Mutabor: Märchenseminare für den Alltag

«Es braucht nicht nur Stimmen, die erzählen, sondern auch Herzen, die hören.» Mit diesen Worten bedankt sich Hasib Jaenike am Märchenabend im Hotel Möschberg beim Publikum. Er ist Hauptleiter eines zweijährigen Märchenerzähler-Seminars im Emmental, das an diesem Donnerstag im April seinen Abschluss findet. Zwölf Frauen und Männer erzählen Märchen aus aller Welt; lustige und traurige, rasante und besinnliche, moderne und traditionelle. Alle sprechen in ihrem Dialekt, nach ihrer Art, – da gehört ein energisches Kopfschütteln ebenso dazu wie unsicheres Zittern in der Stimme. «Es hilft sehr, wenn das Publikum offene Ohren für Märchen hat», findet die Teilnehmerin Margrit Ruch, die nicht zum ersten Mal öffentlich auftritt. «Ich habe das Üben in der Gruppe sehr genossen. Die Ausbildung hier ist gut, auch im Vergleich mit andern.»


«Ein Märchenerzähler ist kein Schauspieler», sagt Hasib. Wahrhaftigkeit sei wichtiger als Äusseres. «Die Erzählerinnen müssen zu Beginn nur den Wunsch und etwas Disziplin mitbringen.» An den Märchenwochenenden und in der Abschlusswoche lernen sie, ihre Art des Erzählens zu finden. «Wir wollen die Leute aber nicht auf die grosse Bühne vorbereiten.» Am liebsten sähe es Hasib, wenn in jedem Dorf Märchen erzählt würden, im kleinem Kreis, vor dem Kamin oder um das Lagerfeuer. «Wir wünschen uns, dass die Leute die Märchen an ihren Arbeitsplatz tragen und sie ihnen persönlich helfen.» Mit der Märchenstiftung Mutabor setzt Hasib sich für die Erhaltung und Verbreitung der Märchen ein. Unterstützt durch die UNESCO archiviert sie das Kulturerbe Märchen, veröffentlicht eine Zeitschrift und Bücher, organisiert Veranstaltungen und vermittelt Märchenerzähler. Der ausgebildete Psychologe setzt die Märchen auch therapeutisch ein. «Wir wollen aber keinen neuen Berufsstand 'Märchentherapeutin' erfinden.» Von ihrer Wirkung ist Hasib überzeugt: «Manche sagen, Märchen seien völlig irreal, sie seien Fluchtwelten. Für mich sind sie Weisheitsgeschichten.» Sie sind für ihn real wie ein Weizenkorn: Hasib verdient sein täglich Brot mit den Seminaren. Es war einmal ein Mann, der lebte von Märchen...



Weitere Informationen: www.mutabor.ch
10. Juni 2010
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