Dilettieren macht Spass

Über das schwierige Verhältnis von Profis und Amateuren: Wenn in unserer arbeitsteiligen und global vernetzten Welt von Selbermachen die Rede ist, denken die einen an Baumarkt oder Marmelade, während den Profis und Experten vor allem «Pfusch» einfällt. Wir haben nicht nur ein gestörtes Verhältnis zum Selbermachen, wir haben vor allem ein reichlich gestörtes Verhältnis zum Machen selber. Das war nicht immer so.



In der Antike war es die edelste Pflicht eines freien Bürgers, der res publica zu dienen und sein edles Selbst zu vervollkommnen. Neben dem Kriegshandwerk standen auch andere Künste hoch im Kurs. Es schickte sich durchaus, in diversen Künsten zu dilettieren. Das Wort «dilettieren» hatte damals selbstverständlich keinen üblen Beigeschmack. Wie sollte es auch? Meinte es doch schlichtweg nur: «sich an etwas erfreuen».
Die kleinliche Frage, welche Künste standesgemäss sind, hat in der Vergangenheit jedoch selbst grosse Geister sehr bewegt. Nicht nur in Griechenland stand in der Hierarchie der Künste das «Geistige» ganz oben und der Spass hatte dort aufzuhören, wo die Anstrengung, die Arbeit anfing, die man lieber den Banausen überliess. Kein griechischer Aristokrat konnte es sich leisten, den Eindruck zu erwecken, er habe es nötig, etwas selber zu machen.

Oh schönes Selbst!
Während unser Bildungswesen heute gar nicht schnell genug junge Menschen der «employability» zuführen kann und in immer kürzeren Studienzeiten Experten heranbildet, gab es aus aristokratischer Sicht in der Vergangenheit gute Gründe, sich mit der Ausbildung Zeit zu lassen und mehr Mühe zu geben. Vor allem in der Renaissance und in der Aufklärung wollte man es nicht so eng angehen. Das Ziel war ein möglichst umfassend gebildeter, vollkommener Mensch. Ausserdem gab es noch kein Fernsehen.
Das Leben am Hof der Fürsten unterlag interessanten Regeln, die uns im «Handbuch für Höflinge» von Baldassare Castiglione von 1528 überliefert wurden. So wissen wir heute, was ein aufstrebender Aristokrat damals alles können musste, damit das Auge seines Herrn wohwollend auf ihm ruhte und die Karriere am Hofe gesichert war. Neben zwingend erforderlichen Hauptkompetenzen wie umfassender Gelehrsamkeit, perfekter Beherrschung des Krieghandwerks, aussergewöhnlichem Mut und bedingungsloser Treue war es damals sehr angesagt, auch noch in Nebenrollen zu brillieren. Dazu gehörten Konversation, Dichten, Tanz und musikalische Übungen. Dem Höfling wurde Raffinesse bei der Vermittlung seiner zahllosen Vorzüge nahe gelegt. Man möge doch bitte jeden Anschein von Anstrengung bei der Zurschaustellung der eigenen Kunstfertigkeiten vermeiden, denn wahre Kunst sei nur dort zu finden, wo man die Kunst nicht sehe. Besser man vollführe seine Kunststückchen ganz beiläufig. So entstehe der Eindruck, dass einer, der Schweres mit so geringer Mühe zustande bringe, weit Grösseres leisten könne, wenn er nur Eifer und echten Fleiss an den Tag lege. Die tiefere Kunst des Höflings bestand nicht in der Erlangung wahrer Virtuosität, sondern im Andeuten von Fähigkeiten.

Politik als Kunst des Andeutens von Fähigkeiten?
Jahrhunderte lang war es die vornehmste Aufgabe des Herrschers, seinem Volk und seinen Höflingen in allen Künsten voranzugehen. Spätestens seit der Renaissance war das Dilettieren an den Höfen Europas mindestens üblich. Es wurde getanzt, gemalt, gesungen, gezeichnet, gedrechselt und komponiert, was das Zeug hält. Selbst gemalte, selbst gedichtete und selbst geschriebene Liebesbeweise galten als ungleich galanter, als solche, die man kaufen konnte.
Auch wenn die dilettierenden Fürsten nicht wirklich alles konnten (das geht doch auch gar nicht!), so muss man ihnen doch zu gute halten, dass sie wenigstens versuchten, ihren «Untertanen» ein gutes Beispiel dafür zu sein, wozu ein umfassend gebildeter Mensch in der Welt taugt. Und es darf uns auch ruhig ein wenig wehmütig stimmen, dass ambitionierte HerrscherInnen sich früher noch bemühten, ihr Volk mit einem breiten Repertoire an Künsten zu erfreuen. Schade, dass bisher kein gut bezahlter Imageberater Angela Merkel oder Nicolas Sarkozy überzeugen konnte, öffentlich in unpolitischen Künsten zu dilettieren.


Wo die Arbeit anfängt, hört der Spass auf
Auch die Bauern und Handwerker, Gesellen und Knechte hatten manchmal Lust und Zeit zu dilettieren – aber erst wenn die notwendige Arbeit erledigt war. Wenn das Volk drechselte, dann tat es dies nicht als Heilmittel gegen die Melancholie oder als höfische Andeutung von Fähigkeiten. Viele Künste waren auch ihnen jenseits der Notwendigkeit der Mühe Wert. Man nennt dies heute meist Volkskunst, und wir finden manches davon in den Museen.
Wir haben es vor allem dem Protestantismus und dem Kapitalismus zu verdanken, dass das Dilettieren so übel in Verruf kam. Die Beziehung zwischen Amateuren und Profis war schon immer etwas angespannt. Wofür man Verständnis entwickeln kann, wenn man sich in die Lage eines ehrlichen Drechslermeisters versetzt, der im 16. Jahrhundert Kaiser Maximilian dabei hilft, an der extra für ihn eingerichteten Drehbank solange Elfenbeinrohlinge zu zerschrotten, bis endlich ein vorzeigbarer Kandelaber dabei herauskam. Man stelle sich bitte den Drechsler vor, wenn er dabei ehrliche Begeisterung zeigen musste – was auch eine Kunst ist. Die nicht unbegabten Werke des kaiserlichen Gedrechsels kann man übrigens noch heute in der Dresdner Kunstkammer besichtigen.
Womit wir beim Kern der Animositäten sind: Während der Amateur/Dilettant die Kunst um ihrer selbst willen ausübt, muss der Profi und Experte von seiner Kunst leben. Das wirft Fragen auf: Was würde der Profi tun, wenn er unabhängig wohlhabend wäre? Würde er dann endlich das tun, was er wirklich will? Oder würde er seiner Arbeit aus purem Vergnügen nachgehen? Wieviel Geld muss man für seine Arbeit verlangen, um nicht Gefahr zu laufen, als Dilettant verleumdet zu werden?
Dass beim Profi der Spass aufhört, wenn er beim Amateur erst richtig anfängt, dafür ist die Beziehung zwischen Kunst und Kunsthandwerk ein wunderbares Beispiel. Spätestens seitdem der Kunsthandwerkermarkt erfunden wurde, leidet das Kunsthandwerk so sehr unter diesem Begriff, dass man sich auf die Suche nach einer anderen Bezeichnung machen müsste, um sich als Nicht-Kunsthandwerker zu profilieren.
Nun gerät in diesen Tagen, wie wir hören und lesen, das Selbermachen wieder in Mode. Mit dem Stricken fing es an. Jetzt essen die ersten Berliner Hauptstädter selbst gezogenen Salat aus Prinzessinnengärten. In «Fab-Labs» bauen Anhänger der Piratenpartei «Personal Fabricators» – Fabber genannt – die sich selber reproduzieren. Da bekommt das Selbermachen einen noch wundersameren Klang! Das erfolgreichste Nachschlagewerk und das erfolgreichste Betriebssystem der Welt – Wikipedia und Linux – wurden von Selbermachern in die Welt gesetzt. Die Bauanleitungen für die 50 Maschinen, die ein Dorf braucht, um autark zu leben, stehen zum download bereit! Die Liste dessen, was wir selber machen können wird immer länger: Marmelade, Möbel, Musik, Verfassungen, Geld und vielleicht sogar Glück
Da bleibt mir nur noch zu sagen: Möge die Übung gelingen! Es gibt viel zu tun! Fangt schon mal an!


Christine Ax, M.A., ist Philosophin und Ökonomin und lebt in Hamburg. Sie ist Expertin für nachhaltige Entwicklung und Handwerk. 1997 erschien «Das Handwerk der Zukunft», 2009 «Die Könnensgesellschaft – mit guter Arbeit aus der Krise». www.koennensgesellschaft.de


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19. März 2012
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