Arbeit Fair Teilen

Jeder sollte arbeiten (können) – dafür aber weniger Stunden. Zwischen dem „Recht auf Faulheit“ und der Überforderung durch Arbeitszwang sucht das globalisierungskritische Netzwerk attac einen gesunden Mittelweg. Roland Rottenfußer besuchte eine Diskussionsveranstaltung zum Thema.

14 Besucher kamen zu einer Veranstaltung mit Sue Dürr, der unermüdlichen Grande Dame von attac München, Gründungsmitglied der Bewegung und Frau des berühmten Physikers Hans-Peter Dürr. 14 Besucher/innen, das ist relativ viel, gilt doch der Landkreis Weilheim nicht gerade als Speerspitze eines neuen Bewusstseins. Wir neun Stammmitglieder der attac-Gruppe sind es eher gewohnt, unter uns zu bleiben und vor bereits Bekehrten zu predigen. Dass sowohl die Quantität als auch die Qualität der Beiträge bei dieser Veranstaltung hoch waren, lag wohl auch am Thema, das keinen unberührt lässt.




Die Probleme sind bekannt und reichen tief: Mehrarbeit, Stress und Burnout bei „Arbeitsplatzbesitzern“, erzwungene Null-Stunden-Woche bei den Arbeitslosen. Die Diskriminierung und Ausgrenzung der „Überflüssigen“ wächst in dem Maße, wie die Kontrolle des Einzelne über sein Schicksal schrumpft. Ist doch, wie Sue Dürr darlegt, die Produktivität der deutschen Wirtschaft seit 1975 um 25 Prozent gewachsen. Das heißt dieselbe Menge an Waren und Dienstleistungen kann mit drei Vierteln der Arbeitskräfte erbracht werden.




Was geschieht also mit dem nicht mehr benötigten „vierten Mann“ bzw. der „vierten Frau“? Zunächst mal wird er/sie als Schmarotzer beschimpft. Es wird – wie heute der linken Presse zu entnehmen war – „Arbeitszwang durch Aushungern“ betrieben. „Eigenverantwortung“ – dieser Begriff steht hoch im Kurs und markiert den Verfall von Solidarität, der Verantwortung füreinander, die eine Gemeinschaft trägt. Wie im Spiel „Reise nach Jerusalem“ bedeutet mehr Anstrengung, einen Stuhl zu ergattern, dass die Rolle des Verlierers auf eine andere Person verschoben wird. Das Problem ist, dass zu wenig Stühle da sind. Wie schaffen wir es, dass keiner zum Verlierer werden muss?




Die übliche Antwort der etablierten Politik ist „mehr Wachstum“. Dies aber ist eine zweischneidige Sache. Zwar gibt es Bereiche, in denen Wachstum wünschenswert wäre – ein attac-Mitglied nannte den Begriff „Qualitatives Wachstum“: mehr Arbeitskraft für die sozialen Dienst z.B., bescheidener Luxus für diejenigen, die heute jeden Cent umdrehen müssen. Andererseits belastet Wachstum nicht nur die Umwelt, es ist auch teilweise in sich absurd. Denn in einer Welt, in der das wirklich Wichtige für fast jeden zugänglich ist, besteht die Gefahr, dass Wachstum vor allem durch das Unnütze und Schädliche generiert wird. Waffen, unnötige Bürokratie und entbehrlicher technischer Schnickschnack zum Beispiel. Mit einem Mehr an Marketing und Werbung werden die Menschen dann so lange manipuliert, bis sie all jene unsinnigen Produkte wollen, die sie wollen sollen.




Sue Dürrs Antwort auf das Dilemma der modernen Arbeit (und die Antwort der Attac-Arbeitsgruppe Arbeit Fair Teilen) heißt: (Weniger) Arbeit für alle. Sie zeichnet zwei Grafiken an die Tafel: Grafik 1: Ein innerer Kreis der Arbeitsplatzbesitzer, umgeben von einem äußeren Ring der Arbeitslosen. Zwischen beiden Bereichen eine unüberwindliche Mauer. Grafik 2: Kreissegmente symbolisieren den einzelnen Bürger. Der Trennstrich zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit geht aber durch jedes dieser Segmente. Anders gesagt: Jeder ist ein bisschen arbeitslos, aber keiner ist es so richtig. Teilzeit heißt das Zauberwort, und der Vorschlag von attac lautet: die 30-Stunden-Woche als Richtwert. Das würde bedeuten: mehr Zeit für sich, mehr Zeit für Kinder und Familie, mehr Zeit für soziales Engagement. (Kaum jemand während der Veranstaltung traute sich zu sagen, dass es auch mal ganz schön ist, nichts zu tun.)




Solche Vorschläge scheitern leider in der Praxis meist an einer unheiligen Allianz zwischen Arbeitgebern und Arbeitsplatzbesitzern. Letztere fürchten Statusverlust und vor allem weniger Einkommen. Verständlich, denn 30- statt 40-Stunden-Woche – bedeutet das nicht, auf ein Viertel seines Lohns zu verzichten? Nicht unbedingt. Für Menschen mit hohen Einkommen (z.B. kinderlose Doppelverdiener) sieht die attac-Broschüre „Arbeit Fair Teilen“ tatsächlich einen Einkommensverzicht, verbunden mit mehr Freizeit, vor. Geringverdiener und Unterhaltspflichtige könnten jedoch durch Lohnzuschüsse unterstützt werden. Dies könnte sich der Staat leisten, wenn er gleichzeitig weniger für die Finanzierung von Arbeitslosigkeit ausgeben müsste, so attac.




Leider ist es um die Solidarität derer, die „drin“ sind (im Boot des Erwerbssystems) mit denen, die draußen sind, nicht gut bestellt. Zu wenige besitzen den Weitblick, die Gesundheit des ganzen Systems im Auge zu behalten. Der Arbeitlose, der Hartz-IV-Empfänger ist kein Angehöriger einer fremden Spezies, es ist gleichsam unser „Schatten“, das was wir selbst bald schon sein könnten. Das Unglück dieses „Anderen“ dient den Konzernen als Erpressungspotenzial. Weil ich nicht so werden will wie „der da“, bin ich bereit, auch schlechte Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Ebenso dient mein Image als dienstbeflissener, unermüdlicher Arbeiter als Vergleichsmaßstab, um den „Anderen“ abzuwerten. So lassen wir uns von interessierter Seite permanent sowohl hetzen als auch gegeneinander auf-hetzen. Gelassenheit, ein angstfreies Leben in sozialer Geborgenheit, ein gesunder Ausgleich zwischen Arbeitsfreude und dem Genuss des Müßiggangs – ein solches Lebensgefühl ist heute vom Aussterben bedroht.




Zeigt das attac-Modell also einen Ausweg auf? Die Richtung jedenfalls stimmt, manches ist lediglich in den Veröffentlichungen noch nicht präzise ausgearbeitet. (Und es konnte bei unserer kleinen Weilheimer Veranstaltung natürlich auch nicht ausdiskutiert werden.) Sue Dürr hat in einer ihrer Schaugrafiken ein Dreimaßnahmen-Paket vorgestellt: 1. Arbeitszeitverkürzung, 2. Mindestlohn, 3. „Existenzsicherndes, schnüffelfreies Grundeinkommen“ (so wörtlich). Punkt 2 ist wichtig, um der Arbeitnehmerseite die Angst vor Punkt 1 und Punkt 3 zu nehmen. Egal, wie jemand seine Existenz sichert, durch Lohnzuschüsse, eine Erbschaft oder ein Bedingungsloses Grundeinkommen – eine zu geringer Stundenlohn ist an sich entwürdigend. Lohndrücker dürfen sich nicht darauf rausreden können, dass der Betreffende ja auch so irgendwie existieren kann. Was das Grundeinkommen betrifft, so ist es ein eigenes Themenfeld, das weder von den attac-Publikationen noch von Sue Dürr vertieft wurde.




Was für mein Gefühl bisher zu kurz kam, ist die Frage nach dem Sinn der Arbeit (bzw. der durch Arbeit hergestellten Produkte und Dienstleistungen). Sind Arbeitsplätze in der Zigaretten-Industrie immer eine gute Sache, obwohl die dort hergestellten Produkte Tausende von Menschen krank machen? In diese Richtung könnte und müsste sich die derzeitige Diskussion bei attac m.E. noch ausweiten. Ebenso sollte die Problematik der wachsenden Vermögen und die Zinsdynamik in ihrer vollen Tragweite erkannt werden. Denn „Es ist kein Geld“ da bedeutet aus dem Mund von Politikern immer: „Es ist in den Händen von wenigen gebunkert, und wir haben nicht den Mut, es von ihnen zurückzufordern.“ Wir können in den Gruppen noch so viele kreative, ja begeisternde Ideen entwerfen – alles, was Geld kostet (und das ist fast alles), wird am „Finanzierungsvorbehalt“ scheitern. Die Verarmung der öffentlichen und privaten Haushalte ist der „strategische Hebel“ (Albrecht Müller), mit dessen Hilfe eine kleine „Elite“ immer mehr Macht über die Gesellschaft ausübt.




Ermutigend waren auf jeden Fall das wie immer ansteckende Engagement von Sue Dürr und die Beiträge der Teilnehmer, die – überwiegend wohl „Arbeitsplatzbesitzer“ – durchaus offen waren für die Idee, Arbeit fairer mit anderen zu teilen.





Link zur Arbeitsgruppe Arbeit Fair Teilen:


http://www.attac-netzwerk.de/ag-arbeitfairteilen