... die keine Stimme haben

Was machen diejenigen, die keine Stimme mehr haben? Die sehen, dass vieles in eine Richtung läuft, die sie nicht als eine sehen, die ihren Interessen entspräche?

©Alex Ivashenko / unsplash
Denen nur täglich auf allen Kanälen erklärt wird, dass die Welt zu komplex sei, als dass sie sie noch verstehen könnten? Die allerdings nicht so borniert sind, als dass sie nicht erkennen könnten, dass da Mächte am Werk sind, die von Menschen gemacht sind und entgegen ihren Interessen wirken? 
 

Bei ihnen brodelt es, und zwar gewaltig. Zuweilen sind sie eingeschüchtert, weil sie wissen, wenn sie ihren Unmut artikulieren, dann stehen sie gleich in einer Ecke, in die sie gar nicht wollen und die sie nicht suchen. Sie sind keine Rechtsradikalen, sie sind keine Verschwörer und sie sind keine Freunde dunkler Mächte. Was sie merken, ist, dass sie nicht gefragt werden, was den grossen Umbruch betrifft, dass ihre Stimme nicht zählt und dass diejenigen, die aktiv die Politik gestalten, ihre Interessen gar nicht mehr auf dem Schirm haben.

Sie stehen auf der Straße, sie treffen ihresgleichen und sie reden über das, was gerade passiert. Es wäre zu wünschen, dass ihre Stimme gehört würde. Wer sich die Mühe macht, kann sie hören, kann nur gewinnen. Denn dumm ist das nicht, was sie von sich geben. Sie sehen, dass Gewaltiges im Gange ist, sie sehen, wer in wessen Interesse handelt und sie wissen, dass sie dabei keine Rolle spielen. Und sie sehen, und das ist eine Erkenntnis, die den Handelnden abgeht, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. 

Die politischen Parteien haben sich von ihnen verabschiedet. Es gibt Evidenzen, die ihnen nicht verborgen bleiben. Da werden Branchen gerettet, die nicht, wie es so verschleiernd heisst, systemrelevant sind. Da gehen Arbeitsplätze verloren, die etwas zu tun haben mit gesellschaftlicher Identität. Da werden Milliarden öffentlicher Mittel verausgabt, um Besitzstände zu wahren und für das, was aus ihrer Sicht tatsächlich systemrelevant ist, gibt es keine Mittel. An die Ursachen geht niemand, eine regulierende, die Aktion blockierende und den Status quo konservierende Bürokratie wird hingegen ausgebaut. An die Belange derer, die unter den Restriktionen am meisten leiden, wird nicht gedacht.

Und allen, die es in ihren armseligen Behausungen nicht mehr hält, droht die Staatsgewalt. Nicht, dass es die Organe wären, die dann auf die Agenda gerufen werden, nein, es ist die politische Administration, die sich nicht darum schert und die eine Entscheidung nach der anderen fällt, die unter der Maxime steht, auf Sicht zu fahren. 

Und dann das, was als die grosse Errungenschaft immer wieder, und zumeist von sich selbst gepriesen wird, die öffentlich-rechtlichen Medien: Sie orgeln täglich das Mantra der Alternativlosigkeit zu der bestehenden Politik herunter und sie wiederholen bis zum Erbrechen die Verachtung derer, die gegenwärtig abgehängt werden. Die Dürftigkeit, auf die sie ihren eigenen Berufsethos heruntergewirtschaftet haben, fällt täglich von neuem auf. Man mache sich nichts vor, das Porzellan ist zerschlagen. Wer zu spät kommt, ja, das Wort ist und war historisch, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Diejenigen, die keine Stimme mehr haben, sie werden sich noch melden. Und sie werden in einer Art und Weise die Rechnung präsentieren, die wenigen schmecken wird. Und sie werden sich in ihrer ganzen Wut denen zuwenden, die vielleicht eine ganz andere Agenda haben. Das wäre fatal, aber nicht überraschend. Denen, die jetzt so sehr von sich überzeugt sind, wird auch das keine neuen Horizonte öffnen. Sie haben nicht gehört, als sie hätten hören sollen. Und sie haben nicht begriffen, als sie es noch hätten können. 

Dieser Artikel erschien zuerst bei form7. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.
 
07. Januar 2021
von: