Ganz musste es sein

Es gibt Momente, die vergisst man nie, auch wenn sie ganz gewöhnlich sind. Walter Messmer sass neben mir, es war im Frühling 1985 irgendwo im Emmental an einem Treffen des «Swiss Business Network». Das war ein bunter Haufen unternehmerischer Menschen mit der Überzeugung, dass in der Wirtschaft neben Geld auch Geist eine Rolle spielen sollte. Walter, als studierter Kulturingenieur und Ökonom damals verantwortlich für die Kaderausbildung einer Schweizer Grossbank sass also neben mir in der Runde und sprach die Worte, die ich nie mehr vergessen sollte: «Ich habe genug von einem Leben A und einem Leben B. Ich will nur noch ein Leben.» Zwar genoss er in seiner Funktion die Freiheiten eines Hofnarrs, aber eben doch ohne eigenen Hof. Dann erzählte er von der Fattoria in der Toscana, die er gekauft hatte und mit seiner Frau Margrit und Bruder Roland in einen Ferienbauernhof verwandeln wollte. «Schon wieder einer, den die Schweiz so gut gebrauchen könnte, der geht», dachte ich mir. Zwei Jahre später verbrachte ich mit meiner Familie unvergessliche Ferien auf La Ripa und lernte Walter als Menschen kennen, der im Leben zupackt und sich auch von ihm packen lässt – ein grossartiger Geschichtenerzähler, dessen Leben selber eine wunderbare Geschichte ist. Etliche tausend Menschen dürften es sein, die in dieser Geschichte ein Gastspiel gaben, zuerst in La Ripa, dann in Le Canne und in seinem Agriparco in der Nähe von Livorno.

Vor kurzem kehrte Walter ins heimatliche Rheintal zurück. In seiner beseelten Sturheit wollte er mit zwei seiner geliebten Ochsen und einem Wagen den Weg über Apennin und Alpen unter die Räder nehmen, geschichsträchtige Landschaften durchmessen, viel erleben und und viel nachdenken. Der Dokumentarfilm «A passo di bove – Ochsentour» erzählt von dem verrückten Unterfangen und Walters Kampf mit seinen Ochsen Galileo und Gandhi und mit der italienischen Bürokratie. Ich freute mich auf den Film an den diesjährigen Solothurner Filmtagen und natürlich auf Walter. Doch der lag bereits in ernstem Zustand im Spital. Drei Wochen später, am 8. Februar, kurz vor seinem 63. Geburtstag brach Walter zu seiner endgültig letzten Reise auf. Er hinterlässt ein Werk, eine Geschichte und ein ganzes Leben. Zwei waren ihm nicht genug. Ganz musste es sein.
15. März 2012
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