Wohnen über und unter der Erde

Vom amerikanischen Höhlenbewohner und Nesthockern Schwedens

Der Mensch braucht nicht viel Platz. Tot, reicht ihm ein Sarg. Lebend, bräuchte er nicht viel mehr: Ein paar Quadratmeter. Eine Hütte und ein bisschen Auslauf. Die «Tiny House»-Bewegung zeigt seit einigen Jahren, was möglich ist, wenn mensch weniger Platz beansprucht. Die in den USA geborene Bewegung versucht das Motto «weniger ist mehr» in den Wohnraum zu zimmern.

Es gibt unzählige Blogs, Bücher, Videos und Gruppen, die einem helfen, dem Luftschloss des Eigenheims Wände und Böden zu verleihen. Die Bauherrinnen und Bewohner der kleinen Häuser haben vielen von uns etwas voraus. Sie meistern die Disziplin des Verzichts. Wobei «Verzicht» falsch ist: Sie wissen einfach, wann’s reicht. Unter den Erbauern der kleinen Häuser finden sich experimentierfreudige Architekten wie der Japaner Ryue Nishizawa; die engen Verhältnisse
japanischer Grossstädte beeinflussen seine Arbeit. Oder der Pionier der «Tiny House»-Bewegung, Jay Shafer; sein erstes Haus baute er auf Rädern.

Der Wunsch nach maximaler Raumnutzung beflügelt auch Fantasten, die ihr inneres Kind bewahrten: die Baumhausbauer. Zu ihnen gehören die Erbauer des «treehotel» im nördlichen Schweden. Der Wunsch «Besuchern ein einmaliges Erlebnis in der Wildnis zu ermöglichen», glückt mit einer handvoll schwebenden Waldhäuschen. «The nest» ist nur erkennbar, wenn man weiss, dass sich darin ein Hotelzimmer verbirgt, «the cabin» und «the firefly» hingegen sind auffällige Schönheiten, die zwischen Boden und Himmel hängen. Die auffälligste der Bauten – schwebend, silbern, oval, mit einer beleuchteten fast senkrechten Leiter – heisst «Ufo». Darin schlafen darf man für knapp 500 Franken.


Eine ganz andere Idee verfolgt der Schweizer Architekt Peter Vetsch. Er baut seit vierzig Jahren ökologische Häuser in den Boden. Seine erste Erdhügel-Höhle realisierte er 1978. In den kommenden vier Jahrzehnten sollten rund 50 weitere Erdhäuser entstehen. Im Winter braucht es weniger Heizung, im Sommer ist es nie schwül, und das Gefühl sei, als würde man in einer weiteren «Haut» leben, wie er sagt. Noch spektakulärer als die Hobbitkolonien des Schweizers, sind die Höhlen von Ra Paulette.
Der US-amerikanische Autodidakt hat in sorgfältiger Handarbeit lichtdurchflutete Kathedralen in die Wüste New Mexicos gegraben. Einzig von seinem Hund begleitet, buddelte er sich bis zu 12 Meter tief in den Boden. Den mit Schaufel und Spachtel behauenen Sandstein karrt er ins Freie, die Wände verziert er mit psychedelischen Ornamenten. Mehrere Jahre braucht er für eines seiner begehbaren Meisterwerke. Wirtschaftliche Interessen verfolgt er nicht, im Gegenteil: Er hofft, dass seine unterirdischen Räumlichkeiten einst für gemeinschaftliche Versammlungen oder einen heilsamen Rückzug genutzt werden. Über den ungewöhnlichen Mann und seine faszinierende Bauwerke hat Jeffrey Karoff den mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm «cavedigger» gedreht.    
Information und Inspiration:www.cavediggerdocumentary.comwww.erdhaus.chwww.treehotel.sewww.baumhaustraum.chPhilip Jodidio, Treehouses – Baumhäuser. 2012 Taschen, geb. S. 351 Fr. 69.90 / 50 €




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27. März 2016
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