Hier baut das Quartier

Im Berner Lorraine-Quartier nehmen die Bewohner_innen das Heft in die Hand

Im Herbst 2013 hat sich eine breite Allianz von Quartierbewohner_innen und lokalen Betrieben erfolgreich gegen ein städtisches Luxuswohnbauprojekt in der Berner Lorraine gewehrt. Im Anschluss daran entstand die Idee, aus dem Quartier heraus ein eigenes Wohnbauprojekt zu entwickeln, das preisgünstigen Wohnraum schafft und gleichzeitig den Bedürfnissen der Quartierbevölkerung entgegenkommt.


Die Berner Lorraine ist ein lebendiges Quartier mit (noch) hoher sozialer Durchmischung. Ein Quartier, in dem man sich auf der Strasse grüsst, in dem man sich trifft, in dem man miteinander zu tun hat, in dem Menschen unterschiedlichster Herkunft nebeneinander und zusammen leben. In den letzten Jahren hat die Gentrifizierung jedoch auch vor der Lorraine nicht Halt gemacht; viele Bewohnerinnen und Bewohner mussten aufgrund von Hausverkäufen, Luxussanierungen und Verkäufen als Stockwerkeigentum das Quartier bereits verlassen.

Auch die Stadt Bern wollte auf ihrem Areal am Centralweg – entgegen früherer Versprechen – statt günstigen Wohnraum teure Luxuswohnungen bauen. Als dies im Mai 2013 bekannt wurde, spazierten gegen hundert Quartierbewohner_innen mit Transparenten und Musik von der Lorraine aus Richtung Rathaus, um beim Stadtrat Einspruch zu erheben – «das Bauprojekt zurück an den Absender!». Der Protest wurde von über 40 Betrieben, Beizen und Läden des Quartiers getragen. Auch diverse Communiqués und Briefe von Quartierorganisationen und Genossenschaften trugen ihren Teil dazu bei, wenig später wurde eine Petition lanciert, die im Nu von über 1000 Personen unterschrieben wurde. Seither setzte sich der Widerstand fort – an den Bauprofilen und Zäunen rund um den Platz hängen Transparente, und es haben bereits verschiedene Anlässe stattgefunden, unter anderem eine Filmvorführung und ein «Langer Tisch der Wohnbaugenossenschaften».
Das Berner Stadtparlament hat im September 2013 aufgrund der Proteste seinen Kreditentscheid noch einmal zurückgenommen. Zurzeit (Ende 2013) ist die Situation aufgrund einer Beschwerde von FDP-Exponenten gegen diesen Stadtratsentscheid blockiert. Offensichtlich ist die Situation verkachelt, das überteuerte «Baumzimmer»-Projekt der Stadt will praktisch niemand im Quartier, und es ist Zeit, dass die Quartierbewohner_innen die Chance packen und das Heft selbst in die Hand nehmen.


Wohnraum – aber wie und für wen?
 Dass es sinnvoll ist, auf dem Areal Wohnraum zu schaffen, bestreitet kaum jemand. Wenn aber konventionell in der heute üblichen Art gebaut wird, können keine günstigen Mietzinse resultieren – ein konventioneller Öko-Neubau würde zu teuren Mieten führen, er wäre ein Fremdkörper im Quartier und würde die Gentrifizierung noch weiter vorantreiben.
Deshalb haben sich inzwischen einige Quartierbewohner/innen zusammengetan, um einen Prozess für ein eigenes, «von unten», aus dem Quartier heraus entwickeltes Projekt in Bewegung zu setzen. Weil sie vermuteten, dass es auch etwas anderes geben müsse als einen konventionellen, teuren Minergie-P-Bau, haben sich ein wenig umgeschaut und sind dabei auf «Rachel-Architektur-Wettbewerb» aus Köln gestossen, ein Open-Source-Projekt zur Entwicklung kostengünstiger, modularer, energieautarker und nachhaltiger Wohnkörper1, der von der Schweizer Zeitschrift Zeitpunkt unterstützt wurde,.


Eine Ausstellung und ein Prototyp – das Quartier baut mit
Für den Wettbewerb in Köln wurden elf Projektentwürfe eingereicht, die ab dem 18. Januar 2013 für drei Monat in einer Ausstellung auf dem Centralwegareal präsentiert werden. Gewonnen hat den Wettbewerb Huldi Hug aus Sevelen (SG). Sein Entwurf überzeugte die Jury mit einem schlüssigen Gesamtkonzept und den detaillierten Ausführungen.
Das Nachbarschaftskomitee aus der Lorraine hat mit Huldi Hug Kontakt aufgenommen und ihn in Sevelen besucht, weitere Treffen folgten in Bern, und dank dem Engagement eines Schreinereikollektivs aus der Lorraine wird nun ein Prototyp tatsächlich realisiert: Das «Holzlabor Bern» wird die Box in Gratisarbeit gemeinsam mit Huldi Hug bis zum 18. Januar 2014 aufbauen. Auch andere Quartierbetriebe unterstützen das Projekt tatkräftig; so hat die Varium Bau AG bereits unentgeltlich die Fundamente erstellt.
Die Box wird innen ca. 24 Quadratmeter Raum bieten. Sie ist quadratisch (aussen 5 mal 5 Meter) und 3 Meter hoch. Sie wird gleichzeitig als Ausstellungspavillon, Inspirationsquelle, Treffpunkt, Veranstaltungsraum und Ort des Austauschs dienen.
In der Box befinden sich ein Plan vom Areal und Bauklötzli (=Böxli) und andere Utensilien, alles im Massstab 1:100. Die Besucher_innen und alle Quartierbewohner_innen sind eingeladen auszuprobieren, wie eine solche Siedlung auf dem Centralwegareal gestaltet werden könnte. Die fertigen Entwürfe werden mit einer Fotokamera dokumentiert.


Eine Quartierversammlung als Auftakt
 Für den 18. Januar, dem Tag der Ausstellungseröffnung, wird das ganze Lorrainequartier zu einer Versammlung eingeladen, als Start für den partizipativen Prozess im Quartier bezüglich des Centralwegareals. Das Fernziel ist die Umsetzung des entwickelten Konzepts unter Mitarbeit solidarischer Fachleute, lokaler Erwerbslosenprojekte, zukünftiger Bewohner_innen etc. Das Projekt gibt Gelegenheit zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit auf Themen des ökologischen, sozialen Bauens, der Anzahl Quadratmeter Wohnfläche pro Person und gemeinschaftlicher Nutzungen für das ganze Quartier.
Quartierversammlung zum Centralwegareal, Samstag, 18. Januar 2014, 16 bis 19 Uhr, Aula der GIBB, Lorrainestrasse 5, Bern.



Links
www.koelnerbox.de/architektur/rachel-architektur-projekt

Unterstütze das Projekt auf WeMakeIt: http://wemakeit.ch/projects/hier-baut-das-quartier

oder direkt: PC 61-274451-1

Kurzfilm zur Geschichte des Areals und zum Anfang des Projekts: https://vimeo.com/81798638

Kontakt: [email protected]
23. Dezember 2013
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