Das Buch, das heute erscheint, ist für mich eine wohltuende, gut recherchierte und tiefe Stimme der Vernunft: «Friedenstüchtig. Wie wir aufhören können, unsere Feinde selbst zu schaffen».
Seit mindestens 25 Jahren eskaliert die Weltsituation. Wer Anfang des Jahrhunderts geboren wurde, erlebt immer schneller aufeinander folgende Krisen. Westliche Regierungen reagieren scheinbar entschlossen, real aber mit einer unglaublichen Verengung der Möglichkeiten: Statt Probleme anzugehen und ihre Ursachen zu ergründen, scheint es nur noch eine Richtung zu geben: Macht und Gegenmacht – also Gewalt. Wenn ein Kanzler von der Zeitenwende spricht, meint er nicht neue Konzepte oder den ökologischen und sozialen Umbau, der schon lange ansteht – sondern immer nur Aufrüstung. Wenn Scheidler von Krieg und Aufrüstung spricht, meint er auch den Krieg gegen die Natur und den Corona-Krieg.
Bei den Reaktionen, zu denen der Wertewesten sich gezwungen sieht, werden alle humanen Traditionen, alle rechtlichen oder demokratischen Bedenken über Bord geworfen. Scheidler: «Was früher als logisch galt, ist es nicht mehr. Wo einst eine ethische Grenze war, rollen nun die Panzer.»
Er spricht dabei allerdings nicht von Verschwörungen, die die Krisen absichtlich herbeigeführt hätten – sondern von der Geschicklichkeit von Systemen, sich Krisen zunutze zu machen. Denn ein Feind hat immense Vorteile für ein System, das von seinen Fehlern ablenken möchte.
Fabian Scheidlers Hauptthese ist: Die Feinde, gegen die der Westen sich so vehement zur Wehr setzt, hat er selber geschaffen. Die brisante Gefahr, in der sich die ganze Welt derzeit befindet, haben die westlichen Regierungen durch ihre Reaktionsweise selbst erzeugt oder mindestens verstärkt – und zwar mit genau den Massnahmen, die sie abwehren sollen.
Beispiele gefällig? Der Krieg gegen Terror hat den wildesten Terrorismus hervorgebracht. Die Folgen der Corona-Massnahmen waren tödlicher als jedes Virus. Israel hat die Hamas, die sie nun zu bekämpfen vorgibt, jahrelang als Gegenpol zur PLO aufgebaut und unterstützt. Und der Atommacht Russland wurde jede rote Linie, die es definierte, übertreten – bis es die angekündigten Konsequenzen zog. Die meisten Eskalationen der Welt, so meint er, hätten ohne westliche Intervention nicht stattgefunden. 
Friedenstüchtig werden, bedeute, so schreibt Scheidler, damit aufzuhören, Feinde zu schaffen. Es gab und gibt immer bei Bedrohungen viele andere Handlungsoptionen als Eskalation und Gewalt, Dominanz und Expansion. Die Vergangenheit biete zahlreiche Schlüssel für andere Abzweigungen.
Wir sollten deshalb die Folgen unserer Politik gründlich analysieren und das Tabu aufheben, sich Fehler einzugestehen, damit wir in den kommenden Krisen anders handeln können.
Scheidlers Appell heisst: Gemeinsame Sicherheit statt Dominanz. Der Schlüssel zum Frieden liege in der Sicherheit aller Akteure. Er erinnert an das Konzept «Gemeinsame Sicherheit», das Anfang der Achtziger Jahre von Willy Brandt, Egon Bahr, Olof Palme und anderen ausgearbeitet wurde. Zusammenarbeit zwischen Nationen sollte ausdrücklich die Kooperation mit geopolitischen Gegnern einbeziehen. Diese Strategie sei nicht aus einem naiven Pazifismus entstanden, sondern aus kluger Einsicht in Zeiten nuklearer Bedrohung.
Von dieser Einsicht scheinen heutige westliche Regierungen weit entfernt, wenn sie an der Eskalationsschraube drehen. Kein Wunder, denn, wie Scheidler betont: Die 500jährige Epoche westlicher Dominanz geht zu Ende. Das aber wollen die Hauptakteure noch nicht wahrhaben. Da scheint ein gemeinsamer Feind als beste Möglichkeit, den Westen zusammenzuhalten.
Westlichen Politikern traut Scheidler keine Veränderung zu. Aber er sieht zwei Faktoren, die Hoffnung machen, einen Weltkrieg zu verhindern: Zum einen die massiv erstarkten Länder des globalen Südens, die den Krieg nicht wollen und auf ein interstaatliches System dringen, das den UN-Resolutionen mehr Durchsetzungskraft verleiht. Und zum anderen die «Friedensbewegungen, die potentiell Millionen von Menschen mobilisieren können».
Die Friedensbewegung solle sich mit anderen Bewegungen verbinden, denn Krieg sei nicht nur, wie Martin Luther King sagte, ein Feind der Armen, sondern auch ein Feind von Umwelt und Natur: Frieden auf der Erde und Frieden mit der Erde sind untrennbar. «Eine neue Welle der Aufrüstung – wie auch immer sie gerechtfertigt wird – kann der Planet nicht verkraften.»
Es ist ein wichtiges Buch, finde ich, soweit ich es bisher lesen konnte, und ich möchte es vielen Menschen ans Herz legen. Hier werden Sachverhalte zusammengeführt, die ansonsten als Einzelphänomene gehandelt werden - dadurch entsteht eine tiefere Analyse und damit auch Breite der Möglichkeiten, auch jetzt noch einen Weltkrieg zu vermeiden. Einfach eine Stimme der Vernunft, finde ich, und ich freue mich darauf, den Autor an einer der Buchvorstellungen (s.u.) selber zu erleben und in einem Interview für TransitionTV zu befragen.
Fabian Scheidler: Friedenstüchtig
Wie wir aufhören können, unsere Feinde selbst zu schaffen
Promedia Verlag, Wien 2025, 224 Seiten
Mehr: https://fabian-scheidler.de
Veranstaltungen:
Mannheim, 10. Oktober 2025, Keynote zur Tagung „Kriegstüchtig statt friedensfähig: Der Kapitalismus rüstet auf“
Paris, 11. Oktober 2025, Institut Momentum
Berlin, Pfefferberg, 27. Oktober 2025, Buchpremiere „Friedenstüchtig“
München, 13. November 2025, Eine-Welt-Haus
Wien, 17. November 2025, Aktionsradius