Aktuelle Forschungsergebnisse weisen erneut auf «Jojo» Effekt nach Absetzen der «Fettwegspritze» hin.
«Essen ist Ausdruck der sozialen Natur von uns Menschen und wenn wir diese soziale Natur bei der Begegnung der Adipositas nicht berücksichtigen, werden wir scheitern.»
Gemeinsam essen bringt unsre Bindungshormone in Fluss. Foto: Unsplash
Gemeinsam essen bringt unsre Bindungshormone in Fluss. Foto: Unsplash

Am 31. März dieses Jahres publizierte ich auf meiner Website einen Beitrag „Als dem Essen die soziale Mitte verloren ging – kam die Fettwegspritze.“ Ich möchte anregen, dass Sie diesen Beitrag nochmals durchlesen. (Als dem Essen die soziale Mitte verloren ging – kam die Fettwegspritze — Wyler van Laak)
Am 11. Juni dieses Jahres habe ich dem deutschen Rundfunksender Contrafunk ein Interview zu diesem Thema gegeben: Interview Link.


Im Jahre 2020 waren geschätzt 2.2 Billionen Erwachsene weltweit übergewichtig oder adipös, und es wird vorausgesagt, dass diese Anzahl bis zum Jahre 2035 auf 3.3 Billionen ansteigt.(1) Diese Zahl kontrastiert mit der Tatsache, dass sich 2.8 Milliarden Menschen keine gesunde Nahrung leisten können.(2) Wir sehen hier unschwer, dass etwas mit dem sozialen Gleichgewicht nicht stimmen kann. 

Während auf der einen Seite Milliarden Menschen sich gesunde Ernährung nicht leisten können, werden auf der anderen Seite Menschen mit allerlei Werbemassnahmen, Tricks und Tipps «gemästet». Es wäre wohl genug für alle da, wären da nicht die Kriege und die Jagd nach Profit, welche in einer Welt, die heute genügend zivilisatorische Grundlage haben könnte, das soziale Zusammenleben überschatten. 

Viele Menschen, die durch «Verführung» gemästet wurden, gemeinsam mit der Vernachlässigung der unverzichtbaren sozialen Komponente des Essens, des gemeinsamen Essens in Ruhe, welches unsere Bindungshormone in Fluss bringen kann, leiden sehr unter ihrem Übergewicht; dies abgesehen von den damit verbundenen Risiken für die Lebenserwartung. Mit einem massiven Propagandaaufwand wurde diesen Menschen in den vergangenen Jahren die sogenannte «Fettwegspritze» (Semaglutide GLP-1 RA’s) empfohlen. Bereits im Jahre 2022 und 2024 deuteten verschiedene Forschungsergebnisse daraufhin, dass nach dem nach spätestens zwei Jahren empfohlenen Absetzen der «Fettwegspritze» das Gewicht wieder in die Höhe schnellt, selbst wenn die Betreffenden sich an sogenannte «Lebensstiländerungen» (was immer das heissen mag) halten. (3/4)

Nun hat eine weitere Studie aus Peking (Volksrepublik China) breit Furore gemacht. Han Wu et al. untersuchten die Langzeiteffekte von Antiobesitas Medikamenten auf das Körpergewicht und die Gewichtsveränderung nach Absetzen derselben. Eine kurze und leicht verständliche Zusammenfassung der Studie bietet ein 1 ½ minütiges Video vom 25. Juli 2025 des Mitteldeutschen Rundfunks/MDR Wissen. (Ernüchterung bei Abnehmspritzen: Ozempic, Wegovy oder Mounjaro helfen nicht gegen den Jo-Jo-Effekt | MDR.DE)

Die Ergebnisse sind unzweideutig. Bei sämtlichen Antiobesitas Medikamenten, einschliesslich der mit Furore propagierten GLP-1 RA's/Semaglutide schnellte das Gewicht im Laufe des darauffolgenden Jahres nach Absetzen des Medikaments wieder in die Höhe. Die Ursachen sind unklar. Eine Hypothese ist, dass der Körper sich im Laufe der Medikation an einen niederigeren Energieverbrauch gewöhnt hat. Das bedeutet, es braucht weniger Nahrung um wieder zuzunehmen als vor der Behandlung. Andere bereits vorgenannten Autoren fanden Belege dafür, dass das Zentralnervensystem nicht gelernt hat entsprechende Regulationen ohne das Medikament vorzunehmen. In der Tat scheinen die zentralnervösen Aspekte entscheidender als angenommen. Han Wu et al. weisen auch daraufhin, dass hier die Zusammenhänge noch zu wenig erforscht sind.

Ich habe in meinem Beitrag vom März auf verschiedene wissenschaftliche Publikationen aufmerksam gemacht, die den Effekt der Semaglutide auf das zentrale Nervensystem und auf zahlreiche «Beziehungsregulatoren» untersucht haben. Die neuste Untersuchung von Han Wu et al. bestätigt nochmals mit Nachdruck, dass es nicht Aufgabe der Ärzte sein kann, die anspruchsvollen sozio-emotionalen Aspekte, die mit der Behandlung von Adipositas verbunden sein können, zu ignorieren und von Pharmafirmen und Social Media genährte Hoffnungen ohne ausreichenden wissenschaftlichen Fundus aufzunehmen. Dies birgt das Risiko, dass Ärzte und Ärztinnen sich eher in den Dienst von Werbung und Propaganda stellen als in den Dienst der ärztlichen Grundlagen. 

Sollte eine begleitende medikamentöse Behandlung der Adipositas gerechtfertigt erscheinen, muss dies m.E. zwingend begleitet werden von einer je nach Indikation problemorientierten Gruppen- oder Einzelbehandlung, eine Behandlungsform, die Ende der 80er Jahre und in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts z.Bsp. von Perri Michael et al. (5/6) mit gutem Erfolg eingeführt worden war. Die Weiterentwicklung wurde jedoch in den folgenden Jahrzehnten vernachlässigt zugunsten einer meines Erachtens nicht gerechtfertigten Fokussierung auf chirurgische und pharmakologische Lösungen, die oft an der Natur der Adipositaserkrankung vorbeigehen. 

An dieser Stelle möchte ich wiederholen, worauf ich bereits im März dieses Jahres aufmerksam gemacht habe. Wenn wir «die soziale Natur des Menschen bei der Begegnung der Adipositas nicht berücksichtigen, werden wir scheitern.» Wenngleich die Autoren Han Wu et al. deutlich machen, dass es weitere und differenziertere Forschung braucht, erscheinen die ersten Ergebnisse im Hinblick auf den Langzeiteffekt nach Absetzen von Antiobesity Medikation in eine eindeutige Richtung zu weisen. Die Medikation ersetzt mittel- bis langfristig nicht die edukative sowie soziale und emotionale Arbeit, gemeinsam mit dem von Adipositas betroffenen Menschen.
 



1 Han Wu et al.; «Trajectory of the body weight after drug discontinuation in the treatment of anti-obesity medications»; BMC Medicine 2025; 23:398 https://doi.org/10.1186/s12916-025-04200-0.
2 Welthungerhilfe Website.
3 Ibrahim Abdullah bin Ahmed; „A comprehensive Review on Weight Gain following Discontinuation of Glucagon-Like Peptide-1 Receptor Agonists for Obesiety“. Hindawi Journal of Obesity Volume 2024; Article ID 8056440, 8 Seiten.
4 Wilding P.H. John et al.; „Weight regain and cardiometabiolic effects after withdrawal of semaglutide: The STEP 1 trial extension“. Diabetes Obes. Metab. 2022:24, S. 1553-1564.
5 Perri Michael G. et al.; „Effects of Four Maintainence Programs on the Long-Term Management of Obesity“; Journal of Consulting and Clinincal Psychology; 1988 Vol. 56 Nr. 4; S. 529-534.
6 Perri Michael G. et al; „Relapse Prevention Training and Problem-Solving Therapy in the Long-Term Management of Obesity; Journal of Consulting and Clinical Psychology; 2001 Vol. 69; Nr. 4; S. 722-726.

Dr. med. Catja Wyler van Laak

Dr. med. Catja Wyler van Laak

Spezialärztin FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, Schwerpunkt für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie FMH, zert. forensische Psychiaterin.

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