Bastion der Friedensbewegten

So ohrenbetäubend, wie das derzeitige Kriegsgeheul ertönt, so willensstark demonstrierte die Friedensbewegung für die Schliessung der Airbase Ramstein, indem sie äussere und innere Friedensarbeit synergetisch zusammenführte.

Demonstration in Ramstein - Foto: Nicolas Riedl

Soll man Ram(m)stein stoppen? Würde man aktuell diese Frage Passanten auf der Strasse stellen, würden die meisten wohl an die Rockband Rammstein denken. Lediglich ein «M» mehr oder weniger ist sprachlich dafür entscheidend, ob es nun um eine Band oder um eine US-Airbase geht. Erstere steht im Verdacht, auf Aftershow-Partys Frauen misshandelt zu haben. Letztere ist erwiesenermassen an der millionenfachen Ermordung von Zivilisten beteiligt. Illegale und unprovozierte Angriffskriege des US-Imperiums im Nahen und Mittleren Osten samt der feigen Drohnenmorde wären ohne die grösste US-Airbase ausserhalb der USA unmöglich. 

So versammelten sich auch 2023 wieder etliche Friedensbewegte, um für die Schliessung der Airbase zu demonstrieren. In der Breite der Gesellschaft wird dieser seit Jahren anhaltende Kriegsskandal nicht einmal im Ansatz so ausführlich thematisiert wie der aktuelle Missbrauchsverdacht gegen Rammstein-Frontsänger Till Lindemann. 

Das zeigt abermals, wo die Gewichtung der «Leitmedien» liegt. Und wie ist es um die Friedensbewegung bestellt? Geht ihr die Luft aus? Oder nimmt sie durch das kriegsbesoffene Klima in Deutschland erst richtig an Fahrt auf? Wie ist die Stopp-Ramstein-Kampagne in der Postcoronazeit aufgestellt? Und beschränkt sich die Friedensarbeit in der Friedenswoche lediglich auf das Äussere oder gewinnt die Arbeit am Inneren zunehmend an Bedeutung? 

Betrachten wir das alljährlich stattfindende Friedenscamp von Stopp-Ramstein aus der Perspektive eines Angestellten der US-Airbase. Dieser kennt mittlerweile den Anblick der Sommer für Sommer wiederkehrenden Friedensaktivisten. Ist es denkbar, dass dieser Angestellte um seinen Job fürchtet, angesichts der vielen Plakate und Rufe, die die Schliessung der Airbase fordern? Wohl kaum. Denn knapp 360 Tage des Jahres findet der mörderische Betrieb des US-militärischen Dreh- und Angelpunktes in Abwesenheit der Gegendemonstranten statt.

 

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Ein Bediensteter der US-Military-Police steigt inmitten von Friedensdemonstranten in seinen Chevrolet-Impala-Dienstwagen.

Auf lokalpolitischer Ebene ist eine Schliessung sowieso nicht tragfähig. Viele Menschen in der Region um Ramstein sind ob der vielen Arbeitsplätze von der Airbase abhängig. Und Washington würde die einseitige Aufkündigung der Airbase-Nutzung durch Deutschland wohl kaum hinnehmen.

Die Karten für eine Schliessung von Ramstein sind schon arg schlecht. Dennoch versammeln sich Jahr für Jahr tausende Friedensbewegte aus ganz Deutschland in der Nähe der Airbase. Was veranlasst diese Menschen der schlechten Aussichten zum Trotz, dem Friedenscamp und der Gegendemo beizuwohnen?

 

Achillessehne des Krieges

Gründe, um sich für die Schliessung der Airbase einzusetzen, gibt es reichlich und sie mehren sich auch mit der Zeit. In der Friedensbewegung gehört es zum Allgemeinwissen, dass die Airbase für die US-Armee den grössten und damit vollkommen unentbehrlichen Dreh- und Angelpunkt ausserhalb des US-Gebietes darstellt. Ohne Ramstein wären Kriege im Nahen und Mittleren Osten vollkommen unmöglich. Auch werden über Ramstein die illegalen Drohnenmorde koordiniert. Für die Steuerung der US-Drohnen im Nahen und Mittleren Osten bedarf es der Zwischenschaltstelle in der Pfalz, aufgrund der Erdkrümmung. Die Betonung liegt dabei auf Krümmung. Von wegen, hier würde sich die Friedensbewegung der Verschwörungsideologen versammeln.

Darüber hinaus ist die gesamte Airbase eine konstante Umweltkatastrophe. Ganz gleich, ob man sich nun zum Team Klimawandel oder Umweltschutz — oder auch zu beidem — zurechnet; der Stützpunkt führt dem Boden, den Pflanzen, dem Grundwasser und der Luft massiven Schaden zu.

Giftiger Löschschaum, Kerosinablass, Fluglärm und Abgase tun das ihrige, um das Ökosystem in der Pfalz massiv und nachhaltig zu schädigen. Von den einschlägig bekannten Aktivisten der Klimabewegung zeigte sich indes niemand vor Ort, entsprechend klebte sich auch niemand auf die Zufahrtsstrasse zur Airbase.

Seit 2022 kommt als weiterer Grund verschärfend hinzu, dass im Zuge der sich immer weiter hochschaukelnden Eskalationen zwischen Ost und West die Airbase im Falle eines — nuklearen — Angriffs Russlands eines der ersten Angriffsziele darstellen würde. Die wunderschöne Pfalz würde bei einer NATO-Konfrontation mit Russland mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dramatisch Schaden nehmen, wenn nicht gar zu grossen Teilen zerstört werden.

Vor diesem Hintergrund war es dann doch erstaunlich, dass sich gerade einmal 1.500 Menschen zusammenfanden, um für die Schliessung der Airbase zu demonstrieren. Noch erstaunlicher war das erstmalige Zustandekommen einer Gegendemo. Aber der Reihe nach.

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Stopp-Ramstein 2023

Der grossen Demonstration vor den Toren der Airbase am 24. Juni 2023 war — wie in den Jahren zuvor — ein einwöchiges Friedenscamp auf einer Wiese im benachbarten Steinwenden vorausgegangen. Die Fake-Pandemie hatte in verschiedener Hinsicht auch dort ihre Spuren hinterlassen. Wie mir erzählt wurde, sei ein Teil des Organisationsteams aufgrund von Meinungsverschiedenheiten beim Thema Corona weggebrochen. Als 2022 noch einige Besucher freiwillig mit Maske durch das Camp gelaufen seien, wäre diesen mit Respekt begegnet worden. Eine Spaltung zwischen den Demonstranten habe es 2022 nicht gegeben.

Wenn der Coronafaschismus zumindest irgendetwas Positives gebracht hat, dann in Form der sich merklich verbesserten Hygienezustände im Friedenscamp. Neben den Dixitoiletten befand sich je Reihe ein grosser Wasserkanister mit Wasserhahn samt Seifenspender. Man muss wohl kein Hypochonder sein, um diesen Ausbau des Hygienestandards zu begrüssen. Spätestens am letzten Tag sind wohl alle — egal ob Team Lauterbach oder Team Lanka — im Ekel vor Dixitoiletten geeint.

Vom Camp aus startete am Vormittag des 24. Juni 2023 der Demozug durch die Orte Steinwenden, Ramstein-Miesenbach bis hin zur Zufahrtsstrasse. Der Demozug war bunt gemischt und alle verhielten sich friedfertig. Über der Menschenmenge bildete sich ein Wald aus verschiedenen Friedensfahnen, frei von Länderflaggen.

Die Wetterlage entsprach dem, was man früher als «Sommer» bezeichnete: strahlender Sonnenschein bei Temperaturen knapp um die 30 Grad. Dieser Tage wird angesichts sommerlicher Temperaturen staatlicherseits versucht, eine Hitze-Panik zu erzeugen. Entsprechend gab es diesjährig — andernfalls wäre die Doppelbödigkeit zu offensichtlich — keine Auflagen bezüglich der zulässigen Wasserflaschenfüllmenge wie noch 2019, als die Demoteilnehmer per behördlicher Verordnung lediglich eine 0,5-Liter-Wasserflasche mit sich führen durften.

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An der Zufahrtsstrasse zur Airbase, knapp einen Kilometer vor dem Checkpoint, war eine Bühne errichtet worden. Dort sprach unter anderem Ekkhard Sieker — ehemaliger Mitarbeiter von «Die Anstalt» — und traditionsgemäss Oskar Lafontaine. Rapper Äon und Kilez More gaben dort einen musikalischen Vorgeschmack dessen, was die Friedensbewegten am Abend im Camp erwarten würde.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Stopp-Ramstein-Kampagne gab es eine Gegendemo. Knapp 25 junge Menschen hatten sich auf der den Demonstranten gegenüberliegenden Seite versammelt und eine ganz und gar eigenartige Allianz — um nicht zu sagen eine «Querfront» — gebildet. Allein die Beflaggung wirkte skurril: Antiverschwurbelte Aktion, EU-Fahne, Juso-Logo auf Farben des Pride-Months, direkt gefolgt vom Stolzmonat — also einer Deutschlandfahne —, dann eine Fahne der USA, ein Banner der Jungen Liberalen und am Ende ein Pappschild mit «Stand with Ukraine» in ukrainisch-blau-goldenen Lettern.

 

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Die erste Gegendemo zu Stopp-Ramstein in der Geschichte der Kampagne bestand aus einer wild zusammengewürfelten Allianz.

Daran ist Mehreres bemerkenswert: Die Stopp-Ramstein-Bewegung wird — wie jede andere regierungskritische Bewegung dieser Tage — in die rechte Ecke verortet. Insofern ist es doch erstaunlich, dass es in Sachen der Nationalfahnen zwischen beiden Demonstrationen 0:3 stand, beziehungsweise 0:4, wenn die EU-Fahne noch dazugerechnet wird. Und ist es nicht erstaunlich, dass ein so breites Bündnis aus Jusos, Junge Union, Junge Liberale, Grüne Jugend und das Jugendparlament Kaiserslautern gerade einmal zwei Dutzend Menschen — also weniger als fünf Menschen pro Organisation — mobilisieren kann?

 

Blosser Symbolprotest ohne Wirkung?

Warum kommen die Menschen Jahr für Jahr — mal abgesehen von 2020 — in diesen entlegenen Teil von Deutschland, um für die Schliessung der Airbase zu demonstrieren? Die Erfolgschancen ihrer Aktion wurden weiter oben bereits skizziert. Was treibt die Menschen also an?

Eine mögliche Antwort fand sich am Abend dieses ereignisreichen Tages. Die Rapper Äon und Kilez More rissen — man kann es nicht anders ausdrücken — regelrecht die Bühne ab und schufen für einige Stunden einen Raum, in welchem ein Gemeinschaftsgefühl aufkam, das man in der gespaltenen Gesellschaft kaum noch findet. Sie demonstrierten durch ihre Präsenz und Nahbarkeit, was ein Konzert eigentlich ist. Vergessen wir nicht, was sich vor wenigen Jahren noch ein Konzert schimpfte: Wenn — maskierte — Menschen isoliert auf Stühlen oder in abgrenzenden Boxen sassen und regungslos einem Künstler auf der Bühne lauschten. Nichts davon sah man bei den Konzerten der beiden. Die MCs (Master of Ceremony) nahmen die Menge mit und performten am Ende ihre Tracks sogar inmitten der Zuhörer. Einige Zuschauer riefen spasseshalber «Maske auf!», um den Irrsinn der letzten Jahre zu persiflieren.

Doch die eigentliche Antwort auf die obige Frage lag in den Pausen zwischen den Songs bei Äon‘s Soloauftritt, mit denen er sich direkt an die Versammelten wandte. Diese «Ansprachen» drehten sich sehr viel um die erlittenen Verletzungen der vergangenen Jahre, das Verhältnis vom Ego zum Eins-Sein und um Innen- und Schattenarbeit. Und es ist genau diese — nennen wir sie mal «Herzensbildung» —, um die es im Kern geht. In dem Friedenscamp wurden in genau solchen Momenten die Impulse und Informationen «ins Feld gegeben», derer es bedarf, um zuerst den Frieden im Inneren zu entwickeln, sodass dieser sich letztlich auch im Aussen manifestieren kann.

Diese Komponente hatte in der alten Normalität noch zu sehr gefehlt. Das Ganze war zu einseitig auf das Aussen fokussiert. Entsprechend abgehalftert wirkte beispielsweise Stopp-Ramstein im Jahr 2019. Der Frust war spürbar, da sich keinerlei äussere Erfolge verzeichnen liessen. 

Zugleich war der Leidensdruck in der alten Normalität noch nicht gross genug. Irgendwie war das «normale Leben» noch irgendwie so erträglich, dass der Veränderungswille nicht den nötigen «Drive» hatte. Nach den Coronajahren und der nun beispiellosen Kriegspropaganda sowie den jetzt schon spürbaren Kriegsfolgen stellt sich die Sache ganz anders dar. Die Schatten sind dunkler geworden und entsprechend sichtbarer werden die Lichter, etwa in Gestalt dieses Friedenscamps.

Es scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass die innere und äussere Friedensarbeit einander nicht ausschliessen, sondern sich wechselseitig bedingen. Entscheidend ist in erster Linie nicht, was in Ramstein — nicht — geschieht, sondern, was wir von Ramstein mitnehmen. Die «Friedensenergie», die in dem Camp — massgeblich durch die Musiker — evoziert und in die Menschen gepflanzt wurde, wird von diesen wie ein Virus in die Welt hinausgetragen.

Dass Menschen jährlich für diesen Protest bis nach Ramstein fahren, ist sowieso schon allegorisch für eine Schattenarbeit. Schliesslich könnte man die Demo auch zentral, bequem und für alle gut erreichbar in Berlin, im Licht der Öffentlichkeit abhalten. Doch stattdessen gehen die Friedensbewegten genau an diese Schattenstelle des Landes, in die schöne Pfalz, in der die Airbase die malerische Landschaft wie eine Narbe durchzieht. Jeder Mord, der über diese Airbase begangen wird, ist ein weiterer Tropfen Eiter, der aus dieser Narbe quillt.

In der Hook (dem Refrain) von «Heal the World» formuliert es Äon punktgenau:

Heal the World — Die Heilung beginnt in uns drin
Was heute aussen ist, war früher mal innen
Wir sind alle miteinander nur Wellen, die schwing'
Die Frequenz ‚Mensch‘ — göttlicher Funke, der überspringt!

 

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Mehr über den Autor, Nicolas Riedl