Wenn die Cannabis-Falle zuschnappt

Die Wucht von Cannabis wird massiv unterschätzt: Hochgezüchtete Sorten und harte Konsummuster einer immer jüngeren Klientel können dazu führen, dass insbesondere junge Männer phasenweise überhaupt nichts mehr geregelt kriegen. Was können Eltern tun?

Gesicht eines jungen Mannes im Profil, der einen Joint raucht
Up in smoke: Jugendliche Kiffer riskieren viel. (Bild: GRAS GRÜN on Unsplash)

Seit einigen Monaten arbeite ich als Pflegefachfrau auf einer psychiatrischen Akutstation, als Wiedereinsteigerin nach rund 30 Jahren Abwesenheit vom Beruf. Kiffende Patientinnen und Patienten gab es damals schon, aber nun fällt mir und anderen erfahrenen Pflegepersonen auf, dass deutlich mehr Menschen mit psychischen Problemen gewohnheitsmässig Cannabis konsumieren. Nicht selten ist bei jungen Patienten mit Psychose Cannabis im Spiel - doch man muss keine Veranlagung zur Psychose haben, um wegen der Droge Probleme zu bekommen.

In psychiatrischen Kliniken werden zunehmend junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren vorstellig, die keine Ausbildung verfolgen und nicht ins Berufsleben einsteigen. Nicht immer ist Cannabis der Grund, doch tatsächlich konsumieren etliche dieser Patienten gewohnheitsmässig Cannabis; manchmal kommen auch Amphetamine hinzu. Von «non-starters» ist die Rede; von Jugendlichen, die gar nicht erst in die Gänge kommen, und es sind in der Mehrzahl junge Männer. Viele von ihnen haben eine feste Freundin, und die heisst «Cannabis». Der Suchtexperte Helmut Kuntz schreibt über Mädchen und junge Frauen: «Sie machen in trauriger Regelmässigkeit die für sie wenig schmeichelhafte Erfahrung, dass sie für ihre kiffenden Freunde weniger wert sind als deren Lieblingsspielzeug Cannabis.» Liebe und Sexualität werden zu vernachlässigbaren Nebensächlichkeiten; die Glücksfähigkeit nimmt ab.

Die Verfügbarkeit von Haschisch und Marihuana ist nicht das Problem, ebenso wenig wie der massvolle Konsum. Über den medizinischen Nutzen von Cannabis, beispielsweise im Schmerzmanagement, wurde schon viel geschrieben, und gegen den einen oder anderen Joint ist gewiss nichts einzuwenden; manche Kreative schwören auf das inspirierende Potenzial der Droge. Das Problem sind die immer jünger werdenden Nutzer/innen, die mit der Droge nicht angemessen umgehen können.

Von den Jugendlichen hört man oft, Kiffen sei weniger schlimm als Saufen, und Cannabis sei letztlich ein Naturprodukt. Selbst Eltern trösten sich mit diesem Gedanken. Was viele nicht wissen: Der Gehalt an THC (Delta-9-Tetrahydrocannabinol) in Cannabis hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Der Wirkstoff greift in die Entwicklung des Gehirns ein und kann den Aufbau von Nervennetzwerken beeinträchtigen. Während nicht-kiffende Jugendliche während der Pubertät und in der Adoleszenz Fähigkeiten entwickeln und Erfahrungen machen, die sie brauchen, um ein selbstbestimmtes Leben und funktionierende Beziehungen zu führen, ziehen Kiffer an der Tüte und verbrutzeln sich das Gehirn - und laufen Gefahr, dass sie «falsch verkabelt» werden. Je jünger der Konsument und je härter die Konsumgewohnheiten, desto grösser das Risiko.

Und worin besteht jetzt genau das Risiko? Mögliche gesundheitliche Folgen wie Probleme der Lunge und der Atemwege, Schädigung der Spermienqualität bei Männern oder ein geschwächtes Immunsystem sind das eine. Weitaus schwerwiegender sind die psychischen und sozialen Probleme junger Kiffer/innen: mangelndes Durchhaltevermögen und geringe Frustrationstoleranz, Mangel an Orientierung und der Entwicklung von Perspektiven, gleichgültige oder verächtliche Haltung gegenüber alltäglichen Pflichten und den Konsequenzen bei Nichterfüllung. Ein Zuviel an Cannabis macht einfach nur noch «platt».

Cannabis ruiniert so manche Schulkarriere, und beruflich kriegen viele regelmässig kiffende Jugendliche auch nichts gebacken. Wer so richtig «drauf» ist, dem ist alles andere weitgehend wurscht: Schule, Ausbildung, Freunde, Liebe, Hobbys, persönliche Ziele - alles scheissegal. Der Freundeskreis beschränkt sich auf die, die ebenfalls kiffen. Und diese Kreise sind «aufnehmend»: Jeder ist willkommen; die gemeinsame Leidenschaft ist der Konsum von Cannabis. Ohne den macht das Zusammensein keinen Spass und erfüllt auch keinen Zweck. Die Droge ist der soziale Kitt; wer nicht (mehr) kifft, hat in dieser Runde nichts verloren. Er ist buchstäblich in einem anderen Bewusstseinszustand und kann nicht lachen über «cosmic jokes».

Was können Eltern tun, wenn sie merken, dass der Sohn oder die Tochter regelmässig kifft; mehr, als ihnen gut tut? Helmut Kuntz rät zu einer konsequenten, aber entspannten Haltung - und dazu, dass man unter allen Umständen versuchen soll, den Kontakt zu halten. Letztlich ist jede Sucht eine Beziehungskrankheit, und der letzte Schritt, Jugendliche vor die Tür zu setzen, sollte gut überlegt sein. Manchen hilft es, weil sie erst dann die Relevanz ihres Verhaltens erkennen. Andere fallen dann erst recht vom Karren. Letztlich ist es eine persönliche Entscheidung.

Wichtig ist: Eltern sollten sich über Cannabis informieren. Die Standard-Äusserung kiffender Jugendlicher lautet nämlich: «Mit meinen Eltern zu reden bringt überhaupt nichts. Die wissen doch gar nicht, was beim Kiffen abgeht oder was ich meine.» Gehen Sie als Eltern also ruhig einmal in einen Hanfladen, lesen Sie Bücher oder Berichte von Menschen, die als Therapeuten oder Betroffene Erfahrung mit der Droge haben, kaufen Sie eine Szenezeitschrift und machen Sie sich schlau. Mit Unsicherheit, Angst und Panik werden Sie dagegen nichts erreichen. Wenn sie ein Kind durch eine «Kifferkarriere» begleiten, machen Sie sich auf heftigste Gefühlsbäder gefasst. Es hilft, wenn Sie Bescheid wissen über die Eigengesetzlichkeiten der süchtigen Beziehungsstruktur. Die Bücher von Helmut Kuntz sind zu diesem Zweck empfehlenswert.

Was mich persönlich beschäftigt:

Klarheit ist die wichtigste maskuline Eigenschaft. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Selbstverständlich besitzen auch Frauen maskuline Eigenschaften, aber bei Männern sind sie im Idealfall dominanter. Im Umfeld meines jugendlichen Sohnes und auch bei der Arbeit in der Psychiatrie fällt mir auf, dass es tatsächlich überwiegend junge Männer sind, die sich mit Cannabis gewohnheitsmässig volldröhnen, ihr Potenzial brach liegen lassen und nichts von Bedeutung in die Welt bringen. Und ich frage mich, woran es liegt, dass heutzutage so viele junge Männer nicht mehr klar sehen wollen.

Den herrschenden, patriarchalen Eliten kann das nur recht sein. Wer sich ständig einnebelt und ausser Joints und Bongs nichts vom Leben will, wird die Welt nicht verändern.

Mehr dazu

- Haschisch. Konsum, Wirkung, Abhängigkeit, Selbshilfe, Therapie; von Helmut Kuntz
- Verstehen, was uns süchtig macht; von Helmut Kuntz
- Drogen & Sucht. Alles, was Sie wissen müssen; von Helmut Kuntz
- Quit the Shit; Online-Selbsthilfe für junge Kiffer/innen
- Wir brauchen mehr Beziehung; Artikel hier im Zeitpunkt vom 25. Dezember 2019

29. Dezember 2019
von: