knacks im Selbstbewusstsein. Hilflosigkeit, das trifft es am besten. Ein Gefühl, das anscheinend magnetisch wirkt, denn es hängen sich emotional noch diverse andere Hilflosigkeiten daran – gegenüber der Kriegstreiberei, der Spaltung von früheren Weggefährten… und zu alledem werde ich jeden Tag älter, ohne es aufhalten zu können.
«Halt stopp», sage ich mir, «jetzt spinnst du. Es ist doch nur Geld. Vielen Menschen passiert täglich viel Schlimmeres.» Doch mein Nervensystem unterscheidet das nicht – es ist angespannt, ich schlafe schlecht, bleibe am liebsten zu Hause.
Währenddessen touren die Diebe durchs Land – sicher eine Bande, von denen die einen sich aufs Kartenklauen spezialisiert haben und die anderen auf das Fälschen von Unterschriften. Sie scheinen gut organisiert und schlauer als Polizei und Bank, zumindest kennen sie die Sicherheitslücken besser.
Sind sie «böse»?
Wer will das beurteilen? Schlaue Gauner waren mir – zumindest in Filmen – immer sympathisch. Frech und mutig nehmen sie von denen, die genug haben. Ich bin zwar nicht reich, habe aber genug. Warum also keine gute Verliererin sein und sagen: «Glückwunsch! Nächstes Mal gewinne ich wieder.»?
Wenn Menschen etwas Unangenehmes oder Schlimmes passiert, suchen sie gerne einen Sinn darin. Das tröstet. Mein Versuch einer Sinnsuche sah so aus: Ich bin Teil einer Überflussgesellschaft, während Millionen Menschen vor Armut verzweifeln; das ist ungerecht. Der Diebstahl ist irgendwie auch eine Rache der Armen. – Doch das ist kein Sinn, sondern Unsinn und tröstet auch nicht wirklich.
Dann lieber etwas daraus lernen, aber was – neben dem, in Zukunft achtsamer zu sein?
Da ist zum Einen: Anerkennen, was ist. Ich kann es eh nicht ändern. Auch meine Gefühle dazu anerkennen. Ob sie gerade übertrieben sind oder nicht, ob sie wehtun oder nicht: Sie da sein zu lassen, öffnet etwas. Ich nehme mehr Anteil an Menschen in schwierigen Situationen.
Zweitens: Ich verdiene mein Geld mit viel Arbeit, es gehört mir. Ich bin bereit, davon abzugeben an Menschen, die weniger haben. Aber ich suche mir aus, an wen! Lieber an die zahnlose Bettlerin im Bahnhof, an «Ärzte ohne Grenzen», an den Kollegen aus Gaza oder den Musiker in der Fussgängerzone als an irgendwelche Ganoven. Und das tue ich ab jetzt auch!
Drittens: Kommt nur, ihr nächsten Diebe! Für euch habe ich eine Mausefalle in meiner Tasche deponiert.