Im November vergangenen Jahres habe ich auf dieser Website einen Beitrag veröffentlicht mit dem Titel: Und bist Du nicht willig… Das elektronische Patientendossier. — Wyler van Laak. Ich hatte darauf hingewiesen, dass die Einführung des elektronischen Patientendossiers in der Schweiz zunächst freiwillig war.
Nachdem weder die Ärzte/Ärztinnen noch die Bürgerinnen und Bürger der Schweiz trotz Werbung ein gesteigertes Interesse am elektronischen Patientendossier zeigten, wurden Akutspitäler, Rehabilitationskliniken, psychiatrische Kliniken, Pflegeheime und Geburtshäuser sowie seit 2022 neu zugelassene Arztpraxen verpflichtet, sich einem elektronischen Patientendossier anzuschliessen.
Im Jahre 2024 wurde die einfache bzw. vereinfachte Handhabung bei der Erstellung des elektronischen Patientendossiers beworben, ohne massgeblichen Erfolg. Obwohl 98% der in der Schweiz lebenden Bevölkerung Zugang zu elektronischen Medien haben, benutzen nur etwas über 1% das elektronische Patientendossier.
Das macht durchaus Sinn, denn neben einer angemessenen Qualität der körperlichen Behandlung sind Vertrauen, Erwartung und Hoffnung, das Gespräch, die Art und Weise der Übermittlung und die Begleitung bezüglich Diagnose und Therapie für einen guten Heilungsverlauf und für angemessene Kosten entscheidend und bestimmen die Behandlungsqualität. 1/2/3
Das elektronische Patientendossier hat diesbezüglich nichts beizutragen. Dies schrieb ich gut belegt vor einem Jahr. Auch die Belege für meine weiteren Ausführungen in diesem Beitrag findet der Leser und die Leserin auf meinem Webseitenbeitrag: Und bist Du nicht willig… Das elektronische Patientendossier. — Wyler van Laak vom November 2024.
Was sich vor einem Jahr bereits an Entwicklung anbahnte, kommt nun der Realisierung näher. Am 5. November 2025 überwies der Bundesrat die Botschaft einer Neuausrichtung «Elektronisches Gesundheitsdossier E-GD löst EPD ab» an das Parlament. 4
In seiner Information über diese Änderung behauptet das eidgenössische Departement des Inneren, dass die komplexe Struktur mit zahlreichen Anbietern und einem aufwendigen Eröffnungsprozess das Hindernis gewesen sei, so dass die Nutzung des EPD (elektronisches Patientendossier) bis jetzt «unter den Erwartungen» blieb. Dabei war/ist das Anlegen und die Nutzung des EPD über das Smartphone im Grunde nicht schwierig. Naheliegender scheint mir die Interpretation, dass weder Ärztinnen und Ärzte, noch die Bürgerinnen und Bürger eine Notwendigkeit sehen, ein elektronisches Patientendossier zu eröffnen. Warum auch?
Die Digitalisierung wirkt sich eher verteuernd auf das Gesundheitswesen aus. Es hat sich auch herumgesprochen und ist inzwischen aus Daten aus den USA und aus Deutschland gut belegt, dass die Behandlungsqualität gerade auch im Notfall sich durch die Einführung eines elektronischen Patientendossiers nicht verbessert. Zum Teil zeigten Spitäler mit hohem Patientenvolumen gar eine Verschlechterung der Behandlungsergebnisse in der Notfallbehandlung. Daten aus den USA zeigen, dass ein komplettes elektronisches Patientendossier, welches routinemässig von den Spitälern übernommen und angewendet wurde, kein Vorteil ist und dass dies eher unter den Bedingungen eines speziell angepassten, implementierten Patientendossiers an die entsprechenden Spitäler möglich sein könnte.
Die Einführung von mehr Technologie im Aufnahmeprozess der Spitäler war gemäss einer umfassenden Studie aus Deutschland mit einer Abnahme der Patientenzufriedenheit verbunden. Zusammenfassend ergeben die bisherigen Erkenntnisse, dass mit der Einführung der Health Information Technology kein signifikanter Effekt auf die klinischen Behandlungsergebnisse zu erwarten ist und auch nicht auf die Patientenzufriedenheit. Die Digitalisierung hat zudem zu einer Erhöhung der Kosten im Gesundheitswesen beigetragen. Alle Quellen zu diesen Angaben finden Sie wie bereits erwähnt in meinem Beitrag vom November 24.
Wenn nur 1,2 % der Bevölkerung Gebrauch vom elektronischen Patientendossier machen, warum soll jetzt ein «elektronisches Gesundheitsdossier» eingeführt werden? Das EDI schreibt: «Das E-GD muss man nicht beantragen: Neu erhält jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz automatisch und kostenlos ein Dossier. …», und an anderer Stelle heisst es: «das E-GD wird alle relevanten Gesundheitsinformationen einer Person an einem Ort bündeln und sie durch alle Lebensphasen - von Vorsorgeuntersuchungen bis zur Behandlung von Krankheiten – begleiten. …»
Es kommt also noch viel schlimmer. Es gibt ein «Gesundheitsdossier». Warum? Weil der Staat somit für jeden Bürger und für jede Bürgerin, ob gesund oder krank, ein solches Dossier erstellt, von der Geburt an und ganz automatisch.
Wir Bürgerinnen und Bürger brauchen keine staatliche «Gesundheits» Gouvernante, die uns das Leben lang begleitet. Wenn uns ein elektronisches Patientendossier zur Verfügung gestellt wird und wir das wollen, machen wir davon Gebrauch. Die Möglichkeiten waren da, aber wir haben keinen Gebrauch davon gemacht. Also wollen wir es nicht. Zumindest ist diese Interpretation ungeachtet allfälliger Umfragen gültig, solange wir den Bürger und die Bürgerin als selbstverantwortliches Wesen definieren, das weiss, «mein Körper gehört mir», ein berechtigter Slogan, der m.E. z.T. überstrapaziert wird.
Warum heisst das elektronische Patientendossier jetzt elektronisches Gesundheitsdossier?
Nun, es ist vorgesehen, dass jede Person, ob gesund oder krank, mit Wohnsitz in der Schweiz automatisch ein Dossier erhält.
Die Kantone informieren die Bevölkerung vor der Eröffnung persönlich und umfassend über Nutzung und Rechte. Wer kein E-GD will, kann einer Eröffnung widersprechen oder es jederzeit einfach löschen lassen. So bleibt das elektronische Dossier wie bisher eine freiwillige Dienstleistung und die Patientenrechte werden gestärkt.
Wirklich? Genetische, biometrische und Gesundheitsdaten gehören zu den höchstpersönlichen Daten, unterliegen einem besonderen Schutz, und die Freigabe erfordert die ausdrückliche Einwilligung. Höchstpersönliche Rechte können nicht übertragen werden. Es sei, denn ich gebe selber dazu meine aktive Einwilligung. Höchstpersönliche Rechte sind Rechte, die untrennbar mit der Person verbunden sind. Meines Erachtens hat der Staat kein Recht, sich unsere höchstpersönliche Sphäre zu eigen zu machen und von uns zu fordern, dass wir dagegen Widerspruch einlegen müssen, wenn wir sie wiederhaben möchten.
Das bedeutet auch, dass jede in der Schweiz lebende Person ohne jegliche Formalität davon ausgehen kann, dass wenn er oder sie zu einem Arzt oder einer Ärztin geht, die Daten ohne wenn und aber vertraulich behandelt und nicht auf einem «fremden Server», schon gar nicht auf einem staatlichen Server abgelegt werden, es sei denn, die Lagerung der Daten auf diesem Server wird explizit gewünscht.
Das proklamierte Widerspruchsrecht, welches bedauerlicherweise bereits bei der Einführung der Organspende geltendes Recht erlangt hat, spricht den freiheitlichen, verfassungsrechtlichen Grundlagen meines Erachtens Hohn. Wie ich bereits im November 24 schrieb, «in einem freiheitlichen demokratischen Staat gehört die Privatsphäre dem Bürger und der Bürgerin. Er muss sie nicht gegenüber irgendjemandem geltend machen.»
In seiner Mitteilung schreibt das EDI weiter: «Die behandlungsrelevanten Gesundheitsdaten, die heute in den Patientenakten verschiedener Arztpraxen und Spitäler verteilt sind, werden künftig auch im E-GD der Inhaberinnen und Inhabern abgelegt. Diese behalten die volle Kontrolle über ihre eigenen Gesundheitsdaten und entscheiden selbst, wer auf welche Informationen zugreifen darf und welche Daten nicht im E-GD abgelegt werden sollen.» 5
Das bedeutet letztendlich, dass Ärzte und Spitäler zukünftig zwei Krankenakten für einen Patienten führen müssen. Eine, die auf der E-GD abgelegt werden darf, und eine andere, in der Informationen stehen, die nicht in der E-GD abgelegt sind. Das wird teuer.
Der administrative Aufwand und der Kostenaufwand werden explodieren. Da wird auch KI nichts ausrichten können. Denn wie Quinto Carlos, Mitglied des Zentralvorstands der FMH, Facharzt für allgemeine innere Medizin, der der Digitalisierung grundsätzlich, sofern sie effizient und benutzerfreundlich ist, positiv gegenüber steht, in der Schweizerischen Ärztezeitung, November 2025 zutreffend schreibt: «Für die vielen sinnlosen Administrativarbeiten, die weder den Patientinnen und Patienten nutzen, noch die Versorgungsqualität verbessern, werden Digitalisierung und KI jedoch keine Lösung sein. Sie gehören schlicht und einfach reduziert und abgeschafft. Digitalisierung und KI können nicht die Sinnhaftigkeit von Nonsens verbessern, sie können höchstens Nonsens multiplizieren.» 6
An anderer Stelle findet sich in der Mitteilung des EDI geschrieben: «Die Kantone tragen die laufenden Betriebskosten und stellen den Betrieb einer sogenannten Gemeinschaft auf ihrem Gebiet sicher. Diese Gemeinschaften – das sind beispielsweise zusammengeschlossene Spitäler, Arztpraxen, Apotheken und andere Gesundheitsinstitutionen – garantieren mit Kontaktstellen, dass die Bevölkerung einen niederschwelligen Zugang zur Unterstützung im Zusammenhang mit ihrer E-GD hat. Die Kontaktstellen dienen als erste Anlaufstelle für alle Fragen.»
Hier drängen sich Fragen auf: Was sind «andere Gesundheitsinstitutionen?» Wer sitzt in den Kontaktstellen?
Vieles spricht dafür, dass mit diesem Vorhaben das Vertraulichkeitsprinzip zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin aufgelöst wird und die Menschen Kontrolle über ihre Daten eben nicht mehr haben.
Und was heisst überhaupt Kontrolle? Kennen Sie die Formel E=mc²? Der eine oder andere wird diese Formel als die sogenannte «Einstein’sche Formel» erkennen. Kaum aber jemand, mich eingeschlossen, vermag die Herleitung dieser Formel zu verstehen, geschweige denn die Bedeutung der Formel umfassend zu erfassen. Heute dokumentiert der Arzt oder die Ärztin die Befunde und die Beurteilung in der Krankengeschichte, Patient und Patientin können die Krankengeschichte einsehen, ggf. eine Kopie verlangen und mit dem Arzt, der Ärztin besprechen. Dies stellt auch am Ehesten sicher, dass nicht das, was Google für wichtig erachtet schliesslich in der Akte landet. Angaben von Drittpersonen muss der Arzt vorher aus der Krankengeschichte entfernen bzw. schwärzen.
Jetzt soll der Patient, die Patientin plötzlich entscheiden, welche Informationen des Arztes/der Ärztin relevant und wichtig sind und in einem elektronischen Gesundheitsdossier abgelegt werden sollen. Hier werden dem Bürger und der Bürgerin Kompetenzen übertragen, die er/sie ohne Zusammenarbeit mit seinem Arzt oder seiner Ärztin nicht wahrnehmen und kompetent einsetzen kann. Damit ist die Art der Kontrolle, wie sie das EDI beschreibt, nicht möglich. Hier werden dem Bürger/der Bürgerin eine Kontrolle über etwas gegeben, was er letztendlich nicht kontrollieren kann, weder was die medizinisch wissenschaftlichen Informationen angeht, noch was die technischen Belange angeht. Dem gegenüber wird aber die Kontrolle von Institutionen ggf. Behörden gegenüber dem Bürger/der Bürgerin erhöht. So liegt die «Verbesserung», der Gewinn für die Kontrolle über die Gesundheitsdaten nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern sondern bei den Behörden und Institutionen.
Die Mitteilung des EDI enthält folgende dick und gross geschriebene Zwischenüberschrift: «Alle Gesundheitsfachpersonen machen mit.»
Das hört sich gut an; proaktiv, initiativ und konsensuell. Was aber steht unter dieser Überschrift? «Schon heute sind alle Spitäler und Pflegeeinrichtungen verpflichtet, sich dem EPD anzuschliessen. Neu werden auch Ärztinnen und Ärzte, Apotheker oder Physiotherapeutinnen und weitere ambulante Leistungserbringer, die über die obligatorische Krankenversicherung abrechnen, verpflichtet (Hervorhebung durch Autorin), das E-GD zu nutzen und alle behandlungsrelevanten Gesundheitsdaten einzutragen. Das ist wichtig, denn der grösste Nutzen des E-GD entsteht, indem es möglichst von allen genutzt wird. Das verbessert die Wirksamkeit und Behandlungsqualität für alle.»
Der letzte Satz widerspricht meines Erachtens der gut belegten internationalen Studienlage. Darüber hinaus verstärkt dieser Absatz den Eindruck, dass «Kontrolle» mehr die Kontrolle über Bürgerin und Bürger betrifft und weniger die Kontrolle des Bürgers/der Bürgerin über sich und sein/ihr Leben.
Wir lesen in der Mitteilung des EDI unter der fettgedruckten Überschrift: «Starker Datenschutz»: «Die Sicherheit der Daten hat für den Bundesrat weiterhin oberste Priorität. Er hat im neuen E-GDG daher entsprechend hohe Anforderungen an den Datenschutz verankert. Der Bund trägt die Verantwortung für den Schutz und die Sicherheit der Daten und sorgt dafür, dass die Daten in der Schweiz aufbewahrt werden.»
Nun: Der Staat soll und kann keine Verantwortung über meine höchst persönlichen Gesundheitsdaten übernehmen. Diese Verantwortung liegt bei mir, bzw. bei den von mir gewählten Ärzten/Ärztinnen, und diese tragen die Verantwortung für den Schutz meiner Daten. Der Staat und die staatlichen Institutionen haben darin meines Erachtens nichts zu suchen. Meine Daten müssen höchstpersönlich gesichert und vertraulich bei meinem Arzt oder meiner Ärztin bleiben. Dies ist auch der Grund, warum viele Ärztinnen und Ärzte weiterhin handschriftlich geführte Krankengeschichten benutzen, soweit ihnen das heute noch erlaubt ist. Zudem habe ich in meinem Beitrag vom November 24 belegt, dass dieser versprochene Datenschutz bis heute gar nicht zu leisten ist. Sehen Sie hierzu auch folgenden Ausschnitt aus der Tagesschau vom Schweizer Fernsehens vom 16.11.25:

Die Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass schon der Nutzen der Einführung eines elektronischen «Patientendossiers» nicht belegt ist, vom Gesundheitsdossier ganz zu schweigen, aber meines Erachtens unserer aller Freiheit bedroht. Die Abstimmung über den elektronischen Identitätsausweis hat gezeigt, dass immer mehr Bürger/Bürgerinnen der zunehmenden «Fürsorge» des Staates misstrauen. Wenn wir alle weiterhin aktiv sind und für unsere Freiheit einstehen, kann dies dazu führen, dass die für 2030 vorgesehene Einführung des elektronischen «Gesundheitsdossiers» verhindert werden kann.
Quellen:
1 Und bist Du nicht willig… Das elektronische Patientendossier. — Wyler van Laak
2 Benedetti Fabrizio; The Patient’s Brain; The Neuroscience behind the Doctor-Patient Relationship ; Oxford University Press 2011.
3 Wyler van Laak Catja; Die Arzt-Patient-Beziehung in Zeiten gesellschaftlicher Herausforderungen. Was zählt? Eine Annäherung unter Berücksichtigung der sozialen Neurowissenschaften; Paramon Verlag; 2020.
4 Bundesrat beschliesst Neuausrichtung: Elektronisches Gesundheitsdossier E-GD löst EPD ab
5 Mitteilung des EDI vom 5. November 2025; «Bundesrat beschliesst Neuausrichtung: Elektronisches Gesundheitsdossier E-GD.»
6 Quinto Carlos; «Zu wenig Fachkräfte – zu viel Bürokratie» in: Schweizerische Ärztezeitung, Nr. 29; November 2025; S. 7.