Die blaue oder die rote Pille?

Am Anfang der Trilogie «The Matrix» gibt es eine Szene, in der der Held sich zwischen einer roten und einer blauen Pille entscheiden muss. Nimmt er die blaue, wird alles wieder so, als sei nie etwas geschehen. Seine Welt wird ihm normal erscheinen, so wie sie immer war. Nimmt er hingegen die rote Pille wird ihm gezeigt, wie tief der Kaninchenbau wirklich geht.

Wer die Wahl hat... Foto: Ron Lach

Heute sind wir die Helden. Wie werden wir uns entscheiden? Wollen wir weiter daran glauben, dass unsere Welt schon irgendwie in Ordnung ist? Sicher: Es herrscht Krieg, die Schere zwischen Arm und Reich klafft stärker denn je auseinander, wir stehen vor einem Kollaps in so gut wie allen Lebensbereichen. Die Alten sterben einsam und die Jungen nehmen sich das Leben. Viele sehen keinen Sinn mehr in ihrer Existenz. Aber: Haben wir es nicht bequemer? Gibt es nicht insgesamt mehr Wohlstand? Leben wir nicht länger?

Die wenigsten wollen sich ihr längeres Leben durch zu viele Fragen vermiesen lassen. «An irgendetwas muss man ja glauben.» Wenn es nicht mehr Gott ist, dann doch wenigstens die Tagesschau. Es kann ja nicht ganz verkehrt sein, was alle denken. Oder fast alle. Diejenigen, die ausgeschert sind, stehen so im medialen Feuer, dass man ungern dazugehören möchte. Man möchte seine Ruhe und, während anderswo die Welt in Flammen aufgeht, noch ein paar Privilegien geniessen.

Wie habt ihr gemerkt, dass etwas nicht stimmte?
Indem wir dagegen waren.

So entscheiden sich die meisten für die blaue Pille. Die rote schmeckt wahrlich bitter. Wir schlucken sie nicht mit selbstgerechtem Schulterklopfen in gemütlicher Runde, nicht im Brustton der Überzeugung begleitet vom Applaus eines zugewandten Publikums, nicht in sicherer Gemütlichkeit hinter dem eigenen Gartenzaun, sondern ganz allein. Wer bereit ist, die rote Pille zu nehmen, der tut es nicht, weil andere es auch tun. Zu unbequem sind die Konsequenzen, die der Entscheidung gleichkommen, seinem alten Leben ein Ende zu setzen.

An dieser Entscheidung sind Ehen und alte Freundschaften zerbrochen und Familien zersprengt. Viele haben ihre Existenzgrundlage verloren, sind in die Armut gestürzt oder haben das Land verlassen. Die stickige Wärme eines zu eng gewordenen Nestes haben sie eingetauscht gegen Unsicherheit und Kälte. Man hat sie dafür umso mehr verachtet. Der Mut der Aussenseiter wurde in Hass verdreht von denen, die sich einreden, sie hätten keine andere Wahl.
 

Trügerische Sicherheit

«Wie habt ihr gemerkt, dass etwas nicht stimmte?» wurde eine alte Widerstandskämpferin einmal gefragt. «Indem wir dagegen waren.» Nur wer sich bewegt, der spürt die Fesseln. Für den, der stillhält, scheint die Welt in Ordnung zu sein. Die Masken, die Lockdowns, die Ausgangsperren, die Schulschliessungen, das Homeoffice, die Spritze, die Codes, die Kontrollen, die Überwachungen, die Dekrete, die neuen Gesetze, die Einheitsnachrichten, die Talkshows, die 5G-Antennen, die Streifen am Himmel, die Manöver, die Panzer, die Drohnen, die Virtualisierung des Alltags, die Geschlechtsumwandlungen, die Frühsexualisierung, die Künstliche Intelligenz, die genetischen Transformationen – das alles hat nichts miteinander zu tun.

Die Dinge ereignen sich zufällig so. Ist nicht unser gesamtes Universum aus Zufall entstanden? Wer könnte es sich ausdenken, die ganze Welt unter Kontrolle zu bringen? Die Treffen hinter verschlossenen Türen, die exklusiven Clubs, die Thinktanks, die globalen Organisationen, an deren Spitzen ungewählte Personen über das Schicksal der gesamten Menschheit entscheiden – das alles passiert im Sinne des allgemeinen Wohls. Wenn wir das nicht mehr glauben können, dann könnten wir uns ja gleich die Kugel geben.

Oder die rote Pille nehmen.

Im Unterschied zur Kugel kommt die rote Pille keinem Selbstmord gleich. Auch wenn es schmerzt, auch wenn es schwindelig macht, auch wenn sich der Magen umdreht und wir vielleicht den Eindruck haben, an der Welt zu sterben – man kann mit der roten Pille leben. Nicht wie ein Tier, das sich in seinem Bau verkriecht. Nicht, indem wir versuchen, die Matrix anzugreifen. Wir können die rote Pille nehmen, um der Klarheit und der Wahrheit in uns mehr Raum zu verschaffen.

Den Sieg über das Böse gibt es nur in Hollywood.

Das gelingt nicht, wenn wir versuchen, das zu bekämpfen, was uns äusserlich als schlecht erscheint. Gewalt und Hass würden das Schwärzeste in uns hervorbringen und die Seite nähren, die wir zu überwinden suchen. Wie wir es auch drehen: Es gibt keinen gerechten Krieg. Gewalt erzeugt immer Gegengewalt. Immer mehr würden wir der Zerstörung Nahrung geben, wenn wir uns dafür entscheiden, gegen eine äussere Kraft anzukämpfen.

Den Sieg über das Böse gibt es nur in Hollywood. Die Realität sieht anders aus. Wenn unsere Welt heute so ist, wie sie ist, dann genau weil unsere Geschichte eine Aneinanderreihung von Kriegen ist, in denen die Opfer von gestern die Täter von morgen sind. Um den Teufelskreis zu durchbrechen, müssen wir uns an unsere Göttlichkeit erinnern, daran, dass wir kreative Wesen sind, die keinen Dompteur brauchen, sondern dazu in der Lage sind, aus sich heraus neue Realitäten zu erschaffen.
 

Das System im Kopf ändern

Die rote Pille zu wählen bedeutet, das negative Menschenbild hinter uns zu lassen, das uns seit Jahrtausenden eingeprägt wird, und in die eigene Kraft zu kommen. Wir sind keine armen Sünderlein, keine Rädchen im Getriebe, keine Fehlkonstruktion, keine überflüssigen Esser, keine gefährlichen Ausatmer. Wir sind Schöpferwesen. Wenn wir uns daran erinnern, können wir uns an die Arbeit machen, nicht das System ändern zu wollen, sondern das System aus unseren Köpfen herauszubekommen.

Im Aussen kann sich erst dann etwas verändern, wenn sich ein innerer Wandel verzogen hat. Nur wenn in uns Klarheit ist, kann es auch um uns herum wieder hell werden. Menschen, die von sich und anderen ein schlechtes Bild haben, können immer nur negative Abbilder in ihre Umgebung hineinprojizieren. Wir müssen also das Bild ändern, die Vorstellung, die wir von uns haben.

Diese Erkenntnis ist so beflügelnd wie unbequem. Die meisten fallen dahin zurück, sich mit den Projektionen ihres unergründeten Innenlebens abzufinden und für die Normalität zu halten. Wer sich jedoch für die rote Pille entscheidet, dem wachsen wahrlich Flügel. Er begibt sich in den inneren Dschungel und beginnt, das aufzulösen, was ihn schwer und hart macht. Mit jeder Schicht, die er von sich abzieht, schält er sich aus der alten, zerstörerischen Matrix heraus.

Das ist es, was wir jetzt tun können. Anstatt an den Ereignissen in der Welt zu verzweifeln, können wir in uns klar Schiff machen. So sind wir bereit, wenn die Wasser steigen. Nicht als Sklaven besteigen wir das Schiff, sondern als Kapitän, der die Segel zu setzen und das Steuer in der Hand zu halten weiss. Er kennt seine Fähigkeiten und weiss, wozu er in der Lage ist. Den Rest erledigen andere Kräfte.

30. Juni 2023
von:

Über

Kerstin Chavent

Submitted by cld on Mi, 05/17/2023 - 22:38
Kerstin Chavent

Kerstin Chavent lebt in Südfrankreich. Sie schreibt Artikel, Essays und autobiographische Erzählungen. Auf Deutsch erschienen sind bisher unter anderem Die Enthüllung,  In guter Gesellschaft, Die Waffen niederlegen, Das Licht fließt dahin, wo es dunkel ist, Krankheit heilt und Was wachsen will muss Schalen abwerfen. Ihre Schwerpunkte sind der Umgang mit Krisensituationen und Krankheit und die Sensibilisierung für das schöpferische Potential im Menschen. Ihr Blog: „Bewusst: Sein im Wandel“.